Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Sigmar Gabriel setzt auf Doppelbotschaft zu Flüchtlingen
Der Wahlerfolg im Norden stärkt Sigmar Gabriel auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur. Der SPD-Chef sendet zwei Botschaften.
Den Wahlsieg der SPD in Mecklenburg-Vorpommern interpretiert Parteichef Sigmar Gabriel als Auftrag, in der Flüchtlingspolitik weiter auf Distanz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu gehen. Eine der Grundlagen des Erfolgs im Norden sei "gute Politik" gewesen, sagte Gabriel am Montag, nachdem er Ministerpräsident Erwin Sellering im Willy-Brandt-Haus mit einem Strauß roter Nelken und Rosen gratuliert hatte. "Und dann hat Erwin eben auch hingehört und ist den schwierigen Fragen wie dem Umgang mit der Flüchtlingsintegration und dem viel zu langen Zögern von CDU/CSU und Frau Merkel eben nicht aus dem Weg gegangen", meinte Gabriel und bekräftigte seine Kritik an der Kanzlerin: "Nur zu sagen ,Wir schaffen’s’, und andere sollen’s dann machen, geht eben nicht."
Indirekt machte der Parteichef damit Merkels angebliches Versagen vor den praktischen Aufgaben der Unterbringung und Integration der Neuankömmlinge für das miserable Wahlergebnis der CDU verantwortlich. Bestätigt sieht Gabriel aber die Wirkung der komplizierten Doppelbotschaft, mit der er seit Monaten das Flüchtlingsthema begleitet: Einerseits bekennt sich die SPD zur offenen Gesellschaft und zur Solidarität mit Schutzsuchenden. Zugleich aber unterstellt sie Merkel Untätigkeit oder gar eine Blockade im Hinblick auf praktische Anstrengungen zur Integration. Zudem fordert sie milliardenschwere Programme zum Wohnungsbau und gegen Arbeitslosigkeit. Sie sollen sozial schwachen Deutschen zeigen, dass die SPD sie beschützt und sie gegenüber den Flüchtlingen nicht benachteiligt ("Solidarpakt").
In einem Punkt hält Gabriel seine Linie: Die SPD hatte von der Union angesichts steigender Prognosen zur Zahl der Schutzsuchenden schon Monate vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vehement Finanzhilfen des Bundes für Länder und Kommunen gefordert, welche die Hauptlast der Unterbringung tragen. Was die Begrenzung der Flüchtlingszahlen angeht, waren Gabriels Botschaften teils widersprüchlich, teils in der eigenen Partei höchst umstritten ("Obergrenze"). Erst im Nachhinein konstruiert der Vorsitzende nun einen "klaren Kurs", der von Malu Dreyers Verteidigung von Merkels Flüchtlingspolitik gegen Herausforderin Julia Klöckner (CDU) bis zu Sellering reicht, der Merkel offen für unbegrenzten Zuzug verantwortlich machte.
Auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur stärkt der Wahlerfolg Gabriel. Falls auch die Berliner SPD in zwei Wochen einen Wahlsieg einfahre und sich der Parteikonvent einen Tag später für das Handelsabkommen der EU mit Kanada ausspreche, sei er nicht mehr aufzuhalten, heißt es in der Partei. Auch auf dem Weg zu einer Zustimmung zu Ceta kam der Parteichef einen wichtigen Schritt weiter: Präsidium (einstimmig) und Parteivorstand (mit einer Gegenstimme) sprachen sich mit Bedingungen für das Freihandelsabkommen aus. Gabriel selbst sagte, es habe sich im Wahlkampf im Norden gelohnt, "die Dinge so anzusprechen, wie die Menschen sie auch empfinden". Die Erfahrung stimme ihn optimistisch, dass auch die Berliner SPD in zwei Wochen als Sieger aus der Abgeordnetenhauswahl hervorgehen werde.