Pressekonferenz in U-Bahn-Station: Selenskyj hofft auf US-Hilfe für deutsche Waffen - und verbittet sich „Selfies“
Bei einer Pressekonferenz fordert Selenskyi erneut Waffenlieferungen aus Deutschland. Zudem droht er Russland mit einem möglichen Verhandlungsabbruch.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhofft sich von den USA Unterstützung für Waffenlieferungen aus Deutschland. „Damit sie (Deutschland) damit beginnen, das zu liefern, was sie haben und das, was sie gerade nicht nutzen“, sagte Selenskyj am Samstag bei einer Pressekonferenz in einer U-Bahn-Station in Kiew.
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Er erinnere bei jedem Gespräch mit deutschen Vertretern daran. Der Krieg sei in der Ukraine und „ihr habt das, was ihr gerade nicht braucht, und wir brauchen sehr viel“, betonte der Staatschef. Besucher seien aktuell sehr willkommen, aber nicht, um irgendwelche „Selfies“ zu machen.
„Man kann heute nicht zu uns mit leeren Händen kommen. Wir erwarten nicht nur einfach Geschenke oder irgendwelche Törtchen. Wir erwarten konkrete Dinge und konkrete Waffen.“ Kiew fordert wegen des seit zwei Monaten laufenden russischen Angriffskrieges von Deutschland die Lieferung schwerer Waffen.
Hochrangige US-Delegation in Kiew erwartet
Am Dienstag wird US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zu einer Ukraine-Konferenz auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz erwartet. Bereits zuvor besucht er an diesem Sonntag Kiew.
„Ich denke nicht, dass es ein großes Geheimnis ist. Morgen werde ich ein Treffen mit dem US-Verteidigungsminister (Lloyd Austin) und mit Außenminister (Antony) Blinken haben“, sagte Selenskyj am Samstag. Er hoffe, dass auch US-Präsident Joe Biden anreise - „sobald es die Sicherheitssituation zulasse“.
Zahlreiche weitere russische Angriffe gemeldet
Russland bestätigte unterdessen den Beschuss der Hafenstadt Odessa im Süden der Ukraine mit Raketen. Dabei sei am Samstag ein Logistikterminal auf einem Militärflugplatz getroffen worden, in dem eine „große Lieferung“ Waffen aus den USA und Europa gelagert hätten, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, der Agentur Interfax zufolge. Die russischen Streitkräfte hätten zudem bei Angriffen unter anderem Depots mit Artilleriewaffen und Raketen, Munition und Treibstoff sowie bis zu 200 Kämpfer getötet. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.
Auch ukrainischen Angaben zufolge gab es bei dem Angriff Tote und Verletzte. „Sieben Raketen flogen heute nach Odessa, zwei haben wir abgeschossen, ein mehrstöckiges Wohnhaus wurde getroffen“, sagte Selenskyj. „Acht Menschen starben, 18 oder 20 Verletzte, ein drei Monate altes Kind wurde umgebracht. Als der Krieg begann, war das Kind einen Monat alt. Was geht hier überhaupt vor?“
Auch an anderen Orten des Landes seien durch russische Attacken Menschen getötet oder verletzt worden, hieß es. Im ostukrainischen Gebiet Luhansk wurden in der Siedlung Solote am Samstag zwei Menschen getötet und zwei verletzt, wie Gouverneur Serhij Hajdaj per Telegram mitteilte. Im benachbarten Gebiet Donezk wurden der Gebietsverwaltung zufolge am Freitag drei Menschen getötet und sieben verletzt. Im Charkiwer Gebiet hat Gouverneur Oleh Synjehubow am Morgen über zwei Tote und 19 Verletzte innerhalb der vergangenen 24 Stunden informiert.
Selenskyj zufolge werde außerdem das Stahlwerk Azovstal mit den letzten Verteidigern der Hafenstadt Mariupol massiv mit Artillerie und aus der Luft angegriffen. „Zu einer militärischen Deblockade Mariupols ist die Ukraine derzeit nicht in der Lage. Und die ukrainischen Soldaten, die sich dort befinden, begreifen das“, sagte er. Das sei die Realität.
Die russischen Streitkräfte kündigten unterdessen an, ihre neue Interkontinentalrakete Sarmat ab Herbst in Dienst zu stellen. Es gehe jetzt darum, die Raketentests zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen, die Reichweiten zu regulieren und die Sarmat (Nato-Codename: SS-X-30 Satan 2) dann dem Militär zu übergeben, sagte der Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, in einem TV-Interview.
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Die russische Führung beschuldigte die USA am Samstag einer geplanten Provokation, um Russland den Einsatz von Massenvernichtungswaffen in der Ukraine unterzuschieben. „Die Inszenierung eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen dient dazu, Russland der Nutzung verbotener Waffen zu bezichtigen, um anschließend das sogenannte „syrische Szenario“ zu verwirklichen, bei dem der betreffende Staat wirtschaftlich und politisch isoliert und zudem aus internationalen Organisationen, wie dem UN-Sicherheitsrat ausgeschlossen wird“, sagte der Chef der ABC-Schutztruppen, Igor Kirillow.
Selenskyj droht Russland mit Verhandlungsabbruch
Selenskyj brachte erneut einen möglichen Abbruch jeglicher Gespräche mit Russland für ein Ende des Krieges ins Spiel. „Wenn unsere Leute in Mariupol vernichtet werden, wenn ein Pseudoreferendum über die Unabhängigkeit in Cherson stattfindet, dann tritt die Ukraine aus allen Verhandlungsprozessen heraus“, sagte er am Samstag in einer unterirdischen Metrostation. Er sei weiter bereit, direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verhandeln, sagte Selenskyj.
Bei der live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz saß Selenskyj auf einem Stuhl auf einer kleinen Bühne. Die Station war von Scheinwerfern erleuchtet und mit Nationalflaggen ausgestattet. (dpa)