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Zu viel Kohle im Strommix. Der Kohlendioxidausstoß steigt seit zwei Jahren wieder. Kohlekraftwerke sind wegen niedriger Kohlepreise sehr wettbewerbsfähig.
© dpa

Klima und Kohle: Sigmar Gabriel sitzt in der Kohlenstoffblase fest

Klimaschutz ist die beste wirtschaftliche Vorsorge. Das wusste Sigmar Gabriel früher auch einmal. Heute redet er ganz anders. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Dieser Umweltminister hatte Schwung. Er besuchte demonstrativ die schmelzenden Gletscher in Grönland und warnte, „dass die Klimakrise sich verschärft“. Es dürfe nicht sein, „dass unsere Kinder und Enkel die Rechnung bezahlen“, mahnte er und wies den Einwand zurück, Klimaschutz schade der Wirtschaft. Tatsächlich sei er gut für die Konjunktur und schaffe „Jobs in der Realwirtschaft“, erklärte er. „Wenn wir der Welt nicht zeigen, dass das funktioniert, wer dann?“

So sprach Sigmar Gabriel noch 2008 und wusste sich darin einig mit Kanzlerin Merkel. Darum vereinbarten sie, den Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland bis 2020 gemessen am Stand von 1990 um 40 Prozent zu senken, und übernahmen damit die Führung in der globalen Klimapolitik.

Die Industrie kann ihren Strom billig kaufen

Nun, sechs Jahre später, ist Gabriel Minister für Wirtschaft – und redet ganz anders. Jetzt warnt er vor „explodierenden Stromkosten“ und der „Abwanderung großer Teile der Industrie“, wenn Deutschland „gleichzeitig aus der Atomkraft und der Kohleverstromung“ aussteige. Das hat zwar gar niemand gefordert. Aber die meisten Fachleute halten es für geboten, jetzt damit zu beginnen und einige alte, besonders ineffiziente Kohlekraftwerke stillzulegen, weil nur so das 40-Prozent-Ziel zu erreichen ist. Das würde keineswegs die Versorgung gefährden, denn die Kohlemeiler laufen oft für den Export. Auch der Schub für die Preise fiele gering aus. Die Industrie kann ihren Strom an der Börse so billig kaufen wie nie, weil die Produktion aus Wind und Sonne ein Überangebot geschaffen hat.

Indirekt hat Gabriel das nun sogar eingeräumt und will die Kraftwerksbetreiber verpflichten, ein bisschen weniger Kohle zu verbrennen. 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr sollen sie einsparen. Das sind 1,4 Prozent der bisherigen Emissionen und ein eher kleiner Beitrag, um die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik zu retten. Warum aber bläst der Wirtschaftsminister zugleich den Popanz des drohenden industriellen Niedergangs auf und verbreitet das Gegenteil seiner früheren Ansichten? Meint er ernsthaft, er könne sich damit als Schutzpatron der Energieindustrie in den SPD-Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen profilieren, um bei Managern und Gewerkschaften Zustimmung für seine Kanzlerkandidatur zu gewinnen?

Wenn ja, dann begeht er einen strategischen Fehler. Denn Gabriels irreführende Polemik schadet in Wahrheit der Wirtschaft. Der Weltklimarat, der die Expertise von mehr als 2000 Wissenschaftlern repräsentiert, lässt keinen Zweifel: Wenn die menschliche Zivilisation stabil bleiben soll, dann dürfen zwei Drittel der bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen nicht genutzt werden. Wer eine moderne Wirtschaftspolitik betreiben will, muss darum jetzt den geordneten Ausstieg aus der Kohle planen. Wer das verweigert, fördert nur milliardenschwere Fehlinvestitionen.

Finanzexperten haben für dieses Phänomen längst einen eigenen Begriff: die Kohlenstoffblase. Gemeint ist, dass all die Unternehmen, die noch immer auf die unbegrenzte Fortsetzung der Energiegewinnung aus Kohle, Öl und Gas setzen, womöglich maßlos überbewertet sind, weil sich ihre auf Jahrzehnte angelegten Investitionen nicht mehr rentieren können.

"Carbon bubble"

Gewiss, noch läuft die Öl- und Kohleindustrie rund. Eine wirksame globale Klimapolitik, die ihr Geschäft verbauen würde, scheint in weiter Ferne. Aber noch ein paar Megastürme und Jahrhundertdürren in den USA und China könnten auch das politische Klima schnell kippen. Viele Kapitalverwalter nehmen die These von der „carbon bubble“ darum sehr ernst. In den USA und Großbritannien haben schon 837 Universitäten, Stiftungen, Pensionsfonds und Kirchenverwaltungen ihr Geld aus der Öl- und Kohlebranche abgezogen, darunter etwa die Rockefeller-Stiftung oder die Universität Stanford. Sogar die Lenker des norwegischen Staatsfonds, mit mehr als 800 Milliarden Dollar Vermögen der größte weltweit, lassen derzeit untersuchen, wie sie ihre Investitionen klimafest machen. Selbst der angekündigte Ausstieg des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall aus dem deutschen Kohlegeschäft hat nicht nur umweltpolitische Gründe. Er dient auch der wirtschaftlichen Vorsorge.

Ebendas ist auch die Aufgabe eines Bundeswirtschaftsministers. Wie riskant es ist, sich dem Unausweichlichen nicht rechtzeitig zu stellen, sollte Gabriel eigentlich von den Stromkonzernen Eon und RWE wissen, für deren Kraftwerke er sich so einsetzt. Seit 2008 haben sie mehr als zwei Drittel ihres Börsenwertes verloren.

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