Terrorfall Amri: Sonderermittler entlastet die Behörden in NRW
Hätte der Attentäter Anis Amri rechtzeitig festgesetzt werden können? Ein Gutachter sieht keine Versäumnisse des Innenministers
Der von der nordrhein-westfälischen Regierung beauftragte Sonderermittler im Terrorfall Anis Amri hat keine wesentlichen Versäumnisse der Behörden des Landes festgestellt. Erhebliche Mängel, die den Anschlag ermöglicht hätten, habe er nicht entdeckt, berichtete der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer am Montag bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. „Da ist nichts, womit man ihn strafrechtlich hätte fassen können.“ Die Behörden hätten es aber versucht.
Die wesentlichen Erkenntnisse gegen Amri stammten aus verdeckten Ermittlungen. Die Verwendung für ausländerrechtliche Zwecke habe der Generalbundesanwalt. „Das war im Nachhinein vielleicht falsch, aber damals durchaus wohlerwogen“, sagte Kretschmer.
Ohne Ausweispapiere
Amri sei angesichts des abgelehnten Asylbescheids ohnehin ausreisepflichtig gewesen. Tunesien habe aber lange behauptet, ihn nicht zu kennen. Letztlich habe er ohne Ausweispapiere nicht in Abschiebehaft genommen werden können. Auch Amris Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht seien nach geltender Rechtsprechung nicht ausreichend gewesen, um ihn in Haft zu nehmen. In Berlin sei er dann als weniger gefährlich eingeschätzt worden, was „leider fatal war“.
Kretschmers Schelte der Berliner Behörden wirkt allerdings einseitig. Am 2. November 2016, sechseinhalb Wochen vor dem Anschlag mit zwölf Toten in Berlin, hatten im GTAZ (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum) Bundessicherheitsbehörden gemeinsam mit ihren Partnern in der Hauptstadt und in Nordrhein-Westfalen festgestellt, im Fall Amri sei auf Grundlage aller vorliegenden Erkenntnisse „kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar“.
Zweifel an der Unabhängigkeit
Die Opposition im Düsseldorfer Landtag hat zudem Zweifel an Kretschmers Unabhängigkeit. Der Jurist hatte sich vor dem Auftrag der Landesregierung auf eine Stelle bei der Universität Bielefeld beworben. Er träte dann in die Dienste des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Staatskanzlei in Düsseldorf sagte am Sonntag, das Berufungsverfahren sei ihr vor Beginn der Gespräche mit Kretschmer zum Fall Amri nicht bekannt gewesen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) wies zudem am Montag neue Vorwürfe zurück. Ein in Medien zitierter Vermerk des Landeskriminalamts über die Gefährlichkeit Amris sei nicht neu und beinhalte keine neuen Erkenntnisse, sagte Jäger. Das LKA habe ermittelt, dass von Amri eine Gefahr ausgehe. Es sei deshalb vor der Erstellung des Vermerkes an den Generalbundesanwalt herangetreten, um ein Verfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat einzuleiten. Die Anregung des LKA, die Abschiebung anzuordnen, sei sowohl im Düsseldorfer Innenministerium als auch im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin erörtert worden. Die Gremien des Bundes und der Länder hätten dafür jedoch keine Rechtsgrundlage gesehen.
Die „Bild am Sonntag“ hatte berichtet, das LKA Nordrhein-Westfalen habe im März 2016 vor einem Terrorangriff von Anis Amri gewarnt. Die Behörde empfahl die Abschiebung des Tunesiers gemäß Paragraf 58 des Aufenthaltsgesetzes für Ausländer. Dies sei angesagt, da „nach den vorliegenden belastbaren Erkenntnissen zu prognostizieren ist, dass durch Amri eine terroristische Gefahr in Form eines (Selbstmord-)Anschlags ausgeht“, steht in dem Vermerk des LKA. Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet sprach von „neuen Enthüllungen“ und nannte sie „dramatisch“. Doch so neu sind die Erkenntnisse nicht.
Frühe Warnungen
In der im Februar 2017 vom Bundesjustizministerium veröffentlichen Chronik zum „Behördenhandeln um die Person des Attentäters vom Breitscheidplatz Anis Amri“ wird mit Hinweis auf einen Spitzel die im März 2016 erkannte Gefahr eines Selbstmordattentats bereits erwähnt. Unter dem Datum 28. März 2016 heißt es: „Durch die in der EK Ventum eingesetzte VP (Vertrauensperson, Anm. d. Red.) wird im Zusammenhang mit den Anschlägen in Brüssel mitgeteilt, dass Amri diese Anschläge befürworte. Amri deutete in diesem Zusammenhang einen möglichen später geplanten Selbstmordanschlag durch Sprengstoffgürtel an“.
Bei der EK Ventum handelte es sich um eine Ermittlungskommission des LKA Nordrhein-Westfalen. Die Beamten ermittelten im Auftrag des Generalbundesanwalts gegen das Netzwerk des Hasspredigers Abu Walaa. Mindestens ein Mitglied der Gruppe um Abu Walaa, der in Dortmund lebende Deutschserbe Boban S., stand in Kontakt zu Anis Amri. Im November ließ die Bundesanwaltschaft Abu Walaa, Boban S. und drei weitere Salafisten wegen des Verdachts auf Unterstützung der Terrormiliz IS festnehmen.
CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen werfen Jäger im Fall Amri schwere Versäumnisse vor und fordern seinen Rücktritt. Der Minister weist die Kritik zurück. Jäger soll nun am Mittwoch vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags auftreten. Bereits am Dienstag soll Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gehört werden. mit dpa/rtr
Frank Jansen
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