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Wachstumskritiker Niko Paech: "Sehe ich aus wie ein Hippie?"

Darin sind sich alle einig: Ohne Wachstum geht es nicht. Und wenn es ausbleibt? Wachstumskritiker Niko Paech weiß, wie man mit weniger Konsum und weniger Geld glücklich wird.

Niko Paech, 51, ist Professor an der Universität Oldenburg für Produktion und Umwelt. Paech gilt als Deutschlands radikalster Wachstumskritiker. Zuletzt erschien sein Buch „Befreiung vom Überfluss“, das die „Süddeutsche“ so lobte: „pointiert und scharfzüngig“. Paech hat unter anderem einen Verschenkemarkt erfunden

Sie sind doch der größte Miesepeter der Nation, Herr Paech.

Meinen Sie?

Sie wollen 50 Prozent aller Straßen dichtmachen.

Die Hälfte aller Autobahnen auf jeden Fall: Ja, weg damit. Das sind extreme Klimakiller. Autobahnen sind Lebensadern der Zerstörung.

75 Prozent aller Flughäfen würden Sie schließen.

Stimmt.

Und jeder Mensch hierzulande soll nur noch 20 Stunden die Woche arbeiten. Ganze Industrielandschaften dürften zu Brachen werden.

Das mit der halbierten Arbeitszeit ist richtig. Was die Industrie angeht, da fordere ich nichts, ich wage eine Prognose. Wir werden einen enormen Strukturwandel erleben, und einige Branchen könnten um mehr als 50 Prozent schrumpfen, andere werden es besser überstehen. Wer viel fossile Energie braucht, wer von knapp werdenden Metallen, seltenen Erden und großen Flächen abhängig ist, hat keine gute Zukunft. Auto-, Flugzeug- und Ölindustrie etwa. Die Vulnerabilität…

… Herr Paech!

Okay, keine Fremdwörter! Diese Teile der Wirtschaft sind leicht verwundbar, so stabil wie ein Kartenhaus.

Wenn sowieso alles den Bach runtergeht, können wir doch fröhlich so weiterleben wie bisher. Wir beschleunigen das Ende, und Sie haben Ihren Frieden.

Sich umzubringen aus Angst vor dem Tod halte ich nicht für sinnvoll. Das ist wie der Last-Chance-Tourismus: Da fliegen Leute nach Patagonien oder in den Himalaya mit der Begründung, bald sind die Gletscher weg, dann gibt’s nichts mehr zu sehen. So eine letzte Konsumparty ist für mich ethisch nicht vertretbar. Außerdem ist die Gestaltung des Kollaps eine anspruchsvolle Aufgabe, auf die es nun ankommt.

Sie sind der radikalste Wachstumskritiker unter den Ökonomen. Doch den Deutschen geht es heute viel besser – dem wirtschaftlichen Wachstum und der Freude am Konsum sei Dank. Jeder hat mehr als noch vor 20 Jahren.

Nur um welchen Preis? Den Klimawandel und andere Zerstörungen der Natur bestreiten nur noch Wahnsinnige. Dann erleben wir Peak Oil, das heißt, zwischen 2005 und 2009 wurde das Fördermaximum des Erdöls auf dem Planeten erreicht. Dieses Problem ist nicht zu lösen, uns bricht damit die Basis des Wohlstands weg. Die dritte Krise ist eine psychologische. Die Zivilisationskrankheit Nummer eins in den reichen Nationen ist die Depression. Weil die Menschen nicht nur von ihrer Arbeit fertiggemacht werden. Hinzu kommt ein neuer Leistungsdruck, nämlich durch Konsum und ständigen Mobilitäts- und Telekommunikationsstress.

Unsere knappste Ressource ist die Zeit

Sie glauben an einen Zusammenhang zwischen Handy-, Reise-, E-Mail-Hektik und Depressionen?

Ja. All diese handelsüblichen Konsumfetische sollen ja genutzt werden, um das Glück zu steigern. Das stößt sich aber mit unserer knappsten Ressource, die noch knapper ist als Öl, nämlich: Zeit. Der Tag hat halt nur 24 Stunden. Wir können uns inzwischen mehr Dinge leisten als wir Zeit und Aufmerksamkeit dafür haben. Das überfordert uns systematisch.

