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Im März besuchte Joachim Gauck Lingiada, einen Ort in Griechenland, in dem die Wehrmacht 82 Menschen ermordete.
© Wolfgang Kumm

Joachim Gauck und Griechenland: Souverän verbindlich

Warum Joachim Gauck recht hat, den Griechen noch einmal die Hand zu reichen.

Einer muss doch den Überblick behalten. Einer muss die richtigen Impulse zur rechten Zeit setzen. Und wenn die Bundesregierung, von der Bundeskanzlerin über den Außenminister bis hin zu den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien im Bundestag, wenn die also allesamt im Täglichen gefangen zu sein scheinen – dann ist es umso besser, dass das Präsidialamt aufpasst. Und dass es in Joachim Gauck einen Sachwalter hat, der des Wortes mächtig ist.

Nicht wortverliebt (was er zuweilen auch ist), sondern darüber hinaus zu dem begabt, was man das Pathos des Augenblicks nennen kann. Der Augenblick war da. Gerade in diesen Tagen, in denen die Kanzlerin beispielsweise der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gedenkt, ist die Initiative geschickt platziert, den Griechen die Hand zu reichen. Noch einmal, immer wieder.

Bundespräsident Joachim Gauck hat Verständnis für die griechischen Reparationsforderungen

Geschichtliche Verantwortung am praktischen Beispiel: Gauck greift die Reparationsforderungen Athens an die heutige Bundesrepublik auf und spricht ihnen nicht gleich in Bausch und Bogen jede Berechtigung ab. Indem er stattdessen Verständnis bekundet, beschämt er einmal diejenigen in Griechenland, die die Deutschen von heute bloß als Nachfahren derer einordnen, die so ein Unheil über die Welt gebracht haben. Ein Unheil, das sich in Reparationsforderungen ausdrückt. Der Bundespräsident nimmt vielmehr die Gelegenheit wahr, sein Wort von der „Verantwortungsgemeinschaft“mit Leben zu erfüllen.

Das ist so pädagogisch wie seelsorgerlich. Denn hier geht es um Verantwortung für das, was gestern war, nicht im unmittelbaren, höchstpersönlichen Sinn, also um die Verantwortung Einzelner. Wohl aber geht es darum, die Verpflichtung zu erkennen, dass von deutscher Seite alles für eine gute Zukunft getan werden muss. Und das ist in diesem Jahr, das ja nicht nur das 70. der Befreiung der Konzentrationslager ist, sondern auch das 25. der Wiedervereinigung, von besonderem Wert. Das allerdings muss Gauck, der als Pastor in der DDR gewirkt hat, niemand sagen, und erst recht nicht nach seinem politischen Werdegang im wieder vereinten Deutschland.

Den Zeitpunkt, auf die Griechen zuzugehen, hat Gauck gut gewählt

Der Zeitpunkt jetzt war vom Präsidialamt auch deshalb gut gewählt, weil die von der Athener Regierung vorgenommene Kopplung der Reparationsforderungen mit der Hilfe gegen die Staatspleite und für den Verbleib im Euro öffentlich ein wenig in den Hintergrund getreten ist. Gut so, denn das eröffnete erst die Möglichkeit, sich dem Thema noch einmal zu nähern. Weil es ja auch – aus Gründen des Selbstverständnis und des historischen Bezugs – notwendig ist, dem nicht auszuweichen.

Im Gegenteil, es zeigt gewonnene, ja errungene Souveränität, über alles Trennende hinweg an eine gemeinsame Zukunft zu denken. Wenn es in Form einer Stiftung sein sollte, die sich genau diesem Ziel widmete, umso besser. Und das ist Pädagogik genug, das wirkt aus sich heraus. Sich von Athen eine verbindlichere Art im Umgang zu wünschen, wie Gauck es tat, war da fast schon zuviel. Aber die Bundesregierung sollte jetzt in seiner Initiative noch eine Möglichkeit sehen, mit Griechenland zu verbindlichen Regelungen zu kommen. In jeder Beziehung.

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