Erklärungen zum Fall Jan Böhmermann: So begründen Merkel und Steinmeier ihre Positionen
Die Regierungsentscheidung zum Fall Böhmermann spaltet die Große Koalition. Wir dokumentieren die jeweiligen Erklärungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel:
"Gesetzliche Voraussetzung für die Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ist eine Ermächtigung der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat dieses Ersuchen entsprechend der Staatspraxis geprüft. An dieser Prüfung waren das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium, das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt beteiligt. Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen. (...)
Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. In ihm bedeutet die Erteilung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, sondern lediglich, dass die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden.
Genau in diesem und in keinem anderen Verständnis, genau in diesem und in keinem anderen Gesamtrahmen wird die Bundesregierung im vorliegenden konkreten Fall hinsichtlich des Moderators Jan Böhmermann die von mir eingangs vorgetragene Ermächtigung erteilen.
Darüber hinaus möchte ich Ihnen mitteilen, dass unabhängig von diesem konkreten Verfahren die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Paragraf 103 StGB als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung vorlegen. Der Gesetzentwurf soll noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten."
Gemeinsame Erklärung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas:
"Die Bundesregierung hat heute entschieden, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 104a Strafgesetzbuch (StGB) erteilt wird. Beteiligt an dieser Entscheidung waren das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesministerium des Inneren. Das war eine schwierige Entscheidung. Für beide Alternativen gibt es gute Gründe.
Die SPD geführten Ressorts haben nach sorgfältiger Überlegung gegen die Erteilung der Ermächtigung gestimmt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Bundeskanzlerin.
Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 104a StGB nicht hätte erteilt werden sollen. Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unserer Verfassung. Wir erleben in diesen Tagen eine heftige Debatte über die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit und ihre Grenzen. Die Diskussion darüber, wie wir in Deutschland unser Zusammenleben gestalten, wie wir Freiheit schützen und wo mögliche Grenzen liegen, ist wichtig.
Im Spannungsfeld zwischen öffentlich in Medien geäußerter Satire und dem Schutz der Ehre einzelner Personen ist in besonderem Maße die Zurückhaltung der Bundesregierung geboten. Das Grundgesetz schreibt eine weitgehende Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit vor, ebenso eine strikte Gewaltenteilung. Das ist gut so. Diese Grundsätze sind die Basis unseres demokratischen Gemeinwesens. Wir sind uns darüber einig, dass darüber, wo die Grenze zwischen Kunst und strafbarer Beleidigung verläuft, nicht die Regierung zu entscheiden hat, sondern die unabhängige Justiz.
Eine gerichtliche Prüfung wird ohnehin erfolgen: Präsident Erdogan hat einen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Das ist sein gutes Recht. Es liegt jetzt allein bei der Justiz, über die weiteren Schritte in diesem Verfahren zu befinden auf der Basis von Recht und Gesetz und ohne jede politische Einflussnahme.
Unabhängig davon: Den § 103 StGB und den gesamten Abschnitt "Straftaten gegen ausländische Staaten" wollen wir abschaffen. Die Sonderregelung der Beleidigung von ausländischen Staatsoberhäuptern ist aus der Zeit gefallen. Der Gedanke einer "Majestätsbeleidigung" passt nicht mehr in unser Strafrecht."