Transparency International-Gründer Peter Eigen: Sein durchsichtiges Manöver
Irgendwann war es Peter Eigen zu viel. Da hatte der Weltbank-Mann schon Millionen Dollar in den Taschen korrupter Politiker verschwinden sehen. Schluss jetzt!, fand er – und gründete Transparency International.
Als sich der langjährige Regierungsberater Peter Eigen anfing zu fragen: „Was mache ich hier überhaupt?“, arbeitete er im Ostafrikabüro der Weltbank in Nairobi. Die Erkenntnis, dass Korruption Diebstahl am kleinen Mann und an der kleinen Frau ist, war da, Ende der 1980er Jahre, noch kein Gemeingut. Im Gegenteil. Korruption wurde in Chefetagen, Entwicklungsministerien und Hilfsorganisationen als zwar lästiges, aber auch unausweichliches Übel betrachtet.
„Es galt als notwendig, zu bestechen. Alle taten es“, beschreibt Eigen rückblickend die Haltung in jener Zeit. Er sitzt in seinem kleinen Büro in Berlin-Moabit, umgeben von Fotos seiner Familie und seiner Stationen im Kampf gegen die Korruption. Der inzwischen 75-Jährige denkt gar nicht daran, aufzuhören. Gemeinsam mit Gesine Schwan – die beiden sind seit 2004 verheiratet – arbeitet er an der Brandenburger Humboldt-Viadrina School of Governance daran, die junge Generation zu guten politischen, unternehmerischen und zivilgesellschaftlichen Führungskräften auszubilden.
In Kenia war Eigen die Korruption damals „unerträglich geworden“. Er fing an, Leitlinien zu entwickeln, wie große Infrastrukturprojekte etwa im Straßenbau „sauber“ abgewickelt werden könnten. In einem Fall beschwerte sich Eigen darüber, dass ein bereits als korrupt überführtes Unternehmen bei einem von der Weltbank finanzierten Projekt nicht ausgeschlossen wurde. Seine Beschwerde blieb wirkungslos. Nun fing Eigen an, gemeinsam mit seinen Kollegen darüber nachzudenken, wie der großen Korruption beizukommen wäre. Die Idee: eine weltweite Transparenzoffensive.
Ein paar Monate später wurde Peter Eigen nach Washington beordert, in die Zentrale der Weltbank, der wichtigsten Entwicklungsbank. Auf dem Flug war er bester Laune, malte sich im Geiste schon aus, wie der damalige Weltbankchef Barber B. Conable ihn für seine Initiative belobigen würde. Doch es kam anders. Als er in der Weltbankzentrale angekommen war, spürte er schon, dass die Stimmung dort keineswegs so gut war wie seine eigene. Seine Initiative wurde als störend empfunden, und Conable verbot ihm während des Gesprächs sogar, in seiner Freizeit Strategien gegen Korruption zu entwickeln, das sei „unprofessionell“, hielt Conable Eigen vor.
In seinem Büro und mehr als 20 Jahre später lächelt Eigen, lehnt sich zurück und atmet hörbar aus. „Die Weltbank hatte eine Nichteinmischungsdoktrin. Und Korruption galt als ,innere Angelegenheit‘“, sagt er noch heute indigniert. Er hat das auch damals nicht akzeptiert. Er ließ sich nicht verbieten, es mit der Krake Korruption aufzunehmen. Stattdessen kündigte er und kehrte nach Berlin zurück. Daran hatte auch seine 2002 verstorbene erste Frau Jutta, eine Ärztin, die in den Slums gearbeitet hatte, großen Anteil. In Eigens Jahren bei der Weltbank hatte sie öfter als einmal vor dem Gebäudekomplex in Washington protestiert, während er drinnen am Schreibtisch saß, erzählt er grinsend. „Sie war viel kompromissloser als ich.“ 1993 gründen Eigen und neun Mitstreiter die Antikorruptionsorganisation Transparency International; die Weltorganisation in Den Haag und danach die deutsche Sektion in Berlin. „Damals war in Deutschland Korruption in Entwicklungsländern nicht nur erlaubt, sondern sogar steuerlich absetzbar“, erinnert sich Eigen. Und so flossen nach seiner Schätzung bei Großprojekten wie Staudämmen oder Straßen rund ein Drittel der bereitgestellten Mittel in die Taschen korrupter Politiker. Damit sollte Schluss sein.
Dass es aber in einer durch und durch korrupten Gesellschaft nahezu unmöglich ist, alleine aus dem System auszusteigen, war Eigen klar. Deshalb kamen auf seine Initiative 1994 Chefs verschiedener international agierender Unternehmen und der damalige deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker vier Mal zusammen, um darüber zu sprechen, wie der Korruption zu entkommen wäre. Eigen brachte einige von ihnen dazu, für konkrete Projekte Erklärungen zu unterschreiben, nach denen sie auf Bestechung verzichten und im Fall eines Verstoßes Vertragsstrafen akzeptieren. Für diese konkreten Ausschreibungen klapperten Eigen und seine Mitstreiter alle Bieterfirmen ab, um sie alle für ein sauberes Angebot zu gewinnen.
