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Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet am Sonntagabend bei seinem Auftritt im Konrad-Adenauer-Haus.
© imago images/Political-Moments

Die Union stürzt ab: Selbsterschöpfung einer Partei

Armin Laschet zieht nicht, Olaf Scholz dagegen schon. Aber der Einbruch der Union hat tiefere Gründe – am Kandidaten allein lag es nicht. Eine Wahlanalyse

Die Wahl ist gelaufen. Das Ergebnis vom Sonntag hat sich aber länger angebahnt. Über Wochen hinweg hat der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim den Wahlkampf beobachtet. Zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa hat er eine recht hohe Zahl an Wahlberechtigten befragt. In der zweiten Runde der Befragung, die in den ersten beiden Septemberwochen durchgeführt wurde und deren Ergebnisse kurz vor dem Wahltag publik wurden, waren es fast 15000 Teilnehmer. Es ging dabei nicht zuletzt um das Spitzenpersonal.

Denn ein Merkmal dieser Bundestagswahl 2021 war, dass die führenden Politiker eine größere Rolle spielten als Themen. Personalisierung ist seit jeher ein Mittel, um einerseits bestimmte Themen zu transportieren, aber andererseits auch davon abzulenken, dass es eben an prägenden Themen fehlt. Vor allem den Grünen gelang es nicht, ihre Kernkompetenz bei der Klimapolitik massiv in den Vordergrund zu rücken, um so den Wahlkampf thematisch zu prägen. Möglicherweise haben sie ihrer Kampagne selber den Schwung genommen, indem sie früh die Frage einer grünen Kanzlerschaft nach oben rückten, indem sie Annalena Baerbock als Kandidatin präsentierten.

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Doch das hatte nicht die erhoffte Wirkung. Baerbock schlug sich zwar nicht schlecht angesichts der Umstände – sie hatte früh mit massiven persönlichen Angriffen zu kämpfen. Dennoch fallen ihre Werte insgesamt keineswegs schlechter aus als die der anderen Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Olaf Scholz. Nach der Hohenheim-Studie hat sie in puncto Tatkraft die Nase sogar leicht vorn: 27 Prozent der Befragten verbanden sie mit dieser Eigenschaft, bei Scholz waren es 26 Prozent, Laschet kam nur auf acht Prozent. Bei „Bürgernähe“ lagen die drei fast gleichauf: Scholz 26, Baerbock 23, Laschet 22 Prozent.

Kein Kandidat überzeugte ganz

Aber diese Zahlen zeigen auch: Weder Scholz noch Baerbock noch Laschet konnten wirklich überzeugen. Und ihre Parteien brachten es nicht fertig, die Defizite der jeweiligen Spitzenperson mit mehr Teamwork und forcierter Themensetzung auszugleichen. Die SPD zog in dieser Situation den Schluss, dass angesichts der vergleichsweise noch größeren Personalprobleme von Union und Grünen das Setzen auf Scholz zumindest einen kleinen Vorteil bringen würde. Das hat sich als richtig erwiesen: Dank dieser Strategie gelang es am Ende, aus dem Umfragetief zu kommen und am Ende besser abzuschneiden als 2017.

Laut Infratest dimap sagten 37 Prozent der SPD-Wähler, der Kandidat habe für ihre Stimme den Ausschlag gegeben. Das ist nahe am Wert von Gerhard Schröder im Jahr 1998. Wegen Laschet wählten nur 19 Prozent die Union – ähnlich schwach war aber auch der Wert von Angela Merkel 2005. Aber trotz Scholz gelang es der SPD nicht, sich deutlicher von der Union abzusetzen. Es reichte zu einem Ergebnis auf dem Niveau von 2009 und 2013 – deutlich höher als mit Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück ging es für die Sozialdemokratie auch mit Scholz nicht.

SPD-Erfolg bei den Älteren

Scholz zog vor allem bei älteren Wählern. Nach den Erkenntnissen der Forschungsgruppe Wahlen überholte die SPD in der Gruppe „60plus“ jetzt knapp die Union mit 35 zu 34 Prozent. Während die „Groko“ hier also eine beträchtliche Mehrheit hat, haben sich die jüngeren Wähler weitaus stärker für die Oppositionsparteien entschieden. Bei Wählern unter 30 kommen die Grünen auf 22 Prozent, die FDP hat in der Altersgruppe 20 Prozent, die Linke immerhin noch acht Prozent.

Das richtige Plakat: Die SPD setzte ganz auf Olaf Scholz.
Das richtige Plakat: Die SPD setzte ganz auf Olaf Scholz.
© John Macdougall/AFP

Während nach Brettschneiders Erhebung sowohl Scholz als auch Baerbock im Lauf des Sommers ihre Werte etwas verbessern konnten, gelang Laschet das nicht. Im Gegenteil: Er fiel noch leicht zurück. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident konnte auch bei Stammwählern und potenziellen Wählern der Union nicht genügend punkten. Brettschneider macht daher für den gesamten Wahlkampf ein „Mobilisierungsproblem innerhalb der CDU/CSU-Anhängerschaft“ aus. Sein Fazit kurz vor der Wahl: „Wenn die CDU/CSU gewinnen sollte, dann nicht wegen Armin Laschet, sondern trotz Armin Laschet.“

Union mit Mobilisierungsproblem

Der Einbruch gegenüber dem Wahlergebnis von 2017, als die Union 32,9 Prozent erreichte - allein das Resultat eines schwachen Auftritts des Kanzlerkandidaten? Wohl kaum. Das Problem der Union scheint tiefer zu reichen. Darauf deutet das Ergebnis einer Frage in der Hohenheim-Studie, die letztlich auf die Bindung und Loyalität der Anhänger der einzelnen Parteien zielte (siehe Grafik). Positiv oder sogar sehr positiv schätzt, wie man es erwarten kann, ein Großteil der Wählerinnen und Wähler von Grünen, FDP, AfD SPD und Linken „ihre“ Partei ein. Daraus folgt eine hohe Mobilisierungsbereitschaft. Bei der CSU dagegen sind es nur 64 Prozent – trotz des Einsatzes von Parteichef Markus Söder, der sich bis in die letzten Wahlkampftage hinein als „bessere Hälfte“ des Unions-Spitzenduos gerierte.  Und bei der CDU gaben nur 59 Prozent der Anhänger an, die Partei, der sie am ehesten zuneigen, positiv zu sehen.

Was sich da andeutet, ist eine Art Selbsterschöpfung eines Wählerpotenzials nach 16 Jahren Regierungsführung. Das zeigen Erkenntnisse sowohl der Forschungsgruppe als auch von Infratest: Die Union bricht bei der Kompetenzzuschreibung geradezu ein, nicht zuletzt auf den Themenfeldern Wirtschaft und Zukunftsgestaltung. Die Union hat damit ihren Nimbus als „Partei der Sicherheit“ eingebüßt.

Nach einem sich über mehr als zwei Jahre hinziehenden Führungsstreit – erst um den CDU-Vorsitz, dann um die Kanzlerkandidatur – dürften viele Unions-Anhänger Zweifel bekommen haben, dass die „Siegesfähigkeit“ der Union noch so virulent ist wie gewohnt. Die Wähler-Koalition, die sich hinter der Merkel-Union zusammengefunden hatte, geriet ins Zerbröseln, als es in dem Führungsstreit auch um die künftige Richtung der Partei ging, ohne dass sich eine der Richtungen deutlich als Gewinner herausschälen konnte. Das konnte Laschet in einem ohnehin wenig fokussierten und polarisierten Wahlkampf dann nicht mehr richten.  

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