Dennoch ist die Konsumlust ungebrochen. Zuletzt wurde weltweit gekauft: 70 Millionen Autos, 300 Millionen Computer und 1,3 Milliarden Mobiltelefone im Jahr. Die Kurve zeigt stetig nach oben.

Wir konsumieren längst nicht mehr, um unser Glück zu steigern, sondern um Unglück zu vermeiden, das dann droht, wenn andere mehr vorzuweisen haben als wir selbst. Wir konsumieren nicht mehr, um Knappheit zu beseitigen, sondern um die eigene Identität zu formen. Wir konsumieren, um zu kommunizieren. Hallo, ich fahre einen Porsche Cayenne! Hallo, auf der Klappe meines Tabletcomputers ist ein angebissener Apfel! Das Bundesumweltministerium hat gezählt, dass jeder Mensch bei uns im Schnitt 10 000 Sachen besitzt. Glauben Sie im Ernst, dass die alle notwendig sind?

Kaum. Das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ hat bei einer Architektin Inventur gemacht, sie hatte 3506 Dinge. 26 Prozent davon gebrauchte sie regelmäßig, 47 Prozent gar nie.

Ich nenne diese Krankheit Konsumverstopfung. Vor allem Kinder und Jugendliche verlieren dadurch die Fähigkeit, sich zu konzentrieren.

Sie selbst leben anders. Sie haben keinen Fernseher, kein Auto, kein Handy, Sie fliegen nicht, Sie verkneifen sich vermutlich auch das Schnitzel und…

…ich esse auch keinen Fisch, keine Eier. Ich bin ein humorloser Asket, ein Partykiller. Nein, mal im Ernst: Ich spiele Saxophon in zwei Bands, besuche häufig Konzerte, sitze gern im Wirtshaus und rede beim Bier mit Leuten. Ich amüsiere mich, dazu muss ich nicht nach Australien jetten. Mein Vater war nie dort, mein Großvater auch nicht. Was uns heute fehlt, ist die Kraft zur Genügsamkeit.

Geben Sie’s ruhig zu, Sie haben Flugangst.

Kein bisschen.

Woher wissen Sie das?

Ich bin einmal geflogen, nach Washington. Ich musste meinen Doktorvater treffen. Schauen Sie, ich rede nicht von Verzicht. Die Theorie eines bescheidenen Lebens – man nennt das in der Wissenschaft Suffizienz – führt zu einem Paradox, nämlich zur Aufwertung des Konsums. Was ich tue, tue ich lustvoll. Wir könnten doch sagen, cool ist nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht, also autonom ist und damit weniger erpressbar. Das Leben ist unbeschwerter ohne Fernseher, Handy, Mikrowelle, iBook. Befreien wir uns!

Welches Glück ist verantwortbar?

Erklären Sie mal: Worum geht es Ihnen wirklich?

Um individuelles Glück, das verantwortbar ist! Alle europäischen Regierungen bekennen sich in der Klimapolitik zu dem Ziel, die Erde nur um maximal zwei Grad aufzuheizen. Wenn man die mit diesem Ziel gerade noch verträgliche CO2-Menge auf alle Erdbewohner verteilt, muss jeder mit 2,7 Tonnen im Jahr auskommen. Das haben nicht Ökofreaks berechnet, sondern ein Beirat der Bundesregierung. Derzeit sind es durchschnittlich 11 Tonnen, die hier pro Kopf anfallen. Also müssen wir auf ein Viertel runter! Damit ist unser Lebensstil nicht vereinbar. Eine einzige Flugreise nach Washington verbrät schon 4,5 Tonnen CO2, fast das Doppelte eines Jahresbudgets, und ein Flug nach Australien 14,5 Tonnen.

Die Schauspielerin Christiane Paul beschreibt in ihrem Buch „Das Leben ist eine Öko-Baustelle“, wie sie ihre Kinder gesund ernährt, Energie spart, Müll trennt – und trotzdem zum nächsten Dreh fliegt. Zerrissenheit dieser Art ist der Normalfall.

Na, dann steht eben auf dem Grabstein der Erde: Sie starb am Normalfall.

Das Thema Ihrer Forschung ist die Postwachstumsökonomie. Wie sieht das Leben nach dem Wachstum denn aus?

