Wohin will die SPD?: Sigmar Gabriel kämpft um die Mitte
Der SPD-Chef will seine Partei für die Wahlkampf 2017 neu ausrichten. Der Parteilinken gefällt das gar nicht. Deshalb gibt es nun Streit.
Mit einer Buchvorstellung kann man in der Politik Signale setzen, die so deutlich sind wie ein Parteitagsbeschluss. Sigmar Gabriel beherrscht diese Kunst. „Dies ist ein gutes Buch“, lobte der Wirtschaftsminister und SPD-Chef, als er am Freitagmorgen in Berlin das dreieinhalb Kilo schwere Werk „Das Deutschland-Prinzip – Was uns stark macht“ präsentierte. Herausgegeben hat den Sammelband der im Streit von der SPD geschiedene frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in seiner Eigenschaft als Kuratoriumsvorsitzender Initiative Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie wird von der Metall- und Elektroindustrie finanziert und lässt für gewöhnlich kaum ein gutes Haar an der SPD. Auch die INSM merke, dass Deutschland ein gutes Land sei, frotzelte der Vizekanzler. Er sei es ansonsten gewohnt, dass die Initiative „jammert und das Schlimme an Deutschland beschreibt“.
Dass Gabriel das Buch ausgerechnet mit Clement vorstellte, dürfte viele Genossen provozieren. Der Protagonist von Gerhard Schröders Sozialreformen 2010 hatte seine alte Partei nicht nur wegen ihrer Distanz zur Agenda 2010 zuletzt hart kritisiert, er macht auch regelmäßig Wahlkampf für die FDP. Die Botschaft vom starken, selbstbewussten Land passt zum Ziel Gabriels, seine Partei stärker in die Mitte zu führen und als Wirtschaftsminister ihre ökonomische Kompetenz zu stärken.
Doch manchmal legt es Gabriel bewusst auf Provokation an. Schon der Schwenk hin zur politischen Mitte, der ohne Bruch mit alten SPD-Gewissheiten nicht zu haben ist, fordert vor allem die Parteilinke in der SPD heraus. Das zeigen auch die jüngsten Reaktionen auf das Strategiepapier mit dem Titel „Starke Ideen für Deutschland 2025“, mit dem Gabriel seine Partei für die Bundestagswahl 2013 neu ausrichten will. Auch darin wird Deutschland wie in Clements Sammelband als „starkes Land“ beschrieben. Doch wichtige Vertreter der Parteilinken sehen den sozialen Markenkern ihrer Partei in Gefahr.
Auf Steuererhöhungen will die Linke nicht verzichten
Vor zwei Jahren sah die Strategie der Genossen noch völlig anders aus als in dem Impulspapier, das vom Präsidium schon im Juni verabschiedet wurde. Es war ein Deutschland der Defizite, der Ungerechtigkeit und der Verlierer, das die Partei im Wahlkampf 2013 beschrieb und aus dem sie die Wähler zu retten versprach – unter anderem durch kräftige Steuererhöhungen. Die Botschaft passte nicht zum damaligen Spitzenkandidaten Peer Steinbrück und überzeugte nur das Kernklientel der SPD – eben 25 Prozent.
Heute geht Gabriel davon aus, dass der potenzielle sozialdemokratische Wähler selbstbewusst ist, aber auch etwas verunsichert angesichts des rasanten Wandels. Vom Bild eines Staates, der für alles sorgt, hat sich der SPD-Chef verabschiedet. Kürzlich warnte er sogar, die Menschen wollten von der Politik nicht „paternalistisch“, also vormundschaftlich, behandelt werden.
Mit Blick auf 2017 soll laut dem Strategiepapier die „arbeitende Mitte“ im Zentrum der strategischen Planung stehen – im letzten Wahlkampf waren es noch die Abgehängten und Verlierer der Gesellschaft. Steuererhöhungen werden darin nicht mehr empfohlen – im Gegenteil. Die SPD sei gut beraten, auf die Frage nach der Finanzierung von Sicherheit durch den Staat „nicht vorschnell mit dem Ruf nach höheren Schulden oder höheren Steuern“ zu antworten. Viele SPD-Linke dagegen sind der Meinung, ohne höhere Steuern sei Gerechtigkeit nicht zu haben.
Auch ganz neue Töne schlägt das Papier an, etwa wenn die Autoren ein „patriotisches Selbstverständnis“ empfehlen. Die Partei solle „sich dazu bekennen, dass sie für einen weltoffenen und verantwortungsbewussten Patriotismus“ stehe. Die Politik der Ausgrenzung des organisierten Rechtspopulismus müsse „ergänzt werden durch eine Dialogoffensive insbesondere der SPD mit denen, die sich in den politischen und ökonomischen Elitendialogen nicht mehr wieder finden“. An dieser Strategie des Zuhörens hatte sich Gabriel auch orientiert, als er zur Jahreswende in Dresden eine Veranstaltung mit Pegida-Anhängern besuchte.
Zudem sollen die Sozialdemokraten sich offenbar an Tony Blairs Leitsatz „Law and order is a labour issue“ („Law and order ist die Aufgabe der Labour-Partei“) orientieren, den zuletzt der sozialdemokratische Innenminister Otto Schily beherzigte. „Die SPD steht für Sicherheit und Schutz vor Kriminalität, Gewalt und Terror“, steht dazu im Text.
Scharfe Töne
Der Parteichef, dessen Gedanken das Papier geprägt haben, hat in jüngster Zeit schon Teile der eigenen Partei verstört: Die Mehrheit im Parteikonvent für die Vorratsdatenspeicherung, die zu einer SPD mit Sicherheitsversprechen passt, gewann er nur knapp. Scharfe Töne in der Griechenland-Debatte zum Schutz deutscher Steuerzahler missfielen sogar Mitgliedern der engeren Parteiführung.
Stolz heißt es in dem Papier, die SPD sei „so geschlossen wie seit langem nicht mehr“. Ob das so bleibt, wenn die innerparteiliche Debatte über Gabriels Kurskorrektur erst richtig Fahrt aufnimmt, ist allerdings ungewiss.
Der Parteichef schickte am Freitag deshalb die Verteidiger des neuen Ansatzes ins Feld. Die stellvertretende Parteichefin Manuela Schwesig nahm das Papier gegen die Kritiker ausdrücklich in Schutz. Es sei „eine gute Grundlage“ für eine Debatte „über die Frage, wie wir in zehn Jahren leben wollen“, sagte die Familienministerin dem Tagesspiegel. Es habe viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, wenn die SPD die arbeitende Mitte in den Fokus rücke. „Die SPD muss die in den Blick nehmen, die täglich arbeiten gehen, für ihre Kinder oder für ihre älteren Angehörigen da sind“, betonte Schwesig. In diesem Zusammenhang müssten die Sozialdemokraten auch über Entlastungen für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen nachdenken.
Der von Gabriel angestoßene Impulsprozess sei „dringend notwendig“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke: „Die SPD muss sagen, wie wir Wirtschaftskraft und Wohlstand für morgen erreichen.“ Dass die Partei wieder mehr über die Arbeitnehmermitte rede, bringe sie „zurück zu vielen Wählern, die der SPD den Rücken gekehrt haben“.