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Sprache büffeln schon im Ausland? Brüssel hält es für rechtswidrig, wenn davon abhängt, ob Ausländer zu ihrer Familie in Europa dürfen.
© dpa

Integration: "Sprachtest darf Zusammenführung von Familien nicht verhindern"

Die EU-Kommission hält Sprachtests für rechtswidrig, wenn sie wie in Deutschland zur Voraussetzung für die Einreise von Familienangehörigen gemacht werden. Eine Afghanin hat in Niederlanden jetzt Recht bekommen.

Berlin - In einer Stellungnahme der Kommission vom Mai dieses Jahres, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, sie dürften nicht als „Bedingung“ verstanden werden, von der „ das Recht auf Familienzusammenführung selbst abhängig ist“. Dieses Recht ist auf europäischer Ebene durch die „Richtlinie über das Recht auf Familienzusammenführung“ vom September 2003 garantiert.

Brüssel nahm in dem Schreiben vom 4. Mai 2011 an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Stellung zu einem konkreten Fall in den Niederlanden. Die dortigen Behörden hatten einer Afghanin, Mutter von acht Kindern, die Einreise verweigert. Dabei hatte sie einen festen Wohnsitz, ein festes Einkommen und gefährdete die „öffentliche Sicherheit im Land“ nachweislich nicht. Sie konnte aber nicht nachweisen, Niederländisch zu sprechen und Grundkenntnisse der Gesellschaftsordnung der Niederlande zu haben – was auch dort als Integrationsbeweis vorgeschrieben ist. Ihr Ehemann und die teils minderjährigen Kinder lebten bereits rechtmäßig in Holland. Für die Kinder war ein Vormund eingesetzt worden; nach einem Gutachten des niederländischen Kinderschutzbundes war die Entwicklung der Kinder und ihre Integration in der neuen Heimat unter anderem dadurch ernsthaft behindert, dass die Mutter fehlte.

Ist die deutsche Regelung EU-konform?

Die Stellungnahme der Kommission ging an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der vom zuständigen niederländischen Gericht um Auskunft gebeten worden war. Das Fazit der Brüsseler Juristen: Kein Mitgliedsstaat dürfe einem rechtmäßig dort lebenden Ausländer nur deshalb die Einreise seiner Kinder oder der Ehepartnerin verweigern, weil sie nicht schon im Ausland entsprechende Eingliederungsprüfungen bestanden haben. „Andere Faktoren sind in dieser Angelegenheit nicht relevant“, heißt es im Schreiben der Kommmissionsjuristen. Auch „die theoretische Möglichkeit, das Familienleben eventuell in einem Drittland zu organisieren oder die Rechte des Kindes dort umzusetzen, tut in diesem Falle nichts zur Sache“, heißt es im Schreiben der bevollmächtigten Juristen der Kommission. Dies würde nämlich „zu einer Untergrabung dieser Rechte innerhalb der Union führen“.

Das würde bedeuten, dass auch die deutsche Regelung nicht EU-regelkonform ist. In Deutschland müssen nachziehende Familienangehörige aus dem Nicht-EU-Ausland seit Herbst 2007 Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen können, bevor sie einreisen – es sei denn, sie sind US-Bürger, Australier, Schweizer, Japaner oder Koreaner. Begründet wurde diese Veränderung im Zuwanderungsrecht damit, dass so Zwangsehen verhindert und die Integration der Neuankömmlinge leichter würde. Unmittelbare Folge der Änderung war, dass bereits im ersten Halbjahr danach allein die Zahl der Visa für nachreisende Ehepartner um ein Viertel schrumpfte. Die Regelung trifft dabei nicht nur als „Importbräute“ verdächtigte anatolische Ehefrauen, sondern auch Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion mit deutschem Pass. Ihre Anwälte wissen von Fällen älterer Männer, die sich zur Entscheidung zwischen einem Leben in Deutschland und der 70-jährigen kasachischen Ehefrau gezwungen sehen, die sich nicht mehr in der Lage sieht, Deutsch zu lernen.

Die Auffassung deutscher Kritiker, dass derart Grundgesetzartikel sechs verletzt werde, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, teilen die Fachleute der EU-Kommission für die europäische Ebene. Sie verweisen auf die EU-Grundrechtscharta und die dort verbrieften Rechte der Kinder auf beide Eltern. Insofern müssten Forderungen, die dem entgegenstünden – etwa die nach Sprachkenntnissen – „restriktiv ausgelegt werden“. Und: „Dabei müssen in jedem Falle die Grundrechte geachtet werden.“

Dass der Fall der Afghanin, um den die die Brüsseler Stellungnahme vom Mai kreist, bisher noch keine Auswirkungen auf die EU-Nachbarländer hat, dürfte einen einfachen Grund haben. Ihr Fall ist inzwischen entschieden – zu ihren Gunsten und denen ihrer Familie. Nach Rückfrage beim Europäischen Gerichtshof gaben die Richter ihr recht. Mit dem Nebeneffekt, dass es keinen Präzedenzfall gibt, der auch die europäischen Nachbarn zu Konsequenzen zwingen würde.

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