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Der türkische Präsident Erdogan
© AFP

Parlamentswahl in der Türkei: Sieg und Niederlage zugleich für Erdogan

Trotz des hohen Siegs der AKP wird die politische Krise in der Türkei nicht zu Ende gehen. Unter Präsident Erdogan bleibt das Land tief gespalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Der Sieg der türkischen Regierungspartei AKP bei der Parlamentsneuwahl am Sonntag läutet eine neue Periode der Alleinregierung für die Partei ein – doch stabile Verhältnisse sollte in der Türkei niemand erwarten. Es sieht nicht danach aus, als stünde mit der neuen Regierung eine Phase der gesellschaftlichen Versöhnung bevor. Im Gegenteil: Der Streit zwischen den verfeindeten politischen Lagern dürfte noch heftiger werden.

Dabei war es gerade die Sehnsucht der Wähler nach Stabilität, die den neuen Erfolg der AKP ermöglichte. Die Türken wollten keine Teilung der Macht in einer Koalitionsregierung, sondern klare Verhältnisse und ein Ende der politischen Dauerkrise seit der letzten Parlamentswahl im Juni. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.

Längst ist das Land tief zwischen Gefolgsleuten und Gegnern der AKP und von Präsident Recep Tayyip Erdogan gespalten. Oppositionsanhänger, Kurden, Linke, Akademiker, Intellektuelle, Journalisten und andere, die im Visier der AKP und Erdogans stehen, fühlen sich jetzt erst recht ins Abseits gedrängt. Zudem nährt das Verhalten der AKP-Regierung in jüngster Zeit, etwa bei der Ausschaltung kritischer Medien, bei vielen Türken den Verdacht, dass alles noch schlimmer kommen wird. Schon kündigen AKP-Politiker weitere Schritte gegen unbotmäßige Zeitungen und Fernsehsender an.

Für Erdogan persönlich ist das Wahlergebnis Sieg und Niederlage zugleich. Zwar ging seine Rechnung auf, der AKP nach dem Verlust der Parlamentsmehrheit bei der Wahl im Juni mit der Neuwahl rasch wieder zu einer Mehrheit in der Volksvertretung zu verhelfen. Doch mit seinem großen Projekt – der Einführung eines Präsidialsystems – erlitt Erdogan erneut Schiffbruch. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monaten erteilten die Türken den Plänen des Präsidenten für einen Ausbau seiner Vollmachten als Staatschef eine klare Absage: Im neuen Parlament ist die AKP weit von verfassungsändernden Mehrheiten entfernt.

Alles hängt jetzt von Erdogan ab

Zunächst einmal kann Erdogan aber so weitermachen wie bisher. Dank einer willfährigen AKP-Regierung ist er auch ohne Verfassungsänderungen zur Stärkung des Präsidentenamtes der entscheidende Mann im Machtzentrum. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bleibt auf absehbare Zeit eine Marionette Erdogans. Auch das Parlament, die Justiz und die Medien sind zu schwach, um als Kontrollorgane den Präsidenten in die Schranken zu weisen.

Die nächsten regulären Wahlen in der Türkei stehen erst in vier Jahren an. Eigentlich wäre nun also die Zeit für Reformen, etwa in der Europa- und der Wirtschaftspolitik. Auch die Syrien-Krise und das Flüchtlingsproblem erfordern langfristige Lösungsansätze. Mehr denn je hängt es allein von Erdogan ab, wie sich die Türkei diesen Herausforderungen gegenüber verhält.

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