Linksextreme Gewalt eskaliert: Seit Silvester vier Anschläge mit Brandsätzen und Sprengstoff
Die autonome Szene ist noch stärker in Wut als sonst schon. Nach der Inhaftierung einer Anführerin aus Leipzig wächst die Terrorgefahr.
Die Gefahr linksextremen Terrors nimmt weiter zu. Seit Silvester haben mutmaßlich Täter aus der autonomen Szene vier Anschläge verübt.
Der jüngste Angriff ereignete sich in Thüringen. In der Nacht zu Montag explodierte an einem Treffpunkt von Rechtsextremisten in Eisenach ein Sprengsatz, mehrere Scheiben gingen zu Bruch. Der oder die Täter sprühten die Parole „Fight Nazis Everyday“ auf die Fassade des Lokals „Bull’s Eye“. Die Polizei räumte das Haus. Eine Antifa-Gruppe hatte die Gaststätte bereits im Oktober 2019 gestürmt und mehrere Gäste verletzt.
In der Nacht zum vergangenen Sonnabend gingen in Braunschweig auf dem Gelände der Landesaufnahmebehörde (LAB) Niedersachsen zehn Transportfahrzeuge und ein Anhänger in Flammen auf. Der Sachschaden beträgt eine halbe Million Euro. Ein gleichzeitiger Anschlag auf ein Gebäude der LAB in Hannover misslang, die Brandsätze zündeten nicht. Die Behörde ist Anlaufstelle für Asylsuchende und auch für den Vollzug von Rückführungen zuständig.
Zu den Angriffen bekannte sich auf dem linksextremen Internetportal „de.indymedia.org“ eine anonyme Gruppe mit den Worten, „wir haben das mörderische Abschiebesystem angegriffen“. Nach den Attacken warnte Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD), „wir stellen in Niedersachsen eine starke Radikalisierung der Szene fest, die sich zu einer terroristischen Struktur entwickelt“.
Das Sprachrohr für die Militanz bleibt zudem trotz staatlicher Repression erhalten. Das Verbot, mit dem 2017 der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Plattform "linksunten.indymedia" mundtot machte, wird längst von "de.indymedia.org" unterlaufen.
Aufruf zu Angriffen auf den Staat
In Leipzig steckten am Silvesterabend Linksextremisten sieben Geländewagen der Bundeswehr in Brand. Die Fahrzeuge wurden zerstört, die Flammen beschädigten weitere. In diesem Fall erschien ebenfalls bei „de.indymedia.org“ ein Bekennerschreiben. Die Täter nannten sich „Happy New Fear“ und verkündeten „Auf ein kämpferisches Jahr 2021“.
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Nur Stunden vor dem Anschlag hatten „Autonome Gruppen“ bei Indymedia ein „offensives Jahr 2021" angekündigt. Das Manifest richtete sich offenbar an die autonome Szene bundesweit. Aufgerufen wird zu „Angriffen auf den Staat, seine Repressionsorgane und Institutionen der Justiz“. Im nächsten Satz sagen die Linksextremen „Knastprofiteur*innen, Ausländerbehörden und privaten Sicherheitsdiensten den Kampf an“. Die dann folgenden Attacken in Leipzig, Braunschweig, Hannover und Eisenach sind offenbar Teil einer linksextremen Militanzoffensive.
Galionsfigur der Autonomen in U-Haft
Die autonome Szene ist noch stärker in Wut als sonst schon. Eine Galionsfigur, die Studentin Lina E. aus Leipzig, sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen sie und weitere Autonome wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Lina E. soll Anführerin der Gruppe gewesen sein, die im Oktober 2019 in Eisenach das „Bull’s Eye“ überfiel. Der Sprengstoffanschlag vom Montag auf das Lokal ist offenbar eine Rache für die Inhaftierung von Lina E.
In dem Bekennerschreiben zum Brandanschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge in Leipzig wird zudem „Freiheit für Lina“ gefordert. Die Sicherheitsbehörden halten die autonome Szene der Stadt für das derzeit aggressivste linksextreme Spektrum in der Bundesrepublik.
Boris Pistorius, in der Innenministerkonferenz Sprecher der Ressortchefs aus der SPD, hat wenig Hoffnung, dass der militante Linksextremismus rasch eingedämmt werden könnte. "Wir nehmen auf Landes- und Bundesebene wahr, dass der Linksextremismus insgesamt in den vergangenen Jahren gewaltbereiter geworden ist und dass es mehr gewaltbereite Personen gibt", sagte Pistorius am Montag dem Tagesspiegel. Diese Szene sei zudem "sehr geschlossen, es gibt etwa wenige Aussteiger, das macht gerade Präventionsarbeit schwierig". Pistorius kündigte an, auch beim nächsten Treffen der Innenministerkonferenz im Juni werde der gewaltorientierte Linksextremismus genauso intensiv besprochen wie jetzt im Dezember bei der Zusammenkunft der Minister, die wegen Corona vor allem virtuell ablief.