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Stephan Kohn im April 2018 vor dem Tagungsort des außerordentlichen Bundesparteitags der SPD
© Fabian Sommer/dpa

Autor des Corona-Papiers im BMI: So reagiert die SPD auf die Irrfahrt des Stephan Kohn

Kohn wollte SPD-Vorsitzender werden. Das bekam kaum jemand mit. Nun ist er plötzlich deutschlandweit bekannt. Die Partei hat eine klare Haltung dazu.

Es ist ein Paradebeispiel für die aufgeheizte Stimmung in der Corona-Krise. Man könnte meinen, die Zweifler und Gegner des Regierungskurses von Kanzlerin Angela Merkel hätten nur auf Stephan Kohn gewartet. Bisher wusste selbst das Willy-Brandt-Haus nicht, dass das SPD-Mitglied im Referat „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ des Bundesinnenministeriums (BMI) tätig war.

Seit der Oberregierungsrat mit Briefkopf des Ministeriums die „interne Analyse KM 4“ verfasst hat und diese verschickt hat, zirkuliert das 83-seitige Papier bundesweit. Es gilt als der „Beweis“, dass die Regierung es mit den Maßnahmen völlig übertreibe, von den „BMI-Leaks“ ist die Rede.

Kohn wird als Held und Whistleblower gefeiert, der die Wahrheit aufdecke.

Was dem Ganzen Glaubwürdigkeit verleihen soll: Für sein Papier hat er Forscher und Ärzte nach ihrer Einschätzungen zu den negativen Folgen der Corona-Maßnahmen angefragt. Seine Schlussfolgerung: „Gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements“,  die Coronakrise erweise sich als „Fehlalarm“. Der Schaden durch die Folgen werde weit größer sein als durch die Pandemie.

Im Namen des BMI angefragt

Doch schon Passagen wie „Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer der größten fake-news-Produzenten erwiesen“, zeugen davon, dass es sich kaum um ein offizielles Papier handeln kann.

Kohn hat die Wissenschaftler im Namen des BMI angefragt, aber eine Privatanalyse verfasst. Gleichwohl finden sich Fakten, die stimmen, aber das meiste ist vage und spekulativ, wie die tödlichen Folgen abgesagter Operationen, die Zunahme psychischer Krankheiten die Folgen der Isolation in Pflege- und Altenheimen, der mögliche Verlust an Lebenserwartung durch die gewaltige Rezession.

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Am 8. Mai um 15:34 Uhr drückte der Oberregierungsrat des Bundesinnenministeriums in seinem E-Mail-Programm auf senden. Unter den Empfängern: Sein Vorgesetzter im Ministerium, der Corona-Krisenstab und das Kanzleramt. Auch alle Landesregierungen erhielten eine Kopie, wie die „Zeit” berichtet. Im Betreff der E-Mail stand: „Ergebnisse der internen Evaluation des Corona-Krisenmanagements“. Das angehängte Dokument trug den Briefkopf des BMI, es wirkte also wie ein offizielles Schreiben.

„Er hat gut zu tun“

Nach diesem bemerkenswerten Alleingang ist Kohn von seiner Tätigkeit entbunden worden; ihm droht ein Disziplinarverfahren.

Auf Anfrage des Tagesspiegel antwortet er nicht, schließlich meldet sich sein jüngerer Bruder telefonisch und betont, als Beamter wolle sich Stephan Kohn wegen des schwebenden Verfahrens vorerst nicht äußern. „Er hat gut zu tun“, sagt der Bruder zum großen Echo.

Dieses rührt auch daher, dass ihm zehn Wissenschaftler und Ärzte in einem offenen Brief beisprangen, sie verteidigten seine Analyse und Schlussfolgerungen und machten dem Bundesinnenministerium schwere Vorwürfe. Es waren die zehn Personen, die Kohn als „hochrangige Experten/Wissenschaftler” in seinem Dokument nennt.

[Mehr zum Thema: Zehn vermeintliche Experten und viele Fragezeichen – wie der angebliche Corona-Geheimreport im Innenministerium entstand]

Die Kronzeugen für seine Aussagen also, die dem Konvolut einen wissenschaftlichen Anstrich geben sollen - und das besonders von rechtspopulistischen Kreisen nun ins Feld geführt wird. Doch keiner ist laut der Eigenbezeichnung in dem Brief im Bereich Virologie oder Epidemiologie tätig.

Kohn kritisierte die Migrationspolitik scharf

Der Charité-Virologe Christian Drosten kritisierte kürzlich, was er  zum Teil von „scheinbaren Fachleuten“, höre, entbehre oft jeder Grundlage. Dadurch werde auch „wirklich gefährlichen Verschwörungstheoretikern“ mit teils politischer Agenda der Rücken gestärkt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kohn auf eigene Faust versucht hat, Dinge zu verändern. Am 22. April 2018 sitzt er auf einer Treppe vor dem CongressCenter in Wiesbaden und versucht Unterschriften zu sammeln, um für den SPD-Vorsitz kandidieren zu können - und scheitert damit. Scharf kritisiert er damals die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, hier liegt ein Kontinuum zu vielen derer, die ihm auch heute bei der Corona-Kritik beipflichten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

„Mit der herrschenden Migrationspolitik überfordern wir unsere Gesellschaft nicht nur, wir machen sie kaputt. Die Flüchtlingshilfe geht zu Lasten unserer Bürger und gerade auch zu Lasten unserer SPD-Klientel“, schreibt Kohn  2018.  Er ist dem Ortsverein  Lichtenrade-Marienfelde   zugeordnet. Dessen Vorsitzender ist übrigens SPD-Vizechef Kevin Kühnert, der betont, Kohn  habe seinerzeit beim Versuch, für den Vorsitz zu kandidieren, von seinem Berliner Ortsverein eine Stimme bekommen: „seine eigene“.

Unangenehmer Fall für das Willy-Brandt-Haus

Der Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig es für die politische Debatte sein wird, stärker auf Zweifel bei dem Umgang mit der Pandemie einzugehen, bei scharfer Abgrenzung von all jenen Kräften, die die Krise dazu nutzen wollen, das Fundament der Demokratie auszuhöhlen.

Für das Willy-Brandt-Haus ist der Fall doppelt unangenehm, da schon der frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg bei Zweiflern und Verschwörungsanhängern hoch im Kurs steht - die Videos des Mediziners zur „Corona-Panik“ wurden hunderttausendfach geteilt. Er hatte mit seiner Warnung vor Übertreibungen bei der Schweinegrippe recht, die er als ein Konjunkturprogramm für die Impfstoffindustrie sah.

Das verschafft ihm heute Gehör. Zum Fall Kohn will sich die SPD-Spitze nicht äußern. Eine Sprecherin betont aber,, man  trete Verschwörungstheorien energisch entgegen. „Wir distanzieren uns wie auch das Bundesinnenministerium von dieser fälschlicherweise im Namen des Ministeriums verbreiteten Privatmeinung."

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