Politik: Späte Ehrenrettung
Nicht mehr als tausend Menschen werden es sein, die durch diesen Vorstoß jetzt eine späte Ehrenrettung erfahren: Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollen die Urteile der NS-Justiz gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle pauschal aufheben. Der entsprechende Entwurf dazu - im Justizministerium erarbeitet - ist fertig.
Nicht mehr als tausend Menschen werden es sein, die durch diesen Vorstoß jetzt eine späte Ehrenrettung erfahren: Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollen die Urteile der NS-Justiz gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle pauschal aufheben. Der entsprechende Entwurf dazu - im Justizministerium erarbeitet - ist fertig. Im Februar soll er ins Parlament eingebracht werden. Nach Ostern könnte der Bundestag darüber abstimmen, sagte Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, am Freitag in Berlin. Eines der Prestigeprojekte der rot-grünen Regierung wäre dann nach langem Hin und Her verwirklicht. Rechtzeitig vor der Bundestagswahl.
Vor vier Jahren gab es bereits einen Anlauf, die Opfer von NS-Unrechtsurteilen zu rehabilitieren. Im August 1998 beschloss der Bundestag ein "Aufhebungsgesetz". Viele Richtersprüche aus der NS-Zeit wurden damit aufgehoben - die gegen Homosexuelle und Deserteure aber nicht. Die regierende Union wollte das nicht mittragen. Daher müssen diese Opfer bis heute ihre Rehabilitierung einzeln beantragen. Nicht nur der SPD-Rechtspolitiker Alfred Hartenbach findet das unzumutbar. Auch Schwulen- und Lesbenorganisationen und die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz klagen seit langem über diese Praxis.
Die Homosexuellen waren im Aufhebungsgesetz von 1998 nicht mit anderen Opfern der Nazi-Justiz gleichgestellt worden, weil die unter den Nazis 1935 verschärfte Version des Paragraphen 175 über die Strafbarkeit von Homosexualität noch bis 1969 galt, also Gesetz war. Darauf berief sich die Union. Offenbar rückt sie aber jetzt von diesem Standpunkt ab.
Schwerer fällt es der CDU und der CSU, Wehrmachtsdeserteure generell zu rehabilitieren. Der rechtspolitische Sprecher der Union, Norbert Geis, sprach am Freitag sogar davon, dass der Gesetzentwurf neues Unrecht setze. Zweifellos hätten viele Deserteure Achtung verdient. Wer aber desertiert sei, um etwa seiner gerechten Strafe wegen eines schweren Vergehens gegen Zivilisten zu entgehen, oder Zivilisten feige im Stich gelassen habe, "der hat auch nach heutigen Maßstäben Unrecht begangen". Für Volker Beck geht es nicht um Helden oder Feiglinge. Den von der NS-Justiz verurteilten Menschen solle die Ehre wiedergegeben werden. Das setze andere Soldaten nicht herab.
500 000 Unrechtsurteile
Während des Dritten Reiches sind Schätzungen zufolge rund 500 000 Strafurteile aus politischen, militärischen, religiösen, rassistischen oder weltanschaulichen Gründen gefällt worden. Allein die NS-Militärjustiz hatte mehr als 30 000 Wehrmachtsdeserteure zum Tode verurteilt. Wegen Homosexualität wurden etwa 50 000 Männer verurteilt, 15 000 davon, gezeichnet mit dem "Rosa Winkel", in Konzentrationslager verschleppt. Gesetzliche Grundlage dafür war der Paragraph 175, der jede "Unzucht" zwischen Männern unter Strafe stellte. 1936 richteten die Nationalsozialisten eine "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung" ein. Sowohl Deserteure als auch Homosexuelle haben wegen ihrer Verfolgung keine Entschädigung erhalten.
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