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Papst Franziskus zeigt sich erneut nahe den Menschen, als er am 18. Dezember auf dem Petersplatz eintrifft.
© AFP

Neun Monate Papst Franziskus: Sein Beispiel - und was es bewirkt

Es sind schwierige Zeiten für gläubige Menschen. Als vor neun Monaten ein neuer Papst gewählt wurde, knüpften sich daran enorme Erwartungen – Modernisierung, Hinwendung zu den Problemen der Welt. Wohin geht die Kirche?

Er hat das Format zum Papst. Es ist ein gutes Zeichen, dass der Neue ganz anders ist, als ich ihn mir vorgestellt habe.“ In so vollendeter Dialektik kommentierte der Kölner Kardinal Joachim Meisner noch am Abend des 13. März die Wahl des argentinischen Erzbischofs Jorge Mario Bergoglio zum Nachfolger Benedikts XVI. In der Tat hat die katholische Kirche seit jenem Tag einen Tabubruch nach dem anderen erlebt.

Das erste Tabu brach ausgerechnet einer, dessen Lieblingswort „Kontinuität“ lautete. Auf Latein, also in der immer gleichen Sprache der römischen Kirche und deshalb nur mehr von wenigen Zuhörern verstanden, verkündete Benedikt XVI. am 11. Februar etwas historisch Unerhörtes: den Rücktritt des Papstes. Seinen Rücktritt.

Dieser machte den Weg frei für ein Konklave, das an sich schon revolutionär war, weil in ihm der jahrelang aufgestaute Unmut der Kardinäle, der Weltkirche, über die „Zentrale in Rom“ explodierte. Es musste etwas geschehen; es würde etwas geschehen, und zu diesem Zweck holten die Kardinäle einen von ganz weit außen, einen Sperrigen, dem der Kurienbetrieb schon immer suspekt war.

Welche Tabus brach der neue Papst Franziskus?

Ungewöhnlich schon der Name: Der erste Jesuit auf dem Papstthron wählte sich einen, den sich noch keiner seiner gut 260 Vorgänger gegeben hatte: Franziskus. Dann trat er auf die Loggia des Petersdoms in einfacher, weißer Kutte. Das ihm zurechtgelegte Goldkreuz und der rote, hermelinbesetzte Schulterumhang – so setzte es der sehr entschieden Auftretende gegen seinen enttäuschten Zeremonienmeister durch – blieben im Fundus.

Zwei Wochen danach, am Gründonnerstag, verlegte Franziskus einen der Hauptgottesdienste des Kirchenjahres aus dem Petersdom in eine römische Jugendstrafanstalt. Und er wusch nicht Klerikern als fiktiven Armen die Füße, sondern realen Häftlingen, darunter zwei Frauen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Franziskus umging systematisch die Kurie, indem er zu deren Generalreform einen Kardinalsrat aus aller Welt zusammenholte und – in seinem eigenen Regierungszentrum im Vatikanhotel „Zur Heiligen Martha“ – praktisch alle Entscheidungen an sich zog. Um Zustand und Zukunft der Vatikanbank zu prüfen, setzte er ebenso eine Grundsatzkommission mit vielen Experten von außen ein wie überhaupt zur kirchlichen Geld- und Gutsverwaltung.

Alles steht seither auf dem Prüfstand. So mancher im Vatikan nennt es „Psychostress“, dass keiner weiß, was Franziskus morgen wieder ausheckt. „Evangelii Gaudium“ vom 26. November war nur als „Schreiben im Nachgang zur Bischofssynode 2012“ angekündigt; dass es eine wuchtige und vor allem programmatische „Enzyklika“ geworden ist, sahen alle erst im Moment der Veröffentlichung. Und da steht alles drin: die Ablehnung einer Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt; das Bekenntnis zu einer „pastoralen Umkehr von Papsttum und zentralen Kirchenstrukturen“; die Fundamentalkritik am heutigen Kapitalismus: „Diese Wirtschaft tötet.“

Der (bisher) letzte Tabubruch im Vatikan bestand darin, dass die Bischofssynode zur Vorbereitung ihrer für 2014 geplanten Tagung zu Ehe und Sexualmoral einen „Fragebogen“ in alle Welt schickte und den Bischöfen erstmals einschärfte, sie sollten nicht im stillen Kämmerlein beantworten, wie es um Lehre und Leben in den Gemeinden stehe. Sie sollten vielmehr die realen Gläubigen reden lassen: „die Basis“, wie der Generalsekretär der Bischofssynode sagte. Dieses Wort hat man im Vatikan vorher noch nie gehört.

