Die wacklige Wahl in Thüringen: So will Bodo Ramelow wieder Ministerpräsident werden
Obwohl Rot-Rot-Grün in Thüringen keine Mehrheit hat, will sich Linken-Politiker Ramelow am Mittwoch wiederwählen lassen – das birgt Risiken. Ein Überblick.
Wenn im Konrad-Adenauer-Haus jemand die „Erfurter Verhältnisse“ erwähnt, kann er sicher sein, ein tiefes Aufseufzen zu ernten. Seit der Landtagswahl in Thüringen im vorigen Oktober herrscht in der CDU-Bundeszentrale Daueralarm.
Nicht genug, dass das Wahlergebnis für die jahrelang dominante CDU ein Tiefschlag war, der bis in die Bundespartei hinein wildes Flügelschlagen und Schuldvorwürfe auslöste. CDU-Landeschef Mike Mohring stellte auch immer wieder den Grundsatzbeschluss infrage, dass Christdemokraten mit der Linken nicht zusammenarbeiten dürfen, genauso wenig wie mit der AfD.
Viel ist geredet, interviewt und gedroht worden. Wenn an diesem Mittwoch im Landtag Bodo Ramelow zur Wiederwahl als Ministerpräsident antritt, kommt es in Erfurt zum ersten Mal zum Schwur. Der Linke hat keine eigene Mehrheit.
Wegen einer – freilich umstrittenen – Bestimmung in der Verfassung stehen Ramelows Chancen trotzdem gut, spätestens nach dem dritten Wahlgang frisch legitimiert in das Wagnis einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung zu starten. Doch das Verhalten von CDU, FDP und AfD kann Folgen haben – nicht zuletzt für den künftigen Umgang mit komplizierten Mehrheiten.
Wie wirbt die Linke für Ramelow?
Bodo Ramelow gibt sich tiefenentspannt. „Wir waren fünf Jahre eine verlässliche Landesregierung und sind auch jetzt wieder erkennbar zum Wohl des Landes bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Ramelow. Am Dienstag haben die Spitzen von Linker, SPD und Grünen den neuen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Damit wurde der Weg frei zur Ministerpräsidentenwahl.
Der Vertrag deutet allerdings schon in seiner Überschrift an, dass das Minderheiten-Trio in den nächsten fünf Jahren auf Hilfe Dritter angewiesen ist. „Gemeinsam neue Wege gehen“ kann man durchaus als Appell an CDU und FDP lesen. Auch inhaltlich stellt der Plan diesen Teil der Opposition nicht vor unüberwindbare Hürden: Da findet sich ein Gründerzuschuss für Meister ebenso wie das Versprechen, die Anwärterzahlen bei der Polizei sollten überprüft und die Stellen „gegebenenfalls“ angepasst werden.
Und dann ist da Ramelow selbst, der so gar nicht ins bürgerliche Linken-Schreckbild passt. Der gebürtige Niedersachse hält sich aus den innerparteilichen Scharmützeln seiner Partei meist heraus. In Thüringen tritt er als Landesvater auf, im Bundesrat als verlässlicher Verhandlungspartner selbst für das CSU-regierte Bayern. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, als Ex-Bürgerrechtler keiner Kumpanei mit der PDS-Nachfolgepartei verdächtig, befand ihn für so ehrenwert, dass er Mohring und Ramelow zum Gespräch bat und zur Kooperation drängte.
Ramelow hat es damit geschafft, vom Hassgegner der CDU zu deren leibhaftigem Spaltpilz zu werden. Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow wirft den Thüringer Christdemokraten denn auch einerseits „Kopflosigkeit“ und „Einbetonieren in Schützengräben“ vor, winkt aber vor der Landtagssitzung zugleich mit dem Zaunpfahl: „Für alle Beteiligten wäre es gut, wenn Bodo Ramelow schon im ersten oder zweiten Wahlgang gewählt wird.“ Wahlen sind schließlich geheim.
Wie umgarnt die AfD die Christdemokraten?
AfD-Landeschef Björn Höcke steht für den besonders rechten „Flügel“ der Partei. Folgerichtig bestand er lange auf Fundamentalopposition, solange die Partei nicht selbst den Regierungschef stelle. Doch Höcke hat seine Strategie gewechselt – ganz im Sinne seines Beschützers. AfD-Übervater Alexander Gauland verfolgt das Kalkül, von rechts einen Keil in die CDU zu treiben. Den Christdemokraten soll es so schwer wie möglich gemacht werden, ihrer Basis die Abgrenzung zu erklären.
Und so geriert sich Höcke, Chef eines der radikalsten AfD-Verbände, neuerdings staatstragend. Er sei bereit, seine persönliche Karriere dem Staatsziel zu opfern, verkündet er im typischen Höcke-Pathos. Kurz nach der Landtagswahl unterbreitete er Mohring ein Angebot: Eine „Expertenregierung“ oder eine von der AfD gestützte Minderheitsregierung wären doch „denkbare Alternativen zum ,Weiter so‘ unter Rot-Rot-Grün“.
