Italien zwei Monate nach der Wahl: Staatspräsident will eigene Regierung berufen
Nach dem Scheitern der Regierungsverhandlungen in Italien soll es jetzt ein Übergangskabinett richten. Womöglich zum ersten Mal mit einer Frau an der Spitze.
Zwei Monate lang hat Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella mit den Parteien über die Möglichkeiten einer Regierungskoalition verhandelt. Am Montag hat er aufgegeben und will jetzt selbst eine Regierung einsetzen.
Doch eine solche „Experten-„ oder „Regierung des Präsidenten“ braucht ebenfalls eine Mehrheit im Parlament. Und danach sieht es aktuell nicht aus. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die bei der Wahl am 4. März mit Abstand stärkste Partei wurde, hat dem Mann im Quirinalspalast in Rom bereits abgesagt, ebenso die fremdenfeindliche Lega, stärkste Kraft im Rechtsbündnis, dem auch Berlusconis Forza Italia angehört. Dem sie, falls er anders dächte, am Dienstag drohte: Sollte Berlusconi – mit der anderen Wahlverliererin, der mitte-linken Demokratischen Partei (PD) – den Mehrheitsbeschaffer für Mattarellas Experten machen, sei es mit dem Rechtsbündnis aus. Und so könnte die Ankündigung des Präsidenten die seit Wochen betonierten Verhältnisse doch noch in Bewegung bringen.
Mit Berlusconi - das ging für die Sterne gar nicht
In einer kurzen Rede hatte Mattarella am Montag die triste Lage erläutert: Von allen Möglichkeiten, die es zwischen den wichtigsten Kräften gab, so Mattarella, sei keine gelungen: Weder das zusammengehen der Fünf Sterne mit der Lega noch das von PD und Sternen habe funktioniert, und eine Koalition zwischen Rechts und PD hätten beide Seiten als Ding der Unmöglichkeit bezeichnet. Die Gründe für das Scheitern der Gespräche waren neben Eitelkeiten in erster Linie echte politische Unverträglichkeiten. Die Fünf Sterne und die Lega hätten sich über ein Bündnis verständigen können, doch die Lega wollte dies nicht ohne Berlusconi tun – ausgerechnet mit der Symbolfigur jener politischen Korruption im Land, gegen die die „Sterne“ sich einst gegründet haben. Die Lega wiederum musste im Fall einer Trennung Verratsvorwürfe im rechten Lager fürchten und spekulierte darauf, den Ministerpräsidenten zu stellen – was im Bündnis mit den stärkeren Sternen nicht möglich gewesen wäre. Die Einigung mit dem abgestraften PD, Di Maios Lieblingskoalition, scheiterte zum Ärger einiger anderer Partei-Granden am Veto des zurückgetretenen, aber noch mächtigen Parteichefs Matteo Renzi, dem die Wähler am 4. März in Scharen zu den „Sternen“ überliefen.
Genannt werden eine Verfassungsrichterin und eine Londoner Professorin
In der verfahrenen Lage spricht Mattarella nun von der „Pflicht“ zu einer neuen Regierung: „Wir können nicht warten.“ Der Staatspräsident sorgt sich um die Rolle Italiens in Europa (siehe Kasten) und um die Wirtschaft. Die Mehrwehrtsteuererhöhung, die Anfang 2019 fällig wird, wenn es keine Regierung gibt, die den neuen Haushalt durchs Parlament bringt, würde Italiens ökonomische Daten drücken, die nach Jahren der Rezession zuletzt wieder ein wenig nach oben zeigten. Eine länger anhaltende Phase der politischen Unsicherheit könnte das hochverschuldete Italien außerdem neuen spekulativen Attacken der Finanzmärkte aussetzen, warnte Mattarella.
Obwohl ihr Scheitern wahrscheinlich ist, wird der Staatspräsident wohl an diesem Mittwoch einer Persönlichkeit seines Vertrauens den Auftrag geben, eine Regierung mit vermutlich zwölf Ministern zu bilden. Dabei könnte es sein, dass Italien erstmals in seiner Geschichte eine Frau als Regierungschefin erhalten wird: Als Anwärterinnen für den Auftrag zur Regierungsbildung gelten unter anderem die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts, Marta Cartarbia, und die Ökonomin Lucrezia Reichlin, Professorin an der London Business School und ehemalige Generaldirektorin der Forschungsabteilung bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Vielleicht, spekulieren italienische Medien, könnten sich im Parlament mit einer Frau im Amt ja eine Art Flitterwochen ergeben, sodass die Übergangsregierung die Vertrauensabstimmung doch noch überstehen wird.
Machtmenschen in Angst
Was der Staatspräsident jetzt – unter dem Protest der vorerst ausgebooteten Wahlsieger Di Maio und Salvini – als „neutrale Regierung“ bezeichnet, hat nämlich eine fast hundertjährige Tradition in Italien und hieß früher spöttisch „Baderegierung“: Ein Kabinett, das dem Land in Ruhe über die Sommermonate hilft, das Dringendste erledigt und dann das Feld räumt, möglicherweise für Neuwahlen. Denn eine Wahl im Juli – es wäre die erste in Italiens Geschichte – und einen „Badewahlkampf“ fürchten auch die, die jetzt nach raschen Neuwahlen rufen. Vor allem die flaue Wahlbeteiligung in den Sommermonaten wäre ein echtes Problem, räumt etwa Fünf-Sterne-Spitzenmann Di Maio ein.
Am meisten freilich hätten eine neue Wahl die beiden Männer zu fürchten, die bisher aus der Kulisse die Verhandlungen bestimmten: Berlusconi und Renzi. Jüngsten Umfragen zufolge verlöre der eine noch einmal erheblich Stimmen an die verbündete Lega. Der andere, Renzi, wäre ohne Machtbasis, weil er keinen Einfluss mehr auf die Wahllisten hätte. Renzi hat am Dienstag besorgt mit Lega-Chef Salvini telefoniert. Und dessen Leute machen jetzt Druck auf Berlusconi: Der möge „einen Schritt zurück treten“ und dadurch eine echte Regierung möglich machen. Mit den Fünf Sternen.
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