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Homeoffice und Versorgung der Kinder: Eine Herausforderung für viele Eltern
© dpa/Keystone/Christian Beutler

Homeoffice und Sorgearbeit in der Coronakrise: Spagat auf Kosten der Kümmerer

Arbeiten daheim mag in der Coronakrise sinnvoll sein. Doch an die Lebensrealität von Eltern und Alleinlebenden denken Politik und Firmen kaum. Ein Gastbeitrag.

Uta Kletzing ist Referentin für Geschlechterpolitik im Forum Politik und Gesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung. Derzeit arbeiten sie und ihr Mann im Homeoffice und betreuen gleichzeitig ihre beiden Söhne. Hier gibt sie eine Einschätzung der Situation als Gender-Expertin und als Mutter.

Politik und Arbeitgeber*innen versuchen in der sich ausbreitenden Coronavirus-Pandemie nach bestem Wissen und Gewissen unser aller Gesundheit zu schützen und – etwas drastischer formuliert – Todesfälle zu minimieren. Das ist an sich ehrenwert und richtig – aber mir fehlt an manchen Stellen ein etwas schärferer Blick für die Verschiedenheit der Lebenssituationen derer, die von diesen Maßnahmen betroffen sind.

Denn dieses Manko verhindert, dass die „Risiken und Nebenwirkungen“ dieser Maßnahmen zumindest deutlicher benannt, idealerweise sogar mit flankierenden Mitteln abgefedert werden können. So kann gut gemeinte Gefahrenbekämpfung schnell neue Gefahren hervorrufen.

[Aktuelle Entwicklungen und Informationen zur Coronavirus-Pandemie können Sie hier im Newsblog verfolgen.]

Zum Beispiel Homeoffice: Das hat für Kolleg*innen ohne betreuungsbedürftige Kinder – darunter Alleinlebende – und für Kolleg*innen mit betreuungsbedürftigen Kindern – darunter Alleinerziehende – ganz unterschiedliche Effekte.

Was macht wochen- oder möglicherweise gar monatelanges Homeoffice mit alleinlebenden Menschen, für die die Erwerbsarbeit ein zentraler oder womöglich der einzige Anker ihrer sozialen Eingebundenheit ist? Was macht Homeoffice mit Alleinerziehenden, die bei einer nun notwendigen Ganztagesbetreuung für den Nachwuchs und dem Kümmern um ihre Kinder irgendwie Arbeitszeit und Arbeitsproduktivität unter einen Hut bringen müssen?

Arbeit daheim ist nicht für alle ein Segen

Die Kita- und Schulschließung bedeutet nämlich, wie sonst eigentlich maximal für das erste Lebensjahr von Kindern vorgesehen, (wieder) Rund-um-die-Uhr-Sorgearbeit: Mittagsversorgung und soziale Betreuung, bei Schulkindern sogar die Begleitung der nun virtuell beauftragten Schulaufgaben, ganz zu schweigen von den Interventionen gegen den Lagerkoller, weil alle Freizeiteinrichtungen bis hin zu Parks sowie Sport- und Spielplätzen geschlossen sind.

Rund-um-die-Uhr-Sorgearbeit übrigens für viele inmitten von unveränderten Erwerbsverpflichtungen, die jetzt eben daheim zu leisten sind, und ohne irgendwelche Unterstützung Dritter, wenn man das Anliegen der Minimierung sozialer Kontakte („Social Distancing“) ernstnimmt.

[Einen Erfahrungsbericht von Eltern im Homeoffice können Sie hier lesen.]

Wie kommen Politik und Arbeitgeber*innen also auf die Idee, Homeoffice wäre für alle ein Segen und die Erlaubnis dazu bereits ein großzügiges Zugeständnis – wenn es faktisch nur für die sinnvoll und umsetzbar ist, die sozial verlässlich eingebunden sind und/oder keine Kinder haben, die daheim betreut werden müssen?

Wie so oft bei Beschlüssen der Führungsriegen unserer Gesellschaft scheinen mir deren eigene Lebensrealitäten einfach zum Maßstab der Entscheidungen und der Folgenabschätzungen zu werden. Wohlwollend betrachtet könnte man diese Praxis als „allzu menschlich“ durchgehen lassen.