Wie kommt Franziskus in der Kurie selber an?

Auch ein Franziskus stand und steht unter dem Druck des Apparats. Dass er vom ersten Moment an die Feierlichkeit bei seinen Auftritten vermindert hat gemessen an jener Über-Ästhetisierung, die unter Benedikt XVI. eingezogen war; dass er schon vom zweiten Tag an die praktisch nur mehr aus Spitze bestehenden Chorröcke seiner Gottesdienst-Assistenten resolut in die Sakristeischränke zurückverwiesen hat; dass er bei der Messe nie singt (weil er unmusikalisch ist) und am Altar die vorgeschriebenen Kniebeugen vermeidet (weil das die Glieder nicht mehr mitmachen) – das zum Beispiel kreiden ihm die auf Schöngeistigkeit und optische Korrektheit gepolten Zeremonien-Regenten massiv an. Oder, wie es ein hochgestellter Monsignore formuliert: „Da wird unter dem Vorwand der Armut an Textil gespart. Da wirft Franziskus so viel über Jahrhunderte gewachsene Erfahrung einfach weg. Übermorgen werden wir das bereuen.“

So mancher klerikale Beamte, der im Apostolischen Palast sein Büro hat – wo auf der Chefetage der Papst wohnen sollte, Franziskus aber nicht wohnen will –, beklagt, wie „seelenlos“ der Bau geworden sei, wie „abgewertet“ man sich dort fühle, zumal Franziskus auch noch nie ein positives Wort habe fallen lassen über seine doch so engen und ebenso engagiert wie effizient tätigen Kurien-Mitarbeiter.

Zusätzlich hat sich Franziskus im gläubigen – oder einfach nur faszinierten – Volk einen menschlichen Rückhalt gesichert, wie ihn seit dem Erneuerer Johannes XXIII. vor einem halben Jahrhundert kein Papst mehr hatte. Er ist nicht nur viel häufiger öffentlich präsent als Benedikt XVI.; aus einem Lächeln gegenüber dem Volk ist nun auch Berührung geworden, Hautkontakt. Dies sogar im körperlichen Sinn, etwa wenn Franziskus auf dem Petersplatz einen Kranken küsst, der voller Geschwüre ist.

Jenseits aller ausgeklügelten theologisch-theoretischen Worte will der 77-Jährige alle mitreißen mit dem, was er vorlebt. Zu seinem Geburtstagsfrühstück vor einer Woche lud er kurzfristig drei Obdachlose von der Straße ein. Die Hirten müssten nach ihren Schafen riechen, hat er immer wieder gesagt. Da roch’s dann tatsächlich, mitten im Vatikan.

Franziskus hat viele Zeichen gesetzt. Aber was ist konkret bisher daraus geworden?

Da fällt die Antwort schon schwerer. Vorerst ist ein Bündelchen Widerspruch stehen geblieben. Ausgerechnet der Papst, der weg will von kirchlicher Nabelschau, hat alle Blicke auf sich gezogen, und er tut mit seiner Allgegenwart, seiner ebenso bewussten wie raffinierten Medienpräsenz, nichts dafür, daran etwas zu ändern. Oder anders gesagt: Er geht voran, er lebt vor – aber weil die anderen noch nicht auf seinem Stand sind, weil sich die Revolution bisher nicht in der katholischen Fläche ausgebreitet hat, ragt der Papst als einsame Spitze weiterhin heraus.

Die Ortskirchen richten, noch mehr als bisher schon, ihre Blicke allesamt nach Rom. Und weil die Kurie in den vergangenen neun Monaten faktisch nichts zu sagen hatte – bisher hat Franziskus auch erst die Hälfte aller Ressortchefs im Amt bestätigt –, sind sämtliche Entscheidungen allein in seiner Hotelsuite gefallen. Es spricht aber alles dafür, dass es sich um ein Übergangsstadium handelt. In Pietro Parolin, dem neuen Kardinalstaatssekretär, hat die Kurie seit ein paar Tagen endlich einen Chef; der Apparat läuft wieder an.

