Euro-Krise: Solidität und Solidarität
In Brüssel wird darüber verhandelt, wie aus der EU eine Stabilitätsunion werden kann. Die Bundesregierung hat dabei eigene Vorstellungen.
Das Vorhaben gleicht einem Rennen gegen die Zeit: Bis Anfang März soll ein zwischenstaatlicher Vertrag unterschrieben sein, der sämtliche EU-Staaten, die dies wollen, zu einer Stabilitätsunion zusammenschweißt. Mit der Stabilitätsunion wollen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und die anderen Staats- und Regierungschefs in der EU, die eine „Koalition der Willigen“ bilden, das liefern, worauf die Märkte immer wieder dringen: ein deutliches Zeichen zur Stabilisierung des Euro. Am kommenden Freitag findet in Brüssel die zweite Verhandlungsrunde über den neuen Fiskalpakt statt, doch dabei zeichnen sich Differenzen zwischen den beteiligten Staaten ab. Vor allem Deutschland fordert strikte Vorgaben für die Krisenländer in der Euro-Zone.
Dem geplanten Fiskalpakt zufolge sollen die beteiligten Staaten unter anderem Schuldenbremsen in ihre jeweiligen nationalen Verfassungen einfügen und sich zu semi-automatischen Sanktionen für den Fall verpflichten, dass die Neuverschuldung die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) übersteigt. Vor Weihnachten wurde in Brüssel der erste Vertragsentwurf veröffentlicht.
An den Verhandlungen über den Fiskalpakt nehmen sämtliche EU-Staaten teil. Auch die Briten, deren Premier David Cameron beim EU-Gipfel im Dezember eine gesamteuropäische Neufassung des EU-Vertrages vereitelt hatte, sind als Beobachter vertreten. Allerdings kommt die führende Rolle bei den Gesprächen den 17 Euro-Staaten zu. Damit kann auch Dänemark, das zur Jahreswende den EU-Vorsitz übernahm, auf die Gespräche keinen wesentlichen Einfluss nehmen – das Land hat den Euro nicht eingeführt.
Deutschland möchte bei den Verhandlungen erreichen, dass Hilfen aus dem dauerhaften Rettungsschirm ESM für Euro-Krisenländer möglichst an strikte Auflagen für die Empfängerländer geknüpft sind. Deshalb hatte Merkel dafür plädiert, dass der neue Fiskalpakt auf dem ESM aufbauen soll. Aus dem Bundesfinanzministerium hieß es, dass die Bundesregierung auch weiterhin daran festhalte, dass der Fiskalpakt und der ESM aneinander gekoppelt sein müssten. Der Fiskalpakt und der Krisenfonds ESM seien „zwei Seiten derselben Medaille“, hieß es. Sprich: Nur wenn Euro-Krisenstaaten die im Fiskalpakt vorgesehenen Soliditätsbedingungen erfüllen, können sie auch mit der Solidarität der übrigen Euro-Länder bei einer möglichen Vergabe von ESM-Hilfen rechnen.
Damit der Wettlauf gegen die Zeit, den Europas Staats- und Regierungschefs bei der Ausarbeitung des Fiskalpakts unternehmen, nicht an der fehlenden Zustimmung in dem einen oder anderen Mitgliedsland scheitert, ist im Vertragsentwurf ein spezielles Verfahren zum Inkrafttreten der Stabilitätsunion vorgesehen. Danach tritt der neue Vertrag in Kraft, sobald er in neun der 17 Euro-Länder ratifiziert worden ist.
Mit einer solchen Regelung wäre ausgeschlossen, dass der Fiskalpakt an einer möglichen Volksabstimmung im Euro-Land Irland scheitert. Ob in Irland ein Referendum über den neuen zwischenstaatlichen Vertrag abgehalten werden muss, ist derzeit noch unklar. Die britische Zeitung „Sunday Times“ hatte im Dezember einen irischen Regierungsvertreter mit den Worten zitiert, dass die geplante neue Schuldenregel nicht in die Verfassung aufgenommen werden solle, wonach das Primärdefizit, das von konjunkturellen Einflüssen unabhängig ist, höchstens 0,5 Prozent des BIP betragen darf. Eine einfache Gesetzesänderung solle statt dessen genügen. Der Hintergrund: Eine Verfassungsänderung würde ein Referendum nach sich ziehen, eine einfache Gesetzesänderung hingegen wohl nicht.
Um den Fiskalpakt wird es auch beim nächsten Treffen von Merkel und Sarkozy gehen, das für den kommenden Montag in Berlin geplant ist. Das Duo „Merkozy“ steht dabei unter Druck: Noch in diesem Monat wird das Urteil der Ratingagentur Standard & Poor’s darüber erwartet, wie sie die Bonität Deutschlands und Frankreichs einschätzt. Im Dezember hatte die Agentur den Ausblick für das Rating in 15 Euro-Ländern auf „negativ“ gesetzt.
Albrecht Meier