Aber um zu bestmöglichen Entscheidungen zu kommen – und die brauchen wir gerade in Krisenzeiten – müssen Entscheidungstragende diese „blinden Flecken“ in ihrer Entscheidungsfindung anerkennen und für deren Minimierung sorgen – indem sie ganz gezielt die Erfahrung von Menschen einbeziehen, die eben eine andere Lebensrealität haben.

Homeoffice wird zur Belastung vielleicht über Monate

Die aktuellen Problemlösungen in der Coronakrise werden (wieder einmal) von Menschen entschieden, die den „Rücken frei haben“ von Sorgearbeit, die finanziell abgesichert sind und zu wenig mit der Lebenswirklichkeit von Menschen und Familien konfrontiert sind, für die die kommenden Wochen und Monate eine echte Belastungsprobe sind bzw. werden.

In China sind in der Zeit des Coronavirus-bedingten Rückzugs ins Private die Fälle häuslicher Gewalt gestiegen. Interessant wäre zu erfahren, wie sich die Scheidungsraten entwickelt haben. Von einer solchen Folgenabschätzung, geschweige denn von einer gezielten Krisenprävention- oder Unterstützungsmaßnahmen für Familien in Zeiten der Coronakrise habe ich bislang noch nichts gehört, hingegen steht mancherorts sogar der weitere Betrieb von Frauenhäusern und von Unterstützung der Essensversorgung für finanzschwache Familien infrage.

Vielleicht sind diese flankierenden Maßnahmen auch Aufgaben der Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft zum Handeln für diejenigen zu ermuntern, die jetzt Solidarität und Unterstützung brauchen, insbesondere die Menschen mit möglicherweise neu hinzugewonnenen Zeitressourcen geradezu zum Handeln aufzufordern – das bleibt jedoch Aufgabe der Politik. Wie auch die Definition einer fairen Arbeits- und Lastenteilung zwischen Politik, Arbeitgeber*innen und Zivilgesellschaft in dieser Krise.

Das Private muss politisch gesehen werden

Als Expertin für Sorgearbeit und Geschlechterverhältnisse beobachte ich, dass die gegenwärtige Krise gerade ein paar allgemeine Missstände in diesem Feld wieder besonders zutage fördert.

Erstens: Entscheidungen werden (wieder mal) mit unausgewogenem Blick für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unserer Gesellschaft getroffen: Die Lebenslage von Menschen mit Sorgepflichten und der Alltagsanforderung, Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit zu vereinbaren – das sind zumeist Frauen -, wird außen vorgelassen.

Zweitens: Sorgearbeit wird implizit als Selbstverständlichkeit eingefordert. Ihre existenzielle Bedeutung, ihr gesamtgesellschaftlicher Wert und ihre Herausforderungen in einer Gesellschaft mit dem Primat Erwerbsarbeit kommen aber (wieder mal) nicht vor. Wenn Schulen und Kitas schließen, fällt die zentrale Voraussetzung für Erwerbstätigkeit – nämlich die gesellschaftliche Übernahme von Betreuungs- und Versorgungszeit – weg. Sorgearbeit wird behandelt, als erledigte sie sich von selbst oder „nebenher“. Sie zählt nicht.

Drittens: Der ganzheitliche Blick für „gutes Leben“, der neben der physischen Gesundheit eben auch die psychische Gesundheit von Individuen wie von Familien bzw. Lebensgemeinschaften einschließt, fehlt. Die extreme Belastung durch die Verschiebung von Betreuungs- und Versorgungsarbeit von Schulen und Kitas in die privaten Haushalte unter der Bedingung, dass zu Hause nun auch Erwerbsarbeit stattfinden muss, birgt Risiken für das Wohlergehen, eben für die psychische Gesundheit, von Kindern und Erwachsenen. Dies gilt bereits schon jetzt – ohne die Verschärfung durch eine mögliche Quarantäne.

Es ist jetzt in einer solchen Krise das Gebot der Stunde, die zusätzlichen Belastungen und Risiken für Alleinstehende sowie Frauen und Männer mit Sorgepflichten deutlich zu benennen.

Das Private ist (mal wieder) nicht politisch – obwohl es gegenwärtig für das Meistern der Coronakrise und für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt relevanter und damit politischer nicht sein könnte. Die Folgen der Krise könnten vor allem auf Kosten der Menschen gehen, die sich um andere kümmern und für sie sorgen müssen.

Uta Kletzing

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