Einigung in Sicht: SPD verzichtet auf EU-Kommissarsposten
Die SPD verzichtet auf einen Kommissarsposten in Brüssel und wird einen Kandidaten der Union akzeptieren. Das erklärte Parteichef Sigmar Gabriel. Im Gegenzug soll Martin Schulz allerdings Präsident des Europaparlaments werden.
Einen Rückzug als Spezialform des Angriffs zu tarnen, ist eine anspruchsvolle Kunst. Sigmar Gabriel hat darin seit der Europawahl einige Übung. Am Freitag ist er wieder gefragt. Der SPD-Chef muss seinen Spitzenkandidaten Martin Schulz in der Brüsseler Postenschlacht aus aussichtsloser Position zurückziehen. Es ist eine Kapitulation, doch wer Gabriel unbedarft zuhört, könnte sie glatt für eine Offensive halten: „Die SPD wird einen Kommissar der Union akzeptieren“, verkündete der SPD-Vorsitzende, fügte aber gleich an: „... sofern Martin Schulz zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt wird.“
Dass das bereits so gut wie sicher ist, vergaß Gabriel zu erwähnen. Angela Merkel hatte ihm längst signalisiert, dass an ihr eine Rückkehr des Sozialdemokraten Schulz auf den Präsidentensessel nicht scheitern wird. Kurz nach Gabriels Erklärung bekräftigt die CDU-Chefin öffentlich: Die deutsche Gruppe in der Europäischen Volkspartei (EVP) werde ihn unterstützen. Was aber auch nicht ganz neu ist: Mitte der Woche hatte der neue Fraktionschef, der CSU-Mann Manfred Weber, die Abgeordneten bei der EVP-Klausur schon auf den Deal eingeschworen. Normalerweise präsidiert man im Europaparlament nur für eine Wahlperiode – für Schulz soll es eine Ausnahme geben.
Nur ein Trostpreis für die SPD
Gemessen an den Ansprüchen, die die SPD und ihr Ex-Spitzenkandidat seit der Europawahl erhoben hatten, ist das freilich nur ein Trostpreis. Von einer Doppelspitze in der EU-Kommission mit einem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker war da die Rede; noch am Freitagfrüh erklärte SPD-Vize Ralf Stegner im Deutschlandfunk, er wäre „natürlich traurig“, falls Schulz keine leitende Funktion in der Kommission bekäme. Und Schulz selbst hatte noch am Mittwoch seine „Ambition“ auf den Sitz im „Tandem“ an Junckers Seite bekräftigt.
Wer genau hinhörte, konnte zwar erkennen, dass sich Schulz verdächtig unscharf ausdrückte und nur von „einer der Möglichkeiten“ sprach. Aber selbst in den eigenen Reihen fand mancher, der Rheinländer bewege sich auf der nach oben offenen Heide-Simonis-Skala („Und was wird aus mir?“) nun doch langsam bedenklich weit nach oben.
Tatsächlich waren Schulz’ Chancen nie gut – und wurden danach immer schlechter. Seine Partei war in Deutschland und europaweit nur auf Platz zwei gelandet. Schon das schloss einen Anspruch auf den einzigen deutschen Platz in der Kommission aus, zumal die Union mit Günther Oettinger (CDU) einen Mann in Brüssel hat, dem Merkel am Freitag ausdrücklich eine „sehr gute Arbeit“ bescheinigte. Mit einer förmlichen Jobgarantie verband sie das freilich noch nicht.
Taktik? Welche Taktik?
In der SPD heißt es jetzt, Schulz sei das alles ja von Anfang an bewusst gewesen, man habe ihn aber aus „taktischen Gründen“ gebeten, an Ansprüchen festzuhalten. Welche Taktik das gewesen sein soll, bleibt allerdings unerfindlich.
Dafür sind die Gründe um so besser verständlich, die in der Partei dafür genannt werden, dass Gabriel seinen guten Kumpel jetzt förmlich aus dem Rennen nahm: Erstens wolle niemand großkoalitionäre Verwerfungen – schließlich hatte Gabriel diese Woche die Union schon mit mindestens missverständlichen Forderungen nach einem Schwenk der EU-Krisenpolitik in Alarmstimmung versetzt. Zweitens habe der SPD-Chef verhindern wollen, dass sich die sozialdemokratischen EU-Regierungschefs am heutigen Sonnabend bei ihrem Treffen in Berlin für Schulz verkämpfen. Und außerdem, so heißt es in der SPD, könne man sich nun auf die Debatte über Hilfen für die EU-Krisenstaaten konzentrieren.
Mehr bleibt auch nicht, um etwas von der Siegesstimmung zu erhalten, die die SPD-Spitze am Europawahlabend angesichts von sieben Prozentpunkten Zugewinn verbreitet hatte. Gabriel hat sich nach seinem forschen Vorpreschen in Sachen Stabilitätspakt lieber erst mal nicht weiter zu dem Thema geäußert. Dafür spielt sein Vize Stegner mit den Muskeln: „Wenn Herr Juncker eine Mehrheit haben will im Europäischen Parlament, dann muss er andere, auch die sozialistische Fraktion, überzeugen, dass das auch inhaltlich und personell ein vernünftiges Konzept ist.“
Juncker braucht für Wahl eine große Koalition
Juncker braucht zu seiner Wahl im Parlament in der Tat eine große Koalition. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es mit der Erpressungsmacht der Sozialisten nicht weit her ist. Seit sie sich auf Juncker als Kommissionschef festgelegt haben, müssten die SPD und ihre Parteifreunde extrem gute Gründe finden, um ihn jetzt plötzlich abzulehnen. Schließlich hat Schulz erst am Mittwoch betont, die Juncker-Kür sei ein Prozess, „über den die Wähler abgestimmt haben“.