Unsere Lebensarbeitszeit sinkt auf 20 Stunden pro Woche. Dann haben Sie 20 Stunden übrig! Vielleicht verbringen Sie die im Garten, um Gemüse anzubauen, oder Sie reparieren Dinge, damit sie länger halten. Vielleicht organisieren Sie eine Tauschbörse. Kerngedanke ist ein anderer Umgang mit Produkten. Schuhe werden neu besohlt, Jeans geflickt, Fahrräder gepflegt, um die Lebensdauer zu verlängern. Und warum muss jeder einen eigenen Rasenmäher, Akkuschrauber oder Winkelschleifer besitzen?

Das klingt wie die Träume von Aussteigern.

Sehe ich aus wie ein Hippie? Ich treffe wissenschaftliche Wenn-Dann-Aussagen. Wenn jeder mehr als seine 2,7 Tonnen CO2 verursacht, werden katastrophale Dürren und Überschwemmungen eintreten. Wenn Ressourcen knapp werden, muss die Wirtschaft schrumpfen.

Die meisten Menschen, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, können sich eher das Ende der Welt vorstellen als ein Leben ohne Wachstum.

Das glaube ich sofort.

Politiker und Ökonomen sagen, ohne Wachstum brechen die Gesundheits- und Sozialsysteme zusammen. Das zu ignorieren, ist der Kernvorwurf an Sie.

Gut, spielen wir das mal durch. Zunächst dürfen wir die gigantischen Subventionen nicht vergessen, die Wohlstand und Wachstumsmaschine am Laufen halten. Ohne diese zig Milliarden an Subventionen würde die Wirtschaft wohl oder übel schrumpfen, aber zugleich spart der Staat genug Geld für Gesundheit, Bildung und Soziales.

Warum die Menschen experimentieren müssen

In Griechenland ist die Wirtschaft abgestürzt, die schönste Postwachstumsökonomie ist da, doch die Menschen verzweifeln, gehen auf die Barrikaden.

Deshalb müssen wir rechtzeitig krisenresistente Lebensstile einüben: Was uns bevorsteht, hält eine Gesellschaft am besten aus, wenn die Menschen experimentieren und Lebensstile praktizieren, die auch funktionieren, wenn alles zusammensackt.

Schon 1972 hat der Club of Rome seine berühmten „Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Heute lässt sich feststellen: Mensch und Umwelt waren technisch innovativer und ökologisch anpassungsfähiger als prophezeit.

Anpassungsfähig? Ein Witz! Technischer Fortschritt ist ein windiges Geschäft: Wir tauschen eine kurzfristige Steigerung unserer Möglichkeiten gegen später umso schlimmere Knappheiten. Es gibt keine industrielle Produktion ohne Zerstörung. Auch Elektromobile brauchen neue Produktionsstätten, Akkus, Ladestationen, Strom, Rohstoffe.

Immerhin können Sie wieder in Rhein und Neckar schwimmen, vor Jahren hätten Sie sich dabei den Tod geholt. Ist das nichts?

Jeder saubere Fluss ist schön. Nur, wir haben das Problem verlagert. Die schmutzigen Bestandteile unseres Konsums finden sich nun in Asien und Lateinamerika. Dort möchten Sie eher nicht baden. Der Trick ist: Die Umweltschäden werden – bis zu 60 Prozent – ausgelagert, außerhalb des eigenen Landes, wie eine Schweizer Studie zeigt.

Gerade hat Renate Künast von den Grünen gefordert, dass jeder 100 bis 200 Euro bekommt, der ein energiesparendes Elektrogerät kauft und ein altes entsorgt. Greenpeace jubelt.

Das ist der falsche Weg. Wichtiger ist, wie oft und wie sparsam wir solche Geräte nutzen, und ob wir sie mit anderen teilen. Wenn ein total kaputter Kühlschrank ausrangiert werden muss, ist es klug, das aktuell beste Modell anzuschaffen. Aber etwas Funktionierendes wegzuwerfen, um eine Prämie zu kassieren, ist absurd. Die alten Geräte müssen verschrottet, Abfälle entsorgt werden, die Neuproduktion frisst Wasser, Energie, Rohstoff. Frau Künast weiß das, doch sie will gewählt werden.

Sie mögen die Grünen nicht.

Ich mag nur keine grenzenlosen Opportunisten.

Globalisierungsgegner mögen Sie auch nicht. Die sind für Sie eine „mobilitätsgierige Masse“, Sie schimpfen außerdem über eine „hoch dotierte Nachhaltigkeitsschickeria“.

