Krise im Sahel: Selbstmordattentäter greifen Uranmine und Kaserne in Niger an
Mehr als 20 Tote durch Anschläge von mutmaßlichen Islamisten. Täter aus Mali tragen den Konflikt in das westafrikanische Nachbarland. Die Islamistenmiliz Mujao hat sich zu den Anschlägen bekannt.
Mit einem Abstand von 30 Minuten haben mehrere Selbstmordattentäter im westafrikanischen Niger am Donnerstag zwei Anschläge verübt. Zunächst durchbrach ein mutmaßlicher Angehöriger der malischen islamistischen Miliz Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) mit einem Pick-up die Sperren zu einem Militärlager der nigrischen Armee in der Stadt Agadez im Norden des Landes. Ihm folgten vier weitere Kämpfer mit anderen Fahrzeugen. Es kam zu einer Schießerei mit den Soldaten, woraufhin sich der Attentäter mit seinem Fahrzeug in die Luft sprengte, berichteten Augenzeugen der Nachrichtenagentur Reuters. Ein weiterer Angreifer nahm offenbar zwei bis drei Soldaten als Geiseln und verschanzte sich in der Nähe der Kaserne in einem Haus. Die Armee teilte mit, sie habe das Haus umstellt. 20 Soldaten, ein Zivilist und drei Attentäter seien bei der Explosion umgekommen, teilte das Innenministerium in der Hauptstadt Niamey mit.
Wenig später sprengte sich ein weiterer Attentäter in der gut 250 Kilometer nördlich von Agadez gelegenen Stadt Arlit auf dem Betriebsgelände einer Uranmine des französischen Atomkonzerns Areva in die Luft. Dabei kam ein Mensch ums Leben. Das Unternehmen, dessen Tochtergesellschaft Somair die Uranmine seit den frühen 70er Jahren betreibt, sprach von 14 verletzten Arbeitern. Somair betreibt neben der Mine auf dem Gelände bei Arlit auch eine Uranfabrik. Dort wird aus dem Metall Uranoxid hergestellt, der sogenannte Yellowcake. Das ist das Ausgangsmaterial für die Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke.
Ein Sprecher der Mujao-Miliz, die im Nachbarland Mali im vergangenen Jahr die Region Gao unweit von Nigers Grenze erobert und beherrscht hatte, bekannte sich in einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur AFP zu den beiden Anschlägen. Sie ereigneten sich kurz vor Beginn des Morgengebets gegen fünf Uhr. Am Nachmittag teilte Nigers Verteidigungsminister Mahamadou Karidjo der Agentur mit, die Lage sei nun „unter Kontrolle“.
Niger stellt einen Teil der Friedenstruppe Afisma in Mali, die in wenigen Wochen von der Afrikanischen Union in die Verantwortung der Vereinten Nationen übergehen soll. Niger hat 650 Soldaten ins Nachbarland entsandt, die vor allem in der Region Gao im Einsatz sind. In Mali hatte es in den vergangenen Wochen mehrfach Attentate auf Militärlager der nigrischen Armee, aber auch anderer Truppen, gegeben. Am Donnerstag hat China 500 Soldaten für eine UN-Blauhelmtruppe zugesagt. Es ist das erste Mal, dass sich China an einer Blauhelmtruppe beteiligt. Zwar baut bisher nur der französische Areva-Konzern Uran in Niger ab. Doch der chinesische Uran-Staatskonzern hat sich um Schürflizenzen in dem westafrikanischen Land beworben. Außerdem wird in Niger, wie im Nachbarland Mali, auch Erdöl vermutet, für das sich ebenfalls mehrere Investorenländer interessieren.
Niger ist einer der größten Uranlieferanten der Welt. 2009 wurden hier knapp elf Prozent der Weltproduktion gefördert. Dennoch liegt das Land konstant im untersten Viertel des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen. 70 Prozent der Frauen kann weder lesen noch schreiben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet saisonal unter Hunger. Niger ist zwar ein großes Land, doch mehr als die Hälfte nimmt die Wüste Sahara ein. Lediglich im Süden und entlang des Nigers gibt es für die Landwirtschaft nutzbares Land. In Niger leben neben den Haussa, die auch im Norden Nigerias leben, auch Tuareg und Songai. Wie im Nachbarland Mali haben die Tuareg mehrfach Aufstände angezettelt, gelten aber inzwischen im Vergleich zum Nachbarland als relativ gut integriert. Wie Mali litt auch Niger sehr unter dem Bürgerkrieg im Nachbarland Libyen. Nicht nur, dass damit ein wichtiger Handelspartner wegfiel. Rund 80 000 Arbeiter aus Niger, die in Libyen ihr Geld verdient und ihre Familien zu Hause unterstützt hatten, kamen wegen des Bürgerkriegs in ihr verarmtes Land zurück.
Seit 2011 wird Niger nach einem Militärcoup wieder demokratisch regiert. 2010 hatte der Armeeoffizier Salou Djibo den langjährigen Präsidenten Mamadou Tandja gestürzt, weil dieser sich entgegen der Verfassung eine dritte Amtszeit sichern wollte. Zum Präsidenten gewählt wurde Mahamadou Issoufou, der sich sehr darum bemühte, die Tuareg-Minderheit in die Regierung einzubeziehen. Sein Vize ist Tuareg, ebenso der Bürgermeister von Agadez. Issoufou war in den achtziger und neunziger Jahren selbst Chef der Uranminen. Die Umweltbilanz des Uranabbaus in Niger ist ziemlich verheerend. Rund 35 000 Tonnen radioaktiv verstrahlter Gesteinsabfälle sollen in der Region um Arlit lagern. Vor allem der strahlende Staub ist ein großes Gesundheitsproblem für die rund 80 000 Einwohner der Wüstenstadt um die Uranminen. Das größte Risiko für die Bewohner ist nicht das Uran selbst, das relativ schwach strahlt. Gefährlicher ist das natürlich vorkommende radioaktive Gas Radon, das bei den Minenarbeiten freigesetzt wird und das Risiko an Lungenkrebs zu sterben deutlich erhöht. Das Europaparlament hat schon 2010 einen Bericht über die Umweltauswirkungen des Uranbergbaus in Niger und Gabun in Auftrag gegeben. Sie finden den Bericht zum Download hier.
Die instabile Lage in Mali wie im Norden Nigerias beunruhigt Issoufou schon lange. Derzeit leistet sein Land nicht nur Militärhilfe in Mali, sondern auch in Nigeria, wo die Regierung die islamistische Sekte Boko Haram erneut militärisch zu vernichten versucht. Vor wenigen Tagen hat der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan im Nordosten Nigerias den Ausnahmezustand ausgerufen und hat eine massive Militäraktion in Gang gesetzt. 2009 hat die nigerianische Armee schon einmal versucht, Boko Haram militärisch zu schlagen, mit dem Ergebnis, dass sich die Sekte neu formierte und seit gut drei Jahren mehrere Tausend Menschen bei Anschlägen getötet hat.
Dagmar Dehmer
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