Altersversorgung: Statt "Respekt-Rente" sollte es einen "Pardon-Zuschuss" geben
Minister Heil hat recht: Wer immer gearbeitet hat, soll mehr haben, als jemand, der das nicht tat. Mit Respekt hat das aber nichts zu tun. Ein Kommentar.
Vielleicht ist es spitzfindig, und vielleicht geht es ebenso an den Interessen der "Betroffenen" vorbei wie das zu Beklagende selbst, aber dennoch hier eine Klage. Es geht um die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der für Menschen, die am Ende eines langen Erwerbslebens so wenig Rente bekommen wie jene, die nie gearbeitet haben, einen Aufschlag von 100 Euro in Aussicht gestellt hat. "Respekt-Rente" soll der heißen. Daran ist nicht nur der Name schlecht.
Respekt klingt entweder nach Ghetto und "gerapptem Ehrenkodex", wie es die Kulturwissenschaftlerin Ina Schmidt mal formulierte. Oder nach einem verzweifelten Appell aus dem Erzieheralltag: Lasst uns respektvoll miteinander umgehen und nicht mit Kartoffelpüree auf andere werfen. Und kann im Zusammenhang mit geringen Einkünften und prekärer Existenz, also letztlich mit dem nicht erreichten gesellschaftlichen Klassenziel herablassend klingen. Oh, so viele Jahre gearbeitet und nie Geld gehabt? Wie kriegt man das denn hin? Aber egal, wir greifen ihnen jetzt im Alter mal ein bisschen unter die Arme. 100 Euro im Monat, das sind 3,50 Euro pro Tag. Respekt?
Warum arbeiten Menschen ein Leben lang, obwohl sie möglicherweise im Hilfesystem ähnlich gut wegkämen? Vielleicht ja, weil sie nicht ins Hilfesystem wollen. Weil es ihnen etwas wert ist, für sich selbst sorgen zu können und das auch zu tun. Weil sie aus Stolz nichts annehmen wollen, das nach Almosen aussieht. Oder aus Selbstachtung, also aus dem Respekt sich selbst gegenüber?
Setzt man sich darüber nicht letztlich hinweg, wenn man ihnen am Ende eines womöglich an derart motivierter Schinderei reichen Lebens ein staatliches Goodie gewährt? Und dann nennt man das auch noch Respekt-Rente. Wie gesagt, vielleicht ist das spitzfindige Kritik und diejenigen, für die die Respekt-Rente gedacht ist, freuen sich über die 100 Euro und über den Begriff, wenn sie denn kommen. Möglich ist das. Aber vielleicht sagt der Name auch etwas über den Hang zum allzu fokussierten Problembewusstsein im Politbetrieb.
Wenn jemand ein Leben lang gearbeitet hat, und am Ende kommt eine Rente dabei raus, die nicht höher ist als ein Existenzminimum, dann braucht es keine Rentenzuschussideen für das Ende dieser Karriere, dann stimmt etwas lange davor bereits mit den Löhnen nicht. Das ist das Problem.
Rentenhöhe hat mit Löhne zu tun - und der Niedriglohn mit der SPD
An dem großen Niedriglohnsektor in Deutschland ist die SPD nicht ganz schuldlos. Ein Minister mit ihrem Parteibuch darf 100 zusätzliche Euro als Kompensation daher durchaus anbieten. Er sollte sie aber anders nennen. Wie wäre es mit "Pardon-Zuschuss"? Das träfe den Kern des Problems, wäre semantisch nicht zweifelhaft und für die Empfänger auch nicht ehrenrührig.
Wenn einer sich entschuldigt dafür, dass er einem Ungemach bereitet hat, stellt das eine Art Gleichheit her – das kann man annehmen. Wenn einer einem Ungemach bereitet und am Ende, wenn man dessen ungeachtet zurande gekommen ist, "Respekt" sagt, ist das etwas anderes. Das Verhältnis bleibt ungleich, der Ungemachschaffer bleibt oben. Er verteilt und gewährt den Respekt. "Mangelnder Respekt", schreibt der US-Soziologe Richard Sennett, "mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein".
Und was heißen die Pläne eigentlich für diejenigen, die, aus was für Gründen auch immer, ihr Leben ohne lückenlose Erwerbsbiografie verbracht haben, die also diejenigen sind, von denen man die Respekt-Rentner abzugrenzen trachtet? Hier Respekt, da – leider nein? Auch das ist vielleicht nicht ganz glücklich.
Es ist mit dem Respekt wie mit den Plänen zur Lebensleistungsrente. Es schwingt eine gewisse Gönnerhaftigkeit darin mit, zumindest die Ansicht, darüber befinden zu können, was Respekt verdient, was eine Lebensleistung ist, was ja auch eine Anmaßung ist.
Es geht bei der Rentenfrage nur um einen Aspekt des Lebens: das Arbeitsleben. Die Politik sollte in all ihrem völlig richtigen Bemühen darum, Ungerechtigkeiten auszugleichen, nicht die falschen Begründungen dafür suchen.
Und sie sollte ihre Mühen nicht in Worte kleiden, die so viel Wertung enthalten. Das steht ihr nicht zu, das ist wahrlich übergriffig.
Ein Leben lang arbeiten und dann so gut wie nichts am Ende davon haben, ist eine offensichtliche soziale und arbeitsmarktpolitische Unwucht und gehört geändert. Mit Respekt oder nicht, mit Lebensleistung oder nicht, hat das aber nichts zu tun.