Große und alltägliche Korruption
Darauf konnte Peter Eigen schon stolz sein. Aber mindestens ebenso wichtig war es, in den korruptionsanfälligen Ländern Mitstreiter zu finden. Und so könnte Peter Eigen noch viel stolzer sein, wenn er an den Kenianer John Githongo denkt, dessen Lebensgeschichte ohne seine Transparenzidee vermutlich ganz anders verlaufen wäre.
Githongo, Jahrgang 1966, hat Ende der 90er Jahre schon einiges von der Welt gesehen. Er hat im Ausland studiert und arbeitet als Journalist beim „East African“ einer analytischen Wochenzeitung der Nation-Media-Gruppe des Aga Khan, des größten Medienhauses in Ostafrika. Außerdem ist er Korrespondent für das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“. Githongo hat also schon einen Namen, als er sich dem Kampf gegen die Korruption verschreibt – und 1999 den kenianischen Ableger von Transparency International gründet. Da ist der ewige Diktator Daniel arap Moi noch an der Macht. Der Kampf gegen die Korruption wird für Githongo ein Lebensthema wie für Peter Eigen auch.
Githongo schreibt trotz der Repression der Moi-Ära mutig gegen die Korruption der herrschenden Klasse an. Was ihn und Eigen verbindet, ist ihr Interesse an der „großen Korruption“, also der, die in die höchsten Staatsämter reicht. Er denkt damit anders als viele Kenianer. Die haben ein viel größeres Interesse daran, der alltäglichen Korruption zu entkommen. Dabei geht es um Polizisten, die um den 20. eines Monats herum Straßensperren aufbauen, um sich so ein Zusatzeinkommen zu verschaffen, weil ihre magere Bezahlung nicht für den ganzen Monat reicht. Den „Chai“ (eigentlich Tee, aber gebräuchlich für die kleine finanzielle Aufmunterung), damit die Antragsformulare für den Reisepass nicht zum dritten Mal „verschwinden“. Oder die Sicherheitskräfte, die von Fahrern der Kleinbusse, der Matatus, der wichtigsten „öffentlichen“ Verkehrsmittel, Wegezölle kassieren, die auch nicht vom Gesetz gedeckt sind.
2002, in den Monaten nach der Wahl, gingen die Fahrgäste der Matatus mehrfach auf diese Sicherheitsleute los. Ihnen war es Ernst mit dem Ziel eines „Kenia ohne Korruption“. Es war die Wahl, die das Ende der Herrschaft von Moi besiegelt hatte, die Mwai Kibaki an die Macht brachte – und John Githongo für kurze Zeit zu einem bedeutenden Mann machte. Dass Kibaki die Wahl gegen den von Moi bevorzugten Sohn des Staatsgründers Uhuru Kenyatta gewonnen hatte, lag auch an seinem wichtigsten Wahlversprechen: dem Kampf gegen die Korruption. Und John Githongo war der lebende Beweis, dass Kibaki es ernst meinte. Der Präsident hatte ihn direkt seinem eigenen Büro zugeordnet.
2005 flüchtete der Anti-Korruptionsbeauftragte aus Kenia
Am Anfang von Githongos Amtszeit stand die Aufarbeitung des vielleicht größten Korruptionsfalles der Moi-Ära, der sogenannte Goldenberg-Skandal. Dabei ging es um Exportsubventionen für Gold, das in Kenia zu jener Zeit gar nicht gefördert worden war. Nutznießer waren ein reicher indischstämmiger Geschäftsmann und mit hoher Wahrscheinlichkeit der damalige Präsident Moi selbst. Besagter Geschäftsmann wurde übrigens vor wenigen Wochen vom obersten Gerichtshof Kenias freigesprochen.
Und dann kam 2005 der Moment, in dem es John Githongo mit der Angst zu tun kriegte. Es war ein früher Abend in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Er saß im fünften Stock des Finanzministeriums im Stadtzentrum, draußen staute sich der Verkehr wie immer. Drinnen saß Githongo mit dem Finanzminister und dem Justizminister zusammen und diskutierte heftig, als er zu seinem Schrecken eine etwas metallisch klingende Stimme vernahm, die aus seinem eigenen Hemd heraustönte. Githongo hatte sich mit einem Aufnahmegerät verkabelt, um seine korrupten Kollegen überführen zu können, und nun spielte die Technik verrückt. Er entschuldigte sich laut, in der Hoffnung, die Geräusche zu übertönen, verschwand in der Toilette und stellte seine Verkabelung wieder richtig ein. Obwohl er Angst haben musste, aufgeflogen zu sein, kehrte er zu seinen Kollegen zurück, die zumindest den Anschein gaben, nichts bemerkt zu haben.
