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Zahlreiche Teilnehmer bei einer Demonstration gegen die Corona-Politik.
© dpa/Hauke-Christian Dittrich

„Erheblicher Fanatismus“: Sorge über aggressive Corona-Proteste steigt

Sie pfeifen auf Abstandsregeln und Schutzmasken, manche attackieren sogar die Polizei. Auf Deutschlands Straßen braut sich eine explosive Mischung zusammen.

Es ist eine Minderheit, aber sie ist lautstark und bestimmt derzeit die Bilder in sozialen und anderen Medien: Die Proteste gegen Corona-Maßnahmen und eine mögliche Impfpflicht in Deutschland haben zum Jahresende 2021 stark zugenommen und reißen auch im neuen Jahr nicht ab.

Sicherheitsbehörden befürchten eine zunehmende Aggressivität der Demonstranten. Zuletzt wurden zahlreiche Polizisten in Bautzen, Mannheim und anderswo attackiert und verletzt. Doch wer sind diese Menschen, die Schutzmaßnahmen bewusst missachten und sich staatlichen Anordnungen widersetzen?

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„Impfgegner, 'Corona-Leugner', Politikverdrossene und 'Verlierer' der Krise werden von extremistischen Akteuren und Ideologien gezielt adressiert“, heißt es beim Innenministerium in Stuttgart. Dadurch bestehe die Gefahr einer extremistischen Vereinnahmung und zum Teil auch Radikalisierung dieser Personengruppen. „Der Staat und seine Repräsentanten werden von den Extremisten nicht auf legitime Weise kritisiert, sondern massiv angefeindet.“ Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg könnten Aufrufe aus diesen Kreisen gerade auf „labile Einzelpersonen“ motivierend wirken.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) geht davon aus, dass eine Impfpflicht die Stimmung auf den Straßen weiter anheizen wird. „Mit zunehmender Dauer der Pandemie hat sich die Szene radikalisiert“, sagt er und sieht Menschen in einen gefährlichen Strudel geraten. Die Pandemie habe Spuren hinterlassen, Existenzen vernichtet oder Leute an den Rand ihrer Existenz gebracht. Nun werde der Unmut sichtbar. „Rechtsextremen, Reichsbürgern und Selbstverwaltern gelingt es zunehmend, in die bürgerliche Mitte vorzudringen.“ Vor allem in Ostdeutschland gebe es tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat.

In Ostdeutschland gebe es viele, die Demokratie und Staat kritisch gegenüber stünden

Ähnlich sieht das der Rechtsextremismus-Forscher Johannes Kiess von der Universität Leipzig. In Ostdeutschland gebe es besonders viele Menschen, die der Demokratie und dem Staat generell kritisch gegenüber stünden, meint er. „Man muss aber auch sagen, dass die Landesregierung gerade in Sachsen den sich entwickelnden Rechtsextremismus ignoriert hat. Das Zitat von Kurt Biedenkopf, Sachsen sei immun gegen rechtsradikale Versuchungen, ist dafür symptomatisch.“ Bei den Corona-Protesten seien von Anfang an Rechtsextreme, „Reichsbürger“ und Neonazis dabei gewesen, die versuchten, die sogenannte Mitte der Gesellschaft zu mobilisieren.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern warnt Innenminister Christian Pegel (SPD) davor, dass Verfassungsfeinde das Thema Corona für ihre Zwecke nutzen. Zwar seien die Proteste überwiegend friedlich und „oft getragen aus der Mitte der Gesellschaft“. Pegel forderte die Demonstranten aber zuletzt auf, klare Kante gegen jene Teilnehmer zu zeigen, die mit extremen Positionen und falschen Aussagen nur Misstrauen und Unfrieden stiften wollten.

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Pegels Thüringer Kollege Georg Maier (SPD) rechnet genau wie Wöller mit einer weiteren Radikalisierung eines Teils der Corona- Protestler. Maier warnte sogar davor, dass sich terroristische Strukturen herausbilden könnten. Es spiele Rechtsextremisten in die Karten, dass sich Impfgegner radikalisierten. „Die wollen ja Gewalt auf den Straßen, das gehört zur Strategie dazu.“ Rechte versuchten, aus den Ängsten der Menschen politisches Kapital zu schlagen. Auch und gerade die AfD versuche, „auf dieser Welle zu reiten“.

AfD machte Corona-Pandemie zu ihrem Thema Nummer 1

Tatsächlich hat die AfD die Pandemie zu ihrem Thema Nummer eins gemacht. Während sie etwa in Sachsen zu Beginn den Katastrophenalarm forderte, schwenkte sie mit wachsendem Unmut der Leute im ersten Lockdown um. Inzwischen unterstützt sie Proteste gegen die Corona-Politik offen und fordert unter Hinweis auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit den Verzicht auf zahlenmäßige Beschränkungen.

Der Bautzener AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse - von Beruf Polizist - gab, kurz nachdem zwölf seiner früheren Kollegen bei Protesten in Bautzen verletzt worden waren, den Regierenden Schuld an der Gewaltspirale. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) „und seine Clique“ wollten die Eskalation, erklärte er. „Sie wollen das Chaos.“

Vielerorts registriert die Polizei ein Anschwellen der Proteste. Gab es in der ersten Dezemberwoche 2021 in Brandenburg noch 36 angemeldete Versammlungen, hat sich die Zahl zum Monatsende mit 95 mehr als verdoppelt. Laut Polizei ist ein Großteil der Protestzüge nicht angemeldet. Allein am letzten Montag im alten Jahr seien bei 75 Versammlungen in 62 Orten insgesamt 19.000 Menschen auf die Straße gegangen. In Sachsen-Anhalt - wo es keine zahlenmäßige Beschränkung von Demonstrationen gibt - waren es am gleichen Tag bei 37 Versammlungen etwa 16.700.

Anti-Corona-Proteste auch in Westdeutschland

Nicht anders sieht es im Westen aus. Im Saarland wurden am Montag vor einer Woche bei einer Kundgebung in Saarbrücken rund 3000 Menschen gezählt, in mehreren Städten in Rheinland-Pfalz waren es 8000, in Fulda in Hessen waren etwa 1000. In Bayern liefen Gegner der Corona- Politik am vergangenen Mittwoch noch einmal zu Hochform auf.

Allein in München zogen Tausende von ihnen durch die Innenstadt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) attestierte einem Teil „erheblichen Fanatismus“. Dass einige von ihnen selbst eigene Kinder einspannen oder sich in Einzelfällen sogar bewaffnen würden, sei „etwas, was uns Sorge bereitet“.

Rheinland-Pfalz hat im September erlebt, wohin Radikalisierung führen kann. In Idar-Oberstein wurde ein 20-Jähriger Mitarbeiter einer Tankstelle erschossen, weil er den mutmaßlichen Täter - ein 49 Jahre alter Mann - auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen.

Unwidersprochen bleiben die Demonstrationen jedoch nicht. In Sachsen etwa machen die Initiativen „Bautzen gemeinsam“ und „#Wir lieben Freiberg“ mobil gegen Leugner der Pandemie und Kritiker von Schutzmaßnahmen. Ziel ist es, jenen eine Stimme zu geben, die sich an die Regeln halten. „Es kann nicht sein, dass eine ganze Stadt wegen einer Minderheit in Verruf gerät, denn das Ausmaß ist entsetzlich: Freiberger Produkte werden jetzt schon gemieden, Urlaubsreisen zu uns in Größenordnung storniert“, erklärte Freibergs parteiloser Oberbürgermeister Sven Krüger. (dpa)

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