Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer: So kann die CDU die Volkspartei der Mitte bleiben
Die CDU und Angela Merkel hatten sich aneinander gewöhnt. Jetzt muss Annegret Kramp-Karrenbauer mit neuen Antworten überraschen. Ein Kommentar.
Streiten, ohne zu verletzen – wenn sich Angela Merkel etwas wünschen wollte, dann das. Und wenn ihr die CDU zum Abschied nach fast 19 Jahren als Vorsitzende etwas schenken wollte, dann das: Unter den Kandidaten für ihre Nachfolge war kein Streit, sondern ein Wettstreit. Von Personen und Positionen, christlich-sozial, wirtschaftsliberal bis hin zum Konservativen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn als Protagonisten der drei großen Strömungen, aus der die eine große entsteht. Die nennt sich Union, und sie ist es auch, im besten Fall. Wie in diesem.
Selbst wenn es am Ende ein wenig ruppiger wurde, so kann Merkel doch stolz sein. Die Regionalkonferenzen, die sie einst erfand, haben ihre Wirkung getan. Sie waren ein Stimmungsaufheller in schwieriger Zeit. Immerhin war es dann doch für viele Christdemokraten ein kleiner Schock, dass die Langzeitchefin aufgab. Die CDU ahnte es, aber das ist ein Unterschied zur Gewissheit. Man hatte sich doch auch aneinander gewöhnt.
Leidenschaft, Energie und Willen
Merkel kann noch aus einem anderen Grund zufrieden zurückblicken. Dieser Parteitag hat sie bestätigt. Und zwar darin, dass sie in diesen Jahren die CDU nicht nur geleitet, sondern sie verändert hat. Der Merkel-Kurs, das unbedingt Moderate, die Bereitschaft, sich über alles Bekannte, Vertraute, Konservative hinaus zu öffnen, die Welt, wie sie jetzt ist, hineinzulassen in die Partei, hat die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer möglich gemacht.
Denn mag AKK, wie sie kurz in der CDU genannt wird, auch konservativer sein, als man es vermuten möchte – sie ist in Gestus und Inhalten der Zukunft zugewandt. Sie hat bei der Kandidatentour und nicht zuletzt auf dem Parteitag Leidenschaft, Energie und Willen gezeigt. Sie hat womöglich die beste Rede ihres Lebens gehalten, aber in jedem Falle wie um ihr Leben geredet. Den Mut, den AKK forderte, hat sie gezeigt; den Aufbruch, den sie verlangt, hat sie vorgelebt. Und in gewisser Weise ist sie, durch Merkel leise ermuntert, ins Offene gegangen, wohin Merkel immer hätte gehen sollen.
Ein Jahr voller wichtiger Wahlen
Alle Herausforderungen dieser Zeit sind von allen genannt worden. In der Welt und daheim, ob Populismus oder Protektionismus oder Digitalisierung oder ÖPNV, kein Thema war zu groß oder zu klein, um nicht angesprochen zu werden. Auch gut war, dass Merz der Partei die Dimension der Veränderungen in all diesen Jahren vor Augen geführt hat.
Daran hatte die CDU teil. Daraus erwächst Stolz. Der neue Stolz soll werden, jedenfalls wenn die neue Vorsitzende Wort hält, dass die CDU wie weiland unter Heiner Geißler in eben jenen Neunzigern neue Antworten sucht. Wenn sie eine Denkfabrik wird, wie AKK sagte.
Und sie muss auch mit neuen Antworten überraschen, weil die Vorsitzende nach Merkel keine Schonfrist hat. 2019 ist ein Jahr voller wichtiger Wahlen. Da braucht es Ideen für Lösungen, nicht nur Überzeugungen. Dass sie 18 Jahre lang erfolgreich „gedient“ hat, dass sie im kleinen Saarland erfolgreich regiert hat, ist noch kein Ausweis dafür, dass AKK auf dem großen Feld die große Union in eine gute Zukunft führen kann. Da ist sie gut beraten, Friedrich Merz und Jens Spahn einzubinden.
Erst jene Strömungen, die sie wesentlich stärker als die Vorsitzende vertreten, machen die CDU zu der Union, die eine Volkspartei der Mitte bleiben soll. Dort, wo Merkel sie über Jahre gehalten hat.
Stephan-Andreas Casdorff