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Laternen für die Opfer. Kinder erinnern an den Atombombenabwurf von 1945.
© AFP

Gedenken in Hiroshima: Stadt im Zwiespalt

Hiroshima ruft am Jahrestag des Atombombenabwurfs zum Frieden auf. Aber eine komplette Aufarbeitung der Geschichte lässt auf sich warten.

Um 8.15 Uhr wurde geschwiegen. Eine Minute lang herrschte Stille im Peace Memorial Park, nur die lauten Zikaden auf den Bäumen waren zu hören. Kurz darauf flogen weiße Tauben in den Himmel, die 30 000 Besucher im Zentrum Hiroshimas atmeten auf. Genau um diese Uhrzeit vor 68 Jahren schien in der westjapanischen Großstadt die Welt unterzugehen. Am 6. August 1945 erfuhr Hiroshima als erste und bis heute vorletzte Stadt die Zerstörungskraft einer Atombombe. 200 000 Menschen starben, die Stadt wurde ausgelöscht. Unzählige Überlebende waren schädlicher Strahlung ausgesetzt.

Seit Japans Kriegsniederlage 1945 versammeln sich die Menschen in Hiroshima jedes Jahr am 6. August, um ein Plädoyer für den Frieden auszusprechen. „Politiker der Welt, wie lange werdet ihr noch in Misstrauen und in Feindseligkeit gefangen bleiben? Glaubt ihr ehrlich, dass ihr eure nationale Sicherheit aufrechterhalten könnt, indem ihr weiterhin eure Säbel schärft?“, fragte Bürgermeister Kazumi Matsui diesmal. Die Welt solle daran arbeiten, dass nie wieder eine Atombombe abgeworfen wird. Um dieser Hoffnung Ausdruck zu geben, waren am Dienstag auch Japans Premierminister Shinzo Abe, der Vorsitzende der UN-Generalversammlung, Vuk Jeremic, und weitere hohe Politiker und Diplomaten nach Hiroshima gekommen.

Doch nicht allzu weit vom Peace Memorial Park fanden Gegenveranstaltungen statt. Gegner der Atomkraft, in die Japan nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 wieder einsteigen will, simulierten vorm Büro des regionalen Energieversorgers Chugoku Electric Power ein Massensterben.

Bei einer Podiumsdiskussion in der Stadt beschwerten sich unterdessen der Filmemacher Oliver Stone und der Historiker Peter Kuznick über die Geschichtsschreibung seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach ihren Worten sind die USA durch ihr Waffenarsenal eine quasi-imperiale Macht, die vor Arroganz nur so strotzt. Japan hingegen habe es, auch im Gegensatz zu Deutschland, versäumt, sich seiner Kriegsvergangenheit zu stellen. Im gesamten Land, wie auch in Hiroshima, komme eine Aufarbeitung zu kurz.

Es ist auch dieses Spannungsfeld, in dem sich selbst die Friedensstadt Hiroshima zumindest einmal im Jahr befindet. Zwar ist dem Ort die weltweite Aufmerksamkeit für diesen einen Tag sicher. Kritiker bemängeln aber, dass die Botschaft Hiroshimas scheinheilig wirke, solange man sich auf das eigene Leiden durch die Atombombe beschränke. In den Museen der Stadt werden die Massaker, die Japans Militär in China, Korea und vielen weiteren asiatischen Ländern anrichtete, kaum erwähnt.

Felix Lill

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