Und bis heute hat Franziskus so manche theologische Klärung vermissen lassen. Dass er seit dem ersten Tag die „Barmherzigkeit Gottes“ als sein großes Hauptmotto predigt und dass er die eigene Kirche für ihren Überhang an moralischen Verboten gegenüber der „Freude am Evangelium“ kritisiert, hat viele offenbar verfrühte Hoffnungen auf Reformen geweckt. Etwa beim bisher verbotenen Kommunionempfang für solche Geschiedene, die ein zweites Mal geheiratet haben. Exakt bei diesem heiklen Punkt ist Franziskus nun entschieden zurückgerudert.

Welche Auswirkungen hat das neue Amtsverständnis des Papstes auf Deutschland?

Der Wunsch dieses Papstes – „ach wie sehr wollte ich eine arme Kirche!“ – und die mehr als 30 Millionen Euro, die der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst für seine Residenz ausgegeben hat, waren und bleiben natürlich der Widerspruch des Jahres. Anders herum: Ohne Franziskus wäre der Limburger Skandal ein regionaler geblieben. Bei Franziskus haben Wort und Beispiel – so sagt es der deutsche Caritas-Präsident Peter Neher – „die Fragen an uns selbst radikalisiert“. Bistümer legen auf einmal Vermögensverhältnisse offen, die selbst die eigenen Kämmerer bisweilen nur in Umrissen kannten. Der Fahrzeugpark wird da und dort auf Mittelklasse zurückgefahren; goldene Brustkreuze – das fällt in Rom nicht nur bei deutschen Bischöfen ebenso massiv wie beinahe peinlich auf – durch silberne ersetzt.

Die Lage für manche Bischöfe ist ungemütlich geworden: Konnten sie vieles, was die Gläubigen bisher an Unmut über die Kirche an sie herantrugen, auf „Rom“ abwälzen, so verlieren sie mit diesem Papst und seiner Kurienreform die Buhmänner. Sie müssen sich jetzt selber bewähren, Rede und Antwort für „diese Kirche“ stehen, für deren Überzeugungskraft, deren Bewegung oder Nichtbewegung und – am ganz persönlichen Beispiel von Amts- und Führungsstil – für deren Glaubwürdigkeit.

Nähere Auswirkungen auf die Kirche in Deutschland wird man in den kommenden Monaten sehen. Es sind auf einmal so viele und so wichtige Bischofssitze neu zu vergeben: Köln und Mainz vor allem, dann Hamburg und Freiburg, Erfurt, Passau. Limburg wahrscheinlich auch, weil Tebartz-van Elst kaum wiederkehrt. Es gibt in Berlin einen neuen Nuntius, also Botschafter und „Koordinator“ des Papstes. Da und dort hat das Domkapitel ein Wahlrecht zur Bestimmung des neuen Bischofs. Es bleibt spannend, wie sich Franziskus’ Stil personell auswirken wird.

Welche Impulse gibt es für die Ökumene?

Franziskus hat die Nähe zu anderen christlichen Konfessionen als seine „Priorität“ bezeichnet – bisher ohne konkrete Folgen. „Überraschungen vonseiten des Papstes“ hat beispielsweise der Primas der Anglikanischen Kirche, Justin Welby, vor acht Wochen angekündigt. Unterm Weihnachtsbaum liegen sie noch nicht. Mit den evangelischen Kirchen – also auf dem Hauptschauplatz der Ökumene in Deutschland – tat sich der Vatikan zuletzt immer schwerer: Hatte man sich in so mancher Frage der Lehre nach jahrzehntelangen Verhandlungen halbwegs zusammengerauft, so stört sich Rom an „heutigen moralischen Abweichungen vom gemeinsamen biblisch-christlichen Erbe“ aufseiten der Protestanten: Als Beispiel werden vor allem die Segnungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften genannt oder die Wahl bekennend schwuler Männer und womöglich gar deklariert lesbischer Frauen zu Bischöfen.

Das Familienpapier, das der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Juli herausgegeben hat und das in den eigenen Reihen ziemlicher Zündstoff war, hat mit seiner General-Nivellierung aller Lebensgemeinschaften – zulasten der klassischen Familie – die Gespräche mit der katholischen Kirche natürlich weiter erschwert. Grundsätzlich aber stehen Ehe, Familie und Sexualmoral in der heutigen Gesellschaft weiter ganz oben auf der Agenda beider Konfessionen. Womöglich reden sie dann auch wieder miteinander.

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