So beschreibt die britische Journalistin Michela Wrong die Szene in ihrem Buch „It’s our turn to eat“. Nach dieser Episode suchte Githongo Zuflucht in London. In Kenia, das wusste er, war sein Leben nun in Gefahr. Es war eine große Enttäuschung für ihn, feststellen zu müssen, dass die Korruption im großen Stil mit dem Regierungswechsel keineswegs aufhörte. Das Dossier über einen von ihm aufgedeckten großen Skandal schrieb Githongo im Londoner Exil fertig. Der Skandal drehte sich um eine britische Scheinfirma mit dem Namen Anglo Leasing. Zunächst sollte die Firma überteuerte fälschungssichere Ausweise liefern, später ging es auch um ein Marineschiff und andere schwer nachvollziebare Geschäfte. Jedenfalls überwies die Firma eine beträchtliche Summe zurück auf kenianische Regierungskonten. Githongo geht davon aus, dass das Geld für den Wahlkampf 2007 eingeplant war.
Nachdem er das Tonband, auf dem der Justizminister die „Bereinigung einer Darlehenssache“ von Githongos Vater anbot, wenn er die Ermittlungen einstelle, beim britischen Sender BBC veröffentlichte, hatte das tatsächlich Konsequenzen. Kenias Regierungschef Kibaki musste seine Regierung umbilden. Justizminister Kiraiti Murungu verschwand von der Bildfläche, allerdings nur für ein paar Monate. Ein halbes Jahr später tauchte er als Energieminister wieder auf. Murungu dürfte der Welt mit seiner Einschätzung „Korruption ist wie die Vergewaltigung einer Frau, die dazu Lust hat“ in Erinnerung bleiben. Die Bemerkung fiel kurz vor seinem Kurzzeitrücktritt, und er musste sich dafür entschuldigen – vor allem bei den Frauen.
2005, das Jahr, in dem der Korruptionsbekämpfer John Githongo sein Land verließ aus Angst vor Rache, war auch das Jahr, in dem Peter Eigen für Investitionen in den besonders korruptionsanfälligen Sektoren Öl- und Gasförderung sowie Rohstoffminen verpflichtende Transparenzrichtlinien entwickelte. Er gründete EITI, was für „Extractive Industries Transparency Initiative“ steht. Die EITI-Leitlinien sind inzwischen für viele Geberländer zum geforderten Standard für Investitionen geworden. 18 Staaten halten sich inzwischen an sie, 38 weitere arbeiten daran. Doch wichtige Ölstaaten wie Angola verbieten es den dort tätigen internationalen Ölfirmen bis heute, zu veröffentlichen, wie hoch ihr Steuer- und Abgabenaufkommen an den Staat ist. Das Ölgeschäft in Angola ist überwiegend in der Präsidentenfamilie konzentriert.
John Githongo und Peter Eigen machen weiter
John Githongo kehrte 2009 nach Kenia zurück. Zunächst arbeitete er für die Hilfsorganisation World Vision. Inzwischen ist er Chef von Inuka Kenya Ni Sisi. Ni Sisi bedeutet „Wir sind es“ oder „Auf uns kommt es an“. Inuka setzt sich für saubere politische Institutionen ein und unterstützt zivilgesellschaftliche Organisationen dabei, die Regierung für ihre Entscheidungen und Taten zumindest politisch haftbar zu machen. Githongo berät ein halbes Dutzend Organisationen bei der Entwicklung von Leitlinien für gute Regierungsführung. Als ihn vor einem halben Jahr der „Economist“ um eine Einschätzung über sein Land bat, antwortete Githongo: „Kenia ist korrupter als andere afrikanische Staaten. Es ist unsere Geschichte.“ John Githongo hört aber nicht auf, um Veränderung zu kämpfen, zuletzt bei der Wahl im März, als Inuka und andere Nichtregierungsorganisationen eine Internetplattform für die Meldung von Unregelmäßigkeiten betrieben.
Peter Eigen wiederum könnte eigentlich zufrieden sein. Transparency International hat stark dazu beigetragen, dass Korruption nicht mehr als Kavaliersdelikt gilt. Nachdem die OECD 1997 Verhaltensrichtlinien entworfen hatte, wurde 2005 eine entsprechende UN-Konvention verabschiedet. Auch auf dem G-8-Gipfel in Nordirland vor wenigen Tagen ging es um neue Transparenzregeln. Und bei der Weltbank gibt es inzwischen eine Forschungsabteilung Korruption. Die hat nach eigener Aussage inzwischen 600 Antikorruptionsprogramme in fast 100 Ländern unterstützt. Und sie führt eine Liste korrupter Unternehmen, die für Ausschreibungen bei weltbankfinanzierten Projekten über Jahre gesperrt werden können. Aus den „Inseln der Integrität“, um die sich Transparency zunächst bemühte, ist also eine weltweite Bewegung geworden. In der Folge ist der Vorwurf der Korruption an vielen Orten der Welt tödlich für die politische Karriere, aber er ist auch ein politisches Kampfmittel. Wird er erhoben, geht es oft nur um die Macht. Eigen hat diesem Missbrauch nur sein „Mantra“ entgegenzuhalten: „Es braucht eine gemeinsame Diagnose und eine gemeinsame Umsetzung.“ Die klappt allerdings oft noch nicht.
Dagmar Dehmer
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