Walter-Borjans empört über Kampagne: SPD-Chef wirft CSU beim Tempolimit Spaltung der Gesellschaft vor
Ein Tempolimit ist eines der Reizthemen der Verkehrspolitik: Die CSU startet nun eine Kampagne dagegen. Koalitionspartner SPD reagiert verärgert.
Kaum ein anderes verkehrspolitisches Thema polarisiert Deutschland so wie die Frage nach einem generellem Tempolimit. Die Debatte ist gerade durch einen Vorstoß des ADAC neu entbrannt, nachdem der größte Automobilclub Deutschlands seine jahrelangen Kurs gegen Tempo 130 auf Autobahnen aufgeweicht hat. Einer der schärfsten Gegner solcher Pläne ist Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Dessen Partei hat nun eine Kampagne gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen gestartet.
Verkehrsminister Scheuer ist strikt gegen Tempolimit
„Die CSU stellt sich klar gegen dieses ideologisch motivierte Vorhaben von Grünen, SPD und Die Linke“, heißt es auf einer Internetseite unter dem Titel: „Tempolimit? NEIN Danke!“. An Gefahrenstellen oder aus Gründen des Lärmschutzes könne bereits heute die Geschwindigkeit beschränkt werden.
In der schwarz-roten Koalition ist ein Tempolimit umstritten. Die SPD ist dafür, die Union in weiten Teilen dagegen. Verkehrsminister Andreas Scheuer hatte vor Weihnachten der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen - für das es gar keine Mehrheiten gibt.“
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte dem Tagesspiegel zu der Aktion aus Bayern: „Dass die CSU mit ihrer Anti-Tempolimit-Kampagne einen Keil in die Gesellschaft treiben will, ist höchst fahrlässig.“ Die CSU verharmlose die belegten Gefahren zu schnellen Fahrens für Mensch, Klima und den Umgang miteinander auf den Autobahnen.
„Mit ihrer Verweigerungshaltung torpediert sie das Ziel, hier zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens zu kommen. Was wir in dieser Frage aber dringend brauchen, ist eine Koalition der Vernunft – wie sie in fast allen anderen Ländern der Welt bereits existiert“, sagte Walter-Borjans.
„Gute Gründe gegen ein generelles Tempolimit“, so heißt es in der Kampagne der CSU, seien:
- Die Zahl der Verkehrstoten in Ländern mit Tempolimit sei zum Teil „drastisch höher als in Deutschland“.
- Das eigentliche Problem seien die Straßen, auf denen bereits Tempolimits gelten. „Auf Bundes-, Landes- und Kommunalstraßen liegen die eigentlichen Herausforderungen der Verkehrssicherheit.“
- Der Umwelteffekt eines Tempolimits sei „sehr gering“. Mit einem generellen Tempolimit von 130 km/h könnten nur 0,6 % der CO2-Emissionen des Verkehrssektors eingespart werden. „Es gibt heute also wesentlich effizientere Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr.“
Nach Angaben der CSU haben sich seit Freischaltung der Seite innerhalb von zwei Tagen 10.000 Unterstützer angemeldet. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte der gegenüber der „Bild am Sonntag“: „Immer mehr Bürgern stinkt der ständige Verbotswahn. Viele Bürger wollen dagegen ein Zeichen setzen und sich wehren.“
SPD-Vizefraktionschef Sören Bartol hatte den Christsozialen am Sonntag „Realitätsverlust“ vorgeworfen. Es gebe inzwischen „eine gesellschaftliche Mehrheit für ein Tempolimit“, sagte Bartol der Nachrichtenagentur AFP. „Auch die CSU sollte sich dieser Realität stellen - Realitätsverlust ist einer Volkspartei unwürdig“, sagte der Verkehrsexperte.
CSU mache sich beim Tempolimit zur „Lachnummer in der Welt“, sagen die Grünen
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, sagte dem Tagesspiegel: „Die Unterschriftenkampagne der CSU ist absurd und geht an den Realitäten im Land vorbei. Damit macht sich die CSU zur Splitterpartei und schießt sich selbst ins Abseits.“ Es müsse darum gehen, Sicherheit und Freiheit aller Verkehrsteilnehmer zu garantieren.
„Freiheit bedeutet nicht rücksichtsloses Rasen. Dass sich die CSU so verbissen gegen ein Tempolimit stellt, das Menschenleben schützen kann und in fast allen anderen Ländern Normalität ist, ist nicht nachvollziehbar.“
Fraktionsvize Oliver Krischer kritisierte die CSU-Kampagne als „populistisch“. „Mit ihrer Dauerblockade eines Tempolimits macht die CSU Deutschland zur Lachnummer in der Welt“, sagte Krischer zu AFP. „Wenn selbst der ADAC nicht mehr gegen ein Tempolimit ist, zeigt das, wie weit sich die CSU ins Abseits begibt.“ Krischer warf der CSU vor, in der Klima- und Verkehrspolitik „endgültig die Mitte der Gesellschaft aufgegeben zu haben und sich an einer immer kleiner werdenden Randgruppe zu orientieren“.
Verkehrsgerichtstag fordert Studie zum Tempolimit
Der Präsident des Verkehrsgerichtstags (VGT), Ansgar Staudinger, hatte gerade von der Bundesregierung eine umfassende wissenschaftliche Studie zum Tempolimit auf Autobahnen gefordert. Derzeit gebe es keine „wirklich belastbaren Daten“, sagte Staudinger, der Nachrichtenagentur dpa. „Wir haben in diesem Bereich ein Forschungsloch.“
Durch die Untersuchung solle geklärt werde, wie sich Tempo 130 auf die Verkehrssicherheit und auf die Umwelt auswirken würde, sagte der Bielefelder Rechtsprofessor. „Wenn die Studie ergibt, dass Tempo 130 einen Gewinn an Verkehrssicherheit und ein Mehr für den Umweltschutz mit sich bringt, bin ich bereit, ein Tempolimit mitzutragen“, sagte er weiter.
Den Gegnern eines Tempolimits warf der VGT-Präsident „eine Blockadepolitik“ vor, ohne dass sie ihre Meinung durch wissenschaftliche Studien belegen könnten. „Ich finde es unverständlich, dass man das Nein wie ein Mantra vor sich herträgt“, sagte Staudinger, ohne in diesem Zusammenhang Namen zu nennen.