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Hier nehmen und woanders wieder geben? Die Pflegereform von Jens Spahn steht in der Kritik.
© imago images/photothek

Änderungen für die Pflege: Spahns Reform gaukelt Entlastung nur vor

Die Löhne in der Pflege steigen, ein wichtiger Schritt. Doch die versprochene finanzielle Entlastung für Heimbewohner ist eine Mogelpackung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rainer Woratschka

Linke Tasche, rechte Tasche – und hoffentlich merkt es keiner. In der Steuer- und Sozialpolitik ist das seit jeher ein probates Mittel, um als Großzügigkeit verkaufte Ausgaben an anderer Stelle wieder hereinzuholen. Doch so erkennbar und dreist, wie jetzt von Jens Spahn bei seiner „Pflegereform light“ praktiziert, findet es selten Verwendung.

Da wird den Pflegebedürftigen in den Heimen nun endlich Entlastung bei den immer exorbitanter werdenden Eigenanteilen zugestanden. Gleichzeitig wird ihnen dieses Geld aber dadurch quasi wieder abgenommen, dass man ihnen nun den ebenfalls versprochenen und überfälligen Inflationsausgleich bei den Pflegeleistungen verweigert. Und das zynischerweise auch noch zu einem Zeitpunkt, wo die Kosten deutlicher steigen werden denn je, weil – ebenfalls politisches Versprechen – die Pflegekräfte endlich besser bezahlt werden sollen.

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Steigende Kosten bleiben eine Bedrohung

Was die Heimbewohner und ihre Angehörigen jetzt schnell noch mit großem Bohei überreicht bekommen, ist wie ein Geschenk, das man selbst bezahlen soll. Zumal auch die Eigenanteils-Entlastung nochmals kräftig abgespeckt wurde. Nach Spahns Ursprungskonzept sollte fortan kein Heimbewohner mehr als 700 Euro für reine Pflege zuzahlen müssen. Nun gibt es nur noch einen nach Aufenthaltsdauer gestaffelten Zuschuss. Im ersten Jahr beträgt er mickrige fünf Prozent des pflegebedingten Eigenanteils. Im zweiten Jahr sind es 25, im dritten 45, danach 70 Prozent.

Tatsächlich leben aber nur 40 Prozent der Heimbewohner dort länger als zwei Jahre. Die große Mehrheit der Menschen in stationärer Pflege erhält also auch künftig nur wirklich bescheidene Finanzierungshilfe, die von Kostenerhöhungen in Windeseile aufgefressen werden wird. Das Damoklesschwert beständig steigender Kosten baumelt weiter über allen Betroffenen.

Dabei war der Plan, als Norbert Blüm vor einem Vierteljahrhundert die Pflegeversicherung auf den Weg brachte, ein ganz anderer. Im Pflegefall sollte jede und jeder nur noch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung aus eigener Tasche zu zahlen haben. Für die echten Pflegekosten dagegen sollte die neue Versicherung komplett aufkommen. Inzwischen ist letzteres für Betroffene wieder ein Riesenposten. Stand April waren betrug die Zuzahlung im Bundesschnitt stolze 917 Euro pro Monat.

Ein Stückwerk, weil zwischen Union und SPD nicht mehr ging

Doch soll die am Mittwoch durchs Kabinett gejagte Reform nicht nur madig gemacht werden. Es ist gut, dass sie noch auf den letzten Metern dieser Legislatur angepackt wird. Es ist auch nachvollziehbar, dass sich das Projekt wegen der Coronakrise nicht früher und umfänglicher in die Tat umsetzen ließ. Und auf der Leistungsseite gibt es etliches in dem Maßnahmenpaket, das Lob verdient.

So wird künftig kein Heimbetreiber seinen Beschäftigten mehr Tariflöhne verweigern können, weil sein Haus sonst die Zulassung verliert. Pro Pflegekraft könnte das bis zu 300 Euro im Monat mehr ausmachen. Vorgesehen ist zudem mehr Personal mit mehr Kompetenzen. Das alles wird die Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege und insofern auch das Leben der auf sie Angewiesenen verbessern. Es war dringend nötig.

Dennoch bleibt das Ergebnis Stückwerk und weit unter den Erwartungen. Was freilich auch an der SPD liegt, die dem CDU-Mann Spahn so kurz vor der Wahl offenbar nicht mehr allzu viel gönnen wollte. Für den erstmals fließenden Bundeszuschuss zur Pflege, ohne den es nun wirklich nicht mehr geht, hat Finanzminister Olaf Scholz gerade mal ein Drittel des in Aussicht Gestellten herausgerückt. Viel mehr als bloße Gesichtswahrung ist damit kaum möglich. Die Nachfolgeregierung wird eine riesige Reformbaustelle erben.

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