Nach der Wahl in Thüringen: SPD will mit Linkspartei über SED-Unrecht reden
Nach der Landtagswahl in Thüringen loten Linke, SPD und Grüne die Chancen für eine gemeinsame Landesregierung aus. Die erste Runde verläuft entspannt. Kommende Woche soll es um das heikle Thema DDR-Unrecht gehen.
Die erste Hürde muss aus dem Weg geräumt werden, bevor das Gespräch überhaupt losgeht. Bevor sich Linkspartei, SPD und Grüne am Donnerstagnachmittag zum Sondierungsgespräch über eine gemeinsame Landesregierung dem Linken-Politiker Bodo Ramelow an der Spitze trafen, haben die Sozialdemokraten durchgesetzt, dass die Runde nicht im Erfurter Kaisersaal tagt. Zu historisch belastet erschien der SPD der Ort, wo 1891 der Erfurter Parteitag der SPD stattfand - und am 12. April 1946 Kommunisten und Sozialdemokraten auf lokaler Ebene den Beschluss über die Vereinigung von KPD und SPD zur SED fassten. Stattdessen treffen sich die Vertreter der Parteien nun im ehemaligen DDR-Interhotel Kosmos, das heute Radisson Blu heißt - also auf mutmaßlich neutralerem Boden.
Zwei Stunden dauert die erste Runde. Der wichtigste Konsens: Kommende Woche, am Dienstag und am Donnerstag, sollen die Gespräche weitergehen – dann unter anderem mit Diskussionen zum Thema DDR-Unrecht. Linke und Grüne zeigen sich nach der Sondierung zuversichtlich, "einen Regierungswechsel zu erreichen". Die SPD äußert sich nicht zu den Chancen von Rot-Rot-Grün, lobt aber die angenehme Atmosphäre.
Wie die Sache am Ende ausgeht, ist ziemlich offen. Es gibt Anzeichen dafür, dass die SPD eher der Rot-Rot-Grün-Variante zuneigt denn der ebenfalls rechnerisch möglichen Fortsetzung des schwarz-roten Regierungsbündnisses. Dazu zählt, dass der designierte SPD-Landesvorsitzende Andreas Bausewein, Oberbürgermeister in Erfurt, sich schon vor fünf Jahren für Rot-Rot stark machte. Aber zum Beispiel auch, dass der in Thüringen gut vernetzte ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sich zitieren ließ mit dem Hinweis, dass sich die Linke in den 25 Jahren nach dem Mauerfall in der Demokratie bewährt habe. "Das muss jetzt mehr zählen als die 40 Jahre zuvor." Auch die Bundespartei wird kein Veto gegen eine Wahl von Ramelow zum Regierungschef einlegen. Die SPD-Delegation kommt mit Bausewein an der Spitze. Ein erstes Sondierungsgespräch von CDU und SPD soll am Montag folgen.
Die Grünen haben neben der Spitzenkandidatin Anja Siegesmund unter anderem auch die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, für die Verhandlungsgruppe bestimmt - ein, wie es aus der der Partei heißt, Zeichen dafür, dass es die Grünen sehr ernst meinen mit den Gesprächen: "KGE macht die Sache noch glaubwürdiger." Ein wenig Gemurre gibt es in den Reihen der Grünen dennoch - weil der linke Parteiflügel in der Sondierungsgruppe nicht vertreten ist. Das nervt vor allem die engagierte Landtagsabgeordnete Astrid Rothe-Beinlich, die sich seit Jahren für ein rot-rot-grünes Bündnis in ihrem Bundesland einsetzt. Sie sagt: "Ich hätte mir schon eine breitere Aufstellung gewünscht." Der Landesvorstand habe es aber anders entschieden. Zu der von CDU-Ministerpräsident Christine Lieberknecht ins Spiel gebrachten Variante, es könnte in Thüringen auch eine Afghanistan-Koalition - also ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen - geben, hatten sich die Grünen skeptisch geäußert.
Göring-Eckardt: Ich wünsche mir Rot-Rot-Grün
Göring-Eckardt unterstreicht im Interview mit dem "Freitag" ihr Interesse an einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis in Thüringen. "Ich würde es mir wünschen, auch wenn es für mich kein leichter Schritt zur SED-Nachfolgepartei wäre", sagt sie der Wochenzeitung. "Aber man muss auch anerkennen, dass vor allem in den vergangenen fünf Jahren mit der Linkspartei in Thüringen einiges passiert ist, was den Umgang mit der eigenen Vergangenheit angeht. Davor habe ich Respekt."
Ramelow gibt sich am Donnerstag vor Beginn der Sondierungsgespräche vier Tage nach der Landtagswahl optimistisch. "Ich bin guter Laune, guter Dinge", sagt er dem Tagesspiegel. Es sei "keine leichte Aufgabe". Aber: "Ich suche mir nie leichte Aufgaben aus." Seine Vorhersage vor dem Wahlsonntag, wonach die Chancen für eine Kür zum Ministerpräsidenten 50:50 stehen, korrigiert er vier Tage danach leicht nach oben - "zu Gunsten von 51:49".
In der Linkspartei gibt es ein großes Interesse an einer rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen - auch mit Hinblick auf die Option 2017 im Bund. Die politischen Gemeinsamkeiten von Rot-Rot-Grün stünden nicht nur auf dem Papier, betont die Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Auch Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion und prominentestes Gesicht des linken Parteiflügels, hat ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben. "Jetzt liegt es an der SPD, ob sie ihren Niedergang an der Seite der CDU fortsetzen will oder ob sie den Mut zu einer sozialeren Politik unter einem linken Ministerpräsidenten aufbringt", sagt sie. "Thüringen hat auf jeden Fall eine bessere Politik verdient, bei der die Handschrift der Linken deutlich wird."