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Mit einem dreieinhalbminütigen Video verkündet Joe Biden seine Präsidentschaftskandidatur.
© HO/Joe Biden 2020 Presidential Campaign/AFP

Der Anti-Trump will ins Weiße Haus: So stehen die Chancen von Joe Biden

Nach langem Zögern ist der ehemalige US-Vizepräsident ins Rennen um das Weiße Haus eingestiegen. Für ihn sprechen Erfahrung und Ansehen. Aber reicht das?

Lange, vielleicht zu lange hat Joe Biden gewartet. Am frühen Donnerstagmorgen hat er dann endlich getan, womit die meisten Beobachter gerechnet und wozu ihn nach Angaben aus seinem Umfeld auch viele gedrängt haben. Joseph Robinette „Joe“ Biden Jr., von 2009 bis 2017 unter Barack Obama Vizepräsident der Vereinigten Staaten, hat angekündigt, wie bereits 19 andere demokratische Politiker im kommenden Jahr als Präsident kandidieren zu wollen – vor allem, um zu verhindern, dass Donald Trump in einer zweiten vierjährigen Amtszeit dem Land noch weiter schaden könne. Diese Motivation unterstrich Biden in seinem dreieinhalbminütigen Ankündigungsvideo.

Der Anti-Trump

In dem Video stellte der trotz fehlender Krawatte staatsmännisch auftretende Biden die Universitätsstadt Charlottesville in Virginia in den Mittelpunkt. Er kontrastierte die Heimat von Thomas Jefferson, einem der amerikanischen Gründerväter und Autor der Unabhängigkeitserklärung, der dem Land revolutionäre Sätze wie „Alle Menschen sind gleich und frei geschaffen“ ins Stammbuch schrieb, mit den verstörenden rechten Aufmärschen von 2017, in deren Folge eine junge Frau starb. Dass Trump danach unter Gegendemonstranten und Rechtsextremen gleichermaßen „sehr feine Leute“ ausmachte, habe ihm verdeutlicht, wie sehr Amerika bedroht sei, sagte Biden. Derzeit finde „eine Schlacht um die Seele dieses Landes“ statt. Er könne nicht einfach nur zuschauen, wenn alles, was Amerika ausmache, in Frage gestellt werde. Die Ansage ist klar: Biden will die USA von Trump befreien, die moralische Autorität wiederherstellen. Die Botschaft passt zu dem 76-Jährigen, der als anständig, politisch erfahren und Mann des Ausgleichs gilt.

Sein Zögern

Dass Biden lange gewartet hat, zum dritten Mal in das Rennen ums Weiße Haus einzutreten, könnte seine Chancen mindern. In der Zwischenzeit haben sich andere Kandidaten schon positioniert und touren fleißig durch die Staaten, in denen früh gewählt wird – auch wenn die Vorwahlen bei den Demokraten erst Anfang 2020 beginnen. Bidens großer Vorteil, seine enorme Bekanntheit nach mehr als 45 Jahren in der Politik, darunter 36 Jahre als Senator für Delaware, schmälert das. Andererseits ist er in der Partei gut vernetzt und wird auf viele wohlhabende Unterstützer zählen können. Gleich am Morgen begrüßte Obama Bidens Kandidatur, allerdings ohne sich explizit für ihn auszusprechen. Wie sehr Biden die jüngst aufgekommenen Belästigungsvorwürfe geschadet haben, ist unklar. Mehrere Frauen hatten berichtet, er habe sie in unziemlicher Weise körperlich berührt.

Sein Alter

Im November wird Biden 77, zum Ende einer möglichen Amtszeit wäre er damit bereits 82 Jahre alt. Er selbst traut sich die Bürde des Amtes aber offenbar zu. Allerdings kommt hinzu, dass gerade viele demokratische Jungstars von sich reden machen. Im Vergleich zu ihnen wirkt Biden wie ein Politiker der Vergangenheit.

Die Konkurrenz

Vor allem Anhänger des texanischen Ex-Kongressabgeordneten Beto O’Rourke fürchten, dass Biden ihrem Kandidaten entscheidende Stimmen wegnehmen könnte. Beide gelten als moderat, werben mit einer positiven Botschaft und konkurrieren um ähnliche Wählergruppen. Ihnen wird zugetraut, die 2016 an Trump verlorenen Wähler etwa im Mittleren Westen zurückzugewinnen. Den fließend spanisch sprechenden „Beto“ mit seinen erst 46 Jahren, seiner Kampagnenfähigkeit und der Gabe, Spenden in rekordverdächtiger Höhe einzusammeln, sehen viele als hoffnungsvollen Herausforderer Trumps.

Neu ins Bild geschoben hat sich in den vergangenen Wochen aber auch der nochmal neun Jahre jüngere Pete Buttigieg, Kleinstadtbürgermeister aus Indiana, schwul, Afghanistan-Veteran, und in der Lage, mit gleich sechs oder sieben Sprachen zu glänzen. In manchen Umfrage hat er sich quasi aus dem Stand weit nach vorne katapultiert. Schon strömen zu seinen Veranstaltungen in Iowa oder New Hampshire mehr Leute als zu denen von O’Rourke, eine bemerkenswerte Entwicklung, kannte seinen Namen Anfang des Jahres doch noch kaum jemand – und richtig aussprechen konnte ihn schon gar niemand. Buttigieg wird nun zeigen müssen, ob das lediglich ein Hype ist oder eine nachhaltig erfolgreiche Kampagne.

Dann gibt es noch den unabhängigen, mit linken Politikansätzen werbenden Senator Bernie Sanders, der bereits 2016 bei den demokratischen Vorwahlen angetreten war und damals Hillary Clinton unterlag. Auch für ihn begeistern sich die Demokraten, trotz seiner 77 Jahre interessanterweise auch viele junge. Er kommt in den meisten Umfragen auf den zweiten Platz, hinter Biden, der in den vergangenen Monaten fast immer vorne lag, obwohl er seine Kandidatur noch gar nicht verkündet hatte. Sanders’ Beliebtheit zeigt auch, wie sehr die Partei inzwischen nach links gerutscht ist, was man gut an der Begeisterung für die junge New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ablesen kann. Das könnte zum Problem für den gemäßigten Biden werden.

Und Trump?

Zu Bidens parteiinternen Konkurrenz gehören zudem die Senatoren Elizabeth Warren, Kamala Harris, Cory Booker, Kirsten Gillibrand und Amy Klobuchar sowie der frühere Arbeitsminister Julian Castro. Vor allem Harris und Booker stehen für die Vielfalt, die die heutige Stärke der Demokraten ausmacht, nicht wenige argumentieren, dass die Partei nicht schon wieder mit einem Mann, schon gar nicht mit einem älteren weißen antreten könne. Andere sagen, das müsse dann eben der Vize-Kandidat ausgleichen.

Präsident Trump kann dem Wettstreit der Demokraten derweil gelassen zuschauen. In seiner Republikanischen Partei gibt es derzeit kaum Widerstand gegen seine erneute Kandidatur.

Juliane Schäuble

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