Erstens schimpfe ich nicht, sondern mache mich lustig. Zweitens bin ich selbst ein Globalisierungsgegner, doch ich ziehe auch die Konsequenz. Globalisierte Lebensstile sind mit Klimaschutz nicht vereinbar. Punkt. Noch nie haben ausgerechnet Nachhaltigkeitsaktivisten so viel Kerosin verflogen und Latte Macchiato auf weltweiten Konferenzen geschlürft. Mit welchem Effekt? Bevor wir nicht in Europa einen weltweit übertragbaren Lebensstil glaubwürdig vorführen, statt nur darüber zu faseln, ist es anmaßend, Afrikanern und Chinesen erklären zu wollen, wie es geht.

Klimakonferenzen finden Sie auch problematisch, weil jedes Mal Tausende ins Flugzeug steigen.

Klimaschutz ist wie ein Osterhase: Es gibt ihn schlicht und ergreifend nicht. Bis heute sehen wir kein einziges entwickeltes Land, das Klimaschutz praktiziert, der diesen Namen verdient.

Sie würden die nächsten fünf Klimagipfel absagen?

Ja sicher!

Über Sie wird viel geschrieben. Ist es wahr, dass Sie noch ein Jackett Ihres Vaters auftragen?

Nö. Als junger Kerl trug ich einen Lodenmantel und zwei Lederjacken vom Vater, die hat ein Schneider umgenäht. Ich mochte die Sachen.

Sie verdienen gewiss mehr, als Sie verbrauchen. Haben Sie eine Grenze gezogen, wie viel Sie im Monat ausgeben?

Dass viel Geld viel Schaden anrichtet, stimmt. Aber dank Ryanair, Aldi und Elektrodiscountern können Sie heute auch mit wenig Geld viel anrichten. Mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamts kann jeder Bilanz ziehen. Das ist ja das Schöne: Jeder kann mit seinem 2,7-Tonnen-Budget machen, was er will. Wer fliegen will, muss eben beim Fleisch kürzer treten, weniger Wohnfläche nutzen oder den Rest an fehlenden CO2-Kontingenten bei Freunden borgen. Wer Fahrrad fährt, kann mehr Schokolade aus der Karibik und Darjeeling aus Indien genießen. Auf den Genuss meiner 2,7 Tonnen will ich jedenfalls nicht verzichten!

Mal ehrlich, kommen Sie damit aus?

Ich hatte dieses Jahr Probleme. Ich war in Österreich zu einem Vortrag, da schlossen sich noch ein paar Veranstaltungen an, zwei Tage Chiemsee, gutes Wetter. Meine Lebensgefährtin hat die Tour mitgemacht. Klar, dann gab es eben keinen weiteren Urlaub mehr. Das Budget für 2012 war mehr als ausgeschöpft. Ich liege irgendwo zwischen 4 und 5 Tonnen. Davon sind fast 2 Tonnen Bahnreisen, weil ich so viele Vorträge halte. Ich arbeite daran…

Sie sind rigoros. Gelten Sie im Bekanntenkreis als freundlicher Spinner?

Ach was, ich erfahre durchaus Anerkennung und gelte selbst nach Kriterien unserer Leistungsgesellschaft nicht als Volltrottel. Ich falle im Alltag nicht weiter auf, der reduzierte Konsum hat ja kein Antlitz. Einen nicht stattgefundenen Flug auf die Malediven sieht man nicht.

Weihnachten steht an. 2011 gaben die Deutschen 14 Milliarden Euro aus, allein 1,8 Milliarden für Spielzeug. Was gibt’s bei Ihnen an hübschen Präsenten?

Ein Buch? Etwas zu trinken oder zu essen, vielleicht Ersatzteile fürs Fahrrad? Kürzlich habe ich meiner Freundin ein gebrauchtes und repariertes Mobiltelefon geschenkt. Sie hat sich gefreut, sie denkt ähnlich wie ich.

Sie wirken richtig aufgeräumt, Herr Paech. Haben Sie Hoffnung?

Für unseren jetzigen Lebensstil gibt es keine Hoffnung, für ein anderes, genügsameres Wohlergehen der Gesellschaft durchaus. Und zum Absaufen unserer Konsumgesellschaft pfeife ich gern eine tröstende Melodie.

Norbert Thomma, Manfred Kriener

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