Dass die Offerte vergiftet war, gaben Thüringer AfDler im Hintergrund unumwunden zu. Und Höcke drehte weiter auf. Er brachte einen AfD-Ministerpräsidentenkandidaten für eine „bürgerliche Mehrheit“ ins Spiel, der Name Hans- Georg Maaßen fiel. Der Ex-Verfassungsschutzchef winkte gleich ab – er weiß, dass er als CDU-Rechtsaußen mehr Wirkung hat als rechts außerhalb der CDU. Höcke wird das von seiner Umarmungsstrategie nicht abbringen.
Am Mittwoch geht erst einmal ein Parteiloser auf dem AfD-Ticket im Landtag in die Wahl: Christoph Kindervater, ehrenamtlicher Bürgermeister in Sundhausen. Er ist nach eigener Auskunft ein Anhänger der „Werte-Union“ und ihres Promi-Mitglieds Maaßen und hatte sich vorher schon CDU und FDP als Kandidat angedient. Beide lehnten ab und schließen auch aus, für einen AfD-Kandidaten zu stimmen. Bleibt Kindervater bis zum dritten Wahlgang im Rennen, würde das übrigens Ramelow nützen. Der Linke hätte einen Gegenkandidaten, und der Verfassungsstreit ums Wahlverfahren wäre gegenstandslos.
Wie entscheidet sich die CDU?
Die Christdemokraten stecken in Erfurt zwischen linkem Baum und rechter Borke. Vor der Wahl ließ Spitzenkandidat Mohring keinerlei Sympathie für Ramelow erkennen. Die Thüringer hatten auch bedenkenlos mitgestimmt, als der CDU-Bundesparteitag in Hamburg 2018 einstimmig jede Zusammenarbeit mit Linken wie mit AfD ausschloss. Nach dem Wahldesaster der eigenen Partei liebäugelte Mohring plötzlich mit einer Kooperation mit dem Ministerpräsidenten.
Die Überraschung war um so größer, als der Thüringer lange in einem Trio der Jungkonservativen mit Jens Spahn und Paul Ziemiak unterwegs gewesen war. Annegret Kramp-Karrenbauer, auch Kanzlerin Angela Merkel hatten zwar Verständnis für die taktischen Nöte des Parteifreunds in der schwierigen Thüringer Mehrheitssituation. Aber der CDU-Chefin blieb gar nichts anderes übrig, als den Hamburger Abgrenzungsbeschluss hoch zu halten. Denn in ihrer Partei warten Leute wie Maaßen und seine Anhänger nur darauf, dass Grenzen aufweichen – bröckelt der Damm nach links, wäre der nach rechts zur AfD nur noch schwer zu halten.
Als Mohring weiter taktierte, zeigte ihm Kramp-Karrenbauer intern die Instrumente des Parteienrechts bis hin zum Ausschlussverfahren. Die Sprachregelung, auf die man sich schließlich verständigte, lautet: Wenn die CDU einem vernünftigen Vorschlag von Ramelows künftiger Minderheitsregierung zur Mehrheit verhilft, ist das in Ordnung – aber Verhandlungsabsprachen oder Gegengeschäfte würden das Verbot von Koalitionen „und ähnlichen Formen der Zusammenarbeit“ übertreten.
Erledigt ist das Thema damit nicht. In allen ostdeutschen CDU-Landesverbänden gibt es kleinere und größere Gruppen, die eine Öffnung zur AfD anstreben. Der West-Reflex gegen Rechtsradikale ist in der Ex-DDR schwächer ausgeprägt, das Misstrauen gegen Flüchtlinge und andere Fremde stärker verbreitet. Die Lockrufe Gaulands und neuerdings Höckes für „bürgerliche“ Bündnisse finden einiges Gehör, zumal wenn als mehrheitsfähige Alternative – siehe Sachsen, siehe Sachsen-Anhalt – oft nur noch Fast-alle-Parteien-Regierungen bleiben.
Und wie geht’s nun aus?
Für die ersten zwei Wahlgänge scheint die Lage mathematisch eindeutig: Ramelow bekommt keine absolute Mehrheit, der AfD-Kandidat aber auch nicht. Vor dem dritten Wahlgang wollen sich alle intern beraten. In diesem letzten Anlauf sind neue Bewerbungen zulässig. Dass Mohring oder jemand anders für die CDU ins Rennen geht, gilt als unwahrscheinlich. Aber FDP-Chef Thomas Kemmerich hat sich für den Fall der Fälle bereit erklärt. Für ihn könnten Frei- und Christdemokraten guten Gewissens stimmen – Ramelow würde trotzdem Sieger.
Allerdings bliebe ein Restrisiko: Zieht die AfD ihren Kandidaten zurück und stimmt ebenfalls für Kemmerich, wäre der bekennende Cowboy-Stiefelträger plötzlich gewählter Ministerpräsident – ohne Mehrheit, Partner und Plan. Die Aussicht auf ein derart chaosträchtiges Szenario könnte wiederum dazu beitragen, dass es gar nicht erst eintritt. In der CDU gibt es inhaltlich wie taktisch Sympathien dafür, Ramelow glatt durch die Wahl kommen zu lassen. Der CDU-Bürgermeister von Altenburg, André Neumann, ging die Sache direkt an: „Unterstützen wir R2G!“, appellierte er per Tweet an die Parteifreunde im Landtag.