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Annalena Baerbock ist immer noch nicht im Wahlkampf-Modus angekommen.
© Ottmar Winter PNN

Kanzlerkandidatin in der Krise: So kann Annalena Baerbock aus der Defensive kommen

Seit Wochen muss sich die Grünen-Spitzenkandidatin gegen Vorwürfe wehren. Jetzt hilft nur eins: Raus aus der Politikblase, raus zu den Menschen. Ein Kommentar.

Nur ein einziger Kommentar in der „taz“ war es, doch er fand fruchtbaren Nährboden. Die angeschlagene Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, so forderte es eine Redakteurin der Zeitung, möge Platz für den aussichtsreicheren Robert Habeck machen.

Der Co-Parteichef als Einwechsel-Kanzlerkandidat? Eine abenteuerliche Fantasie, die am nächsten Tag jedoch erst die grüne Twitter-Blase und später die gesamte Pressekonferenz von Geschäftsführer Michael Kellner dominierte. Wiederholt und wortgleich dementierte er die Gerüchte, doch der Schaden war da. Das eigentliche Thema der Pressekonferenz verkam zum Randaspekt.

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Dass eine recht absurde Forderung solch enorme Resonanz findet, ist ein Problem, das die Grünen sich selbst eingebrockt haben. Annalena Baerbock und ihr Team haben den Boden bereitet, auf dem ihre Konkurrenten nun ihre Kritik säen.

Die ständige Überhöhung in ihrem Lebenslauf, dazu ein zusammenkopiertes Buch, das eigentlich niemand gebraucht hätte. Und schließlich die unprofessionelle Krisenkommunikation. Als die ersten Plagiatsvorwürfe bekannt wurden, sprach man aggressiv von „Rufmord“, etliche enttarnte Passagen später hat man verbal abgerüstet. Stattdessen geben sich die Grünen jetzt beleidigt, sehen eine Kampagne.

Was hat die Partei erwartet? Nun, da die Grünen einen Führungsanspruch erheben, werden sie geprüft. Das Kanzleramt gibt es von der Union nicht geschenkt. Wahlkampf – so vermittelt es der Begriff – besteht zur Hälfte aus „Kampf“. Doch den hat Baerbock bislang nicht angenommen.

Warum schweigt sie zu Laschets Schweigen?

Nicht ihr Stil, heißt es. Dabei geht es nicht darum, mit Dreck zu werfen und Unwahrheiten zu verbreiten. Sondern: Wo stellt Baerbock ihren Kontrahenten Armin Laschet für sein Schweigen in der Affäre um die wiederholten Entgleisungen des früheren Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen? Kein Tweet, kein Statement, kein Angriff. So bleibt sie in der Defensive, dreht sich weiter um sich selbst.

[Mehr zum Thema: Die Grünen, Annalena und ich – wie Baerbock mein feministisches Weltbild ins Wanken brachte (T+)]

Noch sind es drei Monate bis zur Wahl. So schnell das Momentum gekippt ist, kann es auch wieder in die andere Richtung gehen. Doch dafür müssen die Grünen ihre Strategie wechseln. Gelassener auf Angriffe reagieren, den Gegner härter in der Sache stellen und die eigene Politik besser erklären.

Themen gäbe es zuhauf – auch jenseits vom Klimaschutz, dessen Folgen viele Menschen verängstigt. In der Pflege, bei der Integration, in den Schulen, bei Geringverdienern, den vielen bedrohten Jobs. Die Pandemie hat die vielen sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Land schonungslos offengelegt und verstärkt. Alles Themen, die viele Menschen im Land mehr bewegen als Ungenauigkeiten im Lebenslauf.  

Um hier zu punkten, muss die Kanzlerkandidatin aber den Menschen näherkommen, die sie wählen sollen. Den Feuerwehrleuten, den Krankenpflegern, den Erziehern, den Pendlern, den vielen Facharbeitern. Vor ein paar Wochen hat sie Stahlarbeiter in einem Werk in Eisenhüttenstadt besucht. Hat sich die Zukunftsängste angehört und konnte mit ihrer Expertise Punkte sammeln. Warum nicht häufiger?

Um die Probleme der Menschen kümmern - nicht die eigenen

Wer Wahlen gewinnen will, muss dahin gehen, wo es wehtut. Für die Grünen bedeutet das raus aus den hippen Innenstädten und aufs Land. „Ich komme vom Dorf“, betont Baerbock bei fast jeder Gelegenheit. Doch um den Eindruck abzuschütteln, nur Politik für die besser verdienenden urbanen Mittelschichtsgruppen zu machen, sollte sie sich dort häufiger blicken lassen.

Die Wahl in Sachsen-Anhalt hat den Grünen noch mal schmerzlich vor Augen geführt, wie wichtig die Wählergruppen jenseits der Städte sind. Im Osten tut sich die Partei traditionell schwer, in der östlichen Peripherie schaffte es die Partei fast nirgends über fünf Prozent.

Nur wenn es Baerbock gelingt, sich endlich den Problemen der Menschen in diesem Land zu stellen und nicht ihren eigenen, kann es noch was werden mit ihrem Wahlziel. Dafür darf dann aber auch nichts mehr kommen.

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