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Arbeit unter lebensgefährlichen Bedingungen. Im peruanischen Ica retteten Bergarbeiter verschüttete Kollegen im April 2012 aus einer Kupfermine.
© dpa

Deutsche Unternehmen im Ausland: Spitzenrang bei Menschenrechtsverletzungen

In wenigen anderen Ländern der Welt sitzen so viele Unternehmen, denen eine Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen angelastet wird, wie in Deutschland. Nichtregierungsorganisationen fordern politische Konsequenzen – und verweisen auf Frankreich.

Es ist eine lange Liste: Darunter die Verseuchung von Wasser in Peru zur Gewinnung von Kupfer für deutsche Autos, Landvertreibungen in Uganda für eine Kaffeeplantage, die Flutung von Dörfern durch einen Staudamm im Sudan sowie die Ausbeutung von Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie. In all diesen Fällen waren deutsche Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt, lautet der Vorwurf mehrerer Nichtregierungsorganisationen.

Ein globaler Vergleich von Forschern der Universität Maastricht untermauert die Kritik: Von 1.800 ausgewerteten Menschenrechtsbeschwerden betreffen 87 deutsche Unternehmen, womit Deutschland unter den Ländern den fünften Rang belegt. Lediglich die USA mit 511, Großbritannien mit 198, Kanada mit 110 und China mit 94 Beschwerden liegen noch davor. Die Unternehmen mit den häufigsten Vorkommnissen sind demnach Shell, Chevron und die Anglo Gold Ashanti aus Südafrika.

In Deutschland steht vor allem der Import von Primärrohstoffen für die Automobil- und Chemieindustrie am Pranger der Zivilgesellschaft. Die Produktion findet in diesem Bereich laut einer aktuellen Studie der deutschen NGOs Germanwatch und Misereor unter „menschenrechtlich problematischen Bedingungen“ statt – häufig in Ländern mit schwachen staatlichen Strukturen und einer hohen Anfälligkeit für Korruption. Etwa in Guinea: Dort ist es laut dem Bericht im Zuge des Bauxitabbaus zu gewaltsamen Landnahmen gekommen. Anwohner würden vom Zugang zu Flüssen abgeschnitten, Sprengungen in den Steinbrüchen erschütterten und beschädigten Wohnhäuser, so der Bericht.

Mangelnde Transparenz in Unternehmen

Im Umfeld von peruanischen Kupferminen sollen Wasser- und Bodenproben deutlich überhöhte Werte von Kupfer, Blei, Arsen und Quecksilber aufweisen, zum Schaden der Gesundheit von Menschen und Tieren. Ob und in welchem Umfang die Rohstoffe aus einer bestimmten problematischen Mine tatsächlich in Autos von BMW, Daimler oder VW landen, lasse sich in der Regel aufgrund komplexer Lieferketten und mangelnder Transparenz der Unternehmen jedoch nicht nachweisen.

Verbindliche Regeln für deutsche Unternehmen existieren bisher nicht. "Bundesregierung und Parlament setzen weiter ausschließlich auf freiwillige Maßnahmen der Unternehmen", klagt Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender von Germanwatch. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch: Freiwillige Maßnahmen von Vorreitern unter den Unternehmen sind wichtig, sie verhindern aber nicht das unverantwortliche Verhalten schwarzer Schafe. Dazu bedarf es präventiver Anreize und Vorgaben, damit alle Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen."

Nationaler Aktionsplan in Arbeit

Die Bundesregierung ist sich des Problems bewusst. Seit Ende 2014 entwickelt sie unter Federführung des Auswärtigen Amts und unter Beteiligung von Zivilgesellschaft und Wirtschaftsverbänden den sogenannten nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Am Mittwoch stellt sie den ersten Zwischenstand der Öffentlichkeit vor.

Die Grundlage des Aktionsplans bilden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Bundesregierung will nach eigenen Angaben „einen Beitrag zur Umsetzung dieser Leitprinzipien“ leisten. „Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen stehen in ihrem globalen Handeln in Verantwortung für Menschenrechte. Was für einzelne profitabel ist, das sollte für alle anderen nicht schädlich sein“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier beim Startschuss der Ausarbeitung des Aktionsplans.

Die UN-Leitprinzipien sind in drei Säulen eingeteilt: Die Pflicht des Staates, Menschenrechte zu schützen, die Verantwortung von Unternehmen, diese Rechte zu achten und der notwendige Zugang zu gerichtlicher und außergerichtlicher Abhilfe gegen Menschenrechtsverletzungen. Obwohl bereits 2011 von den Vereinten Nationen beschlossen, hatte die Vorgänger-Regierung sich dem Umsetzungsprozess verweigert.

Verbindliche Regeln in Frankreich

Der deutschen Wirtschaft ist das Thema Menschenrechte wichtig. Von den 30 deutschen DAX-Unternehmen haben laut einer Befragung von Germanwatch und Misereor sieben eine eigene menschenrechtliche Grundsatzerklärung verabschiedet. Sieben weitere Unternehmen verfügen über eine Sozialcharta, die auch wesentliche Menschenrechtsthemen enthält. 90 Prozent gaben an, dass sie einen Beschwerdemechanismus eingerichtet haben, wie zum Beispiel eine sogenannte „Compliance Hotline“ oder eine Ombudsperson. Doch den NGOs geht das nicht weit genug, häufig seien die Maßnahmen nicht streng genug formuliert. Die Politik müsse stattdessen verbindliche Regeln einführen.

Die NGOs verweisen auf Frankreich. Dort hat die Nationalversammlung vor wenigen Wochen dafür gestimmt, große Unternehmen mit Sitz in Frankreich zu einer Sorgfaltsprüfung im Bereich der Menschenrechte und der Umwelt zu verpflichten. Vorgesehen sind Geldbußen von bis zu zehn Millionen Euro oder eine zivilrechtliche Haftung für die Verletzung der Vorsorgepflicht.

In Deutschland wird es noch Jahre dauern, bis es zu so einer Regelung kommen könnte. Den Aktionsplan will das Kabinett Mitte 2016 beschließen.

Erschienen bei Euractiv. Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin EurActiv kooperieren miteinander.

Dario Sarmadi

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