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Wahlsiegerin Dilma Rousseff.
© AFP

Wahlen in Brasilien: Sieg einer eisernen Lady

Während der Fußball-WM war die Popularität von Dilma Rousseff tief gesunken. Das hat sich geändert: Brasiliens Präsidentin kann weiter regieren.

Sie ist einiges gewohnt. Doch dieser Wahlkampf hat sogar an Dilma Rousseff gezehrt. Vor einigen Tagen erlitt die 66-Jährige nach einem Fernsehduell einen Schwächeanfall. Am Sonntag machte die Stimme kaum mehr mit – ihre Rede nach dem knappen Sieg im Rennen um das Präsidentenamt Brasiliens fiel recht knapp aus, aber nicht weniger kämpferisch. Ihr Versprechen, eine Reform des politischen Systems notfalls per Volksentscheid durchzusetzen, könnte für viel Zündstoff sorgen. Denn Rousseff hat einen eisernen Willen.

Folter und Gefängnis

Als Studentin der Wirtschaftswissenschaften schloss sich die Tochter eines bulgarischen Unternehmers und Intellektuellen aus Belo Horizonte den Trotzkisten an. Sie ging in den Untergrund und saß während der Militärdiktatur (1964-1985) drei Jahre lang im Gefängnis, wo sie gefoltert wurde. Nach der Diktatur begleitete sie ihren ebenfalls politisch engagierten Mann in dessen Heimat, den traditionell progressiven Bundesstaat Rio Grande do Sul. Dort zog sie die gemeinsame Tochter auf und machte politische Karriere. Dabei wandelte sie sich von der linken Revolutionärin zur gemäßigten Sozialdemokratin – ebenso wie die Arbeiterpartei von Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Wegen ihres sperrigen Charakters wurden der fleißigen wie wortkargen Frau gerne Verwaltungsaufgaben zugeteilt. So war Rousseff unter anderem Stadtkämmerin in Porto Alegre und Präsidentin des Statistikamtes. Ihre Mitarbeiter fürchten ihre Wutausbrüche; Oberflächlichkeit und Parties hasst die untersetzte Frau, die lieber ein gutes Buch liest.

Von den Kollegen unterschätzt

Nach seinem Wahlsieg 2002 holte Lula die inzwischen geschiedene „eiserne Lady“ als Ministerin für Bergbau ins Kabinett. Dort setzte sie sich für umfassende Investitionen im Energiesektor ein, darunter die neuen Staudämme im Amazonas, und lieferte sich legendäre Gefechte mit Umweltministerin Marina Silva, die jetzt bei der Stichwahl Rousseffs Konkurrenten Aecio Neves unterstützte. Ihre zu dem Zeitpunkt deutlich berühmteren männlichen Kollegen spotteten gerne über die langen, mit Zahlen und Grafiken gespickten Vorträge der Ministerin und krönten sie zur „Power-Point-Königin“. Einige der Lästermäuler, die gerne selbst Lulas Nachfolge angetreten hätten, sitzen heute im Gefängnis. 2005 stürzte das halbe Kabinett über schwarze Kassen zur Wahlkampffinanzierung, Lula ernannte Rousseff zur Kanzleramtschefin und Krisenmanagerin.

Die WM hätte sie fast das Amt gekostet

„Mit ihr wurde es dort ernst“, erinnert sich ein Kollege. Effizienz legte Rousseff an den Tag, doch wenig politisches Fingerspitzengefühl. Mehrmals musste Lula beschwichtigen, wenn sie sich mit Kollegen oder dem Petrobras-Chef in die Wolle bekam. 2009, als Lula sie bereits zur Nachfolgerin auserkoren hatte, wurde bei ihr Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert. Mutig stellte sie sich der Krankheit und als sie nach mehreren Chemotherapien schlanker und in Perücke wieder vor die Kameras trat, schwappte eine Symathiewelle über sie hinweg, auf der sie. Fünf Jahre später errang sie die Präsidentschaft – als erste Frau in der Geschichte des Landes. Ihre Amtszeit begann sie mit einem Paukenschlag: Ein Dutzend korrupte Minister wurden entlassen, der Mindestlohn erhöht, Zinsen gesenkt. Dann kam die Fussball-WM mit ihren Pannen: Verzögerungen, Schlampereien, überteuerte Bauten, die der Staat finanzieren musste – Hunderttausende gingen dagegen auf die Straßen. Sie beteuerte, das gehöre zur Demokratie und empfing die Demonstranten. Doch ihre Popularität fiel in den Keller. Hinzu kam, dass die Wirtschaft stagnierte, und plötzlich warf ihr das Establishment einen rigiden Staatsinterventionismus vor. Trotzdem nahm sie die Herausforderung erneut an. Getreu ihrem Motto: „Das Leben ist kein Zuckerschlecken.“

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