Koalitionsverhandlungen: SPD feiert Ende der Kopfpauschale
Nach heftigen Auseinandersetzungen haben sich Union und SPD darauf geeinigt, die pauschalen Zusatzbeiträge für Krankenversicherte abzuschaffen. Damit ist ein jahrelanger Streit beendet.
Nach heftigen Auseinandersetzungen haben sich Union und SPD überraschend auf die künftige Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geeinigt. Die SPD nannte den Kompromiss, der unter anderem einen Wegfall der pauschalen Zusatzbeiträge für gesetzliche Versicherte vorsieht, „historisch“. Damit sei der Dauerstreit um die sogenannte Kopfpauschale im Gesundheitswesen beendet. Gleichzeitig beschlossen Union und SPD, die Pflegebeiträge deutlich zu erhöhen. Die Idee der Kopfpauschalen habe das deutsche Gesundheitssystem „seit zehn Jahren bedroht“, sagte SPD-Verhandlungsführer Karl Lauterbach. Der Einigung zufolge sollen die allein von den gesetzlich Versicherten zu zahlenden Zusatzbeiträge zwar erhalten bleiben. Sie werden künftig aber nicht mehr pauschal, sondern einkommensabhängig erhoben. Nach Lauterbachs Angaben wären auf die Versicherten ohne den Kompromiss in den nächsten Jahren Zusatzbeiträge von bis zu 30 Euro monatlich zugekommen. Arbeitnehmer und Rentner müssen die steigenden Gesundheitskosten auch weiter alleine stemmen. Die Höhe der Zusatzbelastung richtet sich nun aber nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.
Arbeitgeber zahlen weniger
Mit ihrer Forderung, die Arbeitgeber wieder genauso stark in die Pflicht zu nehmen wie die Beschäftigten, konnte sich die SPD nicht durchsetzen. Die Arbeitgeberbeiträge bleiben bei 7,3 Prozent eingefroren. Formal sinken nun zwar auch die Beiträge der Arbeitnehmer von 8,2 auf 7,3 Prozent. Die Arbeitnehmer-Mehrbelastung um 0,9 Prozentpunkte wird aber nicht gestrichen, sondern fließt in die Zusatzbeiträge. Über deren Höhe dürfen die Krankenkassen dann nach ihrem jeweiligen Finanzbedarf entscheiden. Der bisher vorgesehene Sozialausgleich aus Steuermitteln fällt weg, weil Geringverdiener durch die prozentuale Erhebung nun automatisch geringer belastet werden. Die Pflegebeiträge sollen in zwei Stufen um insgesamt 0,5 Prozent erhöht werden, ein Fünftel davon fließt in eine Kapitalrücklage für geburtenstarke Jahrgänge. Bis Anfang 2015 sollen die Beiträge um 0,3 Prozentpunkte steigen – was Zusatzeinnahmen von drei Milliarden Euro entspricht. Zwei Milliarden fließen in kurzfristige Leistungsverbesserungen und einen Inflationsausgleich. Eine Milliarde wird pro Jahr bei der Bundesbank deponiert, damit die Politik darauf keinen Zugriff hat. Später sollen die Beiträge nochmals um 0,2 Punkte steigen. Damit werde dann die geplante Neudefinition von Pflegebedürftigkeit finanziert, hieß es, mittels derer insbesondere Demenzkranke besser gestellt werden sollen. Mit der schrittweisen Heraufsetzung des Pflegebeitrags und der Rücklage setzte sich die Union durch. Die SPD hatte eine sofortige Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte gefordert. Zur Zeit liegt der Pflegebeitrag bei 2,05 Prozent, Kinderlose zahlen 2,3 Prozent.
Der Kompromiss ist bereits mit den Parteispitzen abgestimmt, er soll im nächsten Jahr Gesetz werden. Für die Union sei es entscheidend gewesen, den Arbeitsmarkt nicht durch steigende Gesundheitskosten zu belasten, sagte CDU-Verhandlungsführer Jens Spahn. Mit den eingefrorenen Arbeitgeberbeiträgen sichere man Arbeitsplätze. Gleichzeitig räumte der CDU-Politiker ein, dass auch in der Union "nicht alle immer die größten Fans pauschaler Zusatzbeiträge“ gewesen seien. Noch nicht einmal die ganz Wichtigen: Im Streit über eine große Kopfpauschale hatte beispielsweise CSU-Chef Horst Seehofer 2004 als Fraktionsvize zurücktreten müssen. Grüne und Linke kritisierten, dass die Einigung zulasten der Versicherten gehe und die Arbeitgeber geschont blieben. Die Krankenkassen begrüßten die zurückerhaltene Finanzautonomie.
Rainer Woratschka