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Der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer.
© Peter Kneffel/dpa

Newsblog zum EU-Türkei-Gipfel über Flüchtlinge: Seehofer will kein "deutsches Kontingent"

Der EU-Gipfel ist beendet, ein Beschluss wird frühestens am 17. März kommen. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Lesen Sie die Entwicklungen im Newsblog.

Zwölf Stunden tagte der EU-Gipfel in Brüssel. Der türkische Regierungschef Davutoglu überraschte dabei mit neuen Vorschlägen seines Landes zur Flüchtlingskrise. Am Ende standen Absichtserklärungen, aber keine endgültige Abmachung.

+++ Seehofer sieht noch großen Beratungsbedarf: Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sieht nach dem EU-Flüchtlingsgipfel noch viel Beratungsbedarf. "Leistung und Gegenleistung müssen übereinstimmen", sagte Seehofer am Dienstag in München. Bayern habe "größte Bedenken", türkische Zugeständnisse mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU und der vollen Visafreiheit für türkische Bürger zu verbinden. "Wir haben auch viele Fragen im Detail." Geklärt werden müsse insbesondere, welche Staaten Flüchtlinge aus der Türkei übernehmen, sagte Seehofer. "Es kann nicht sein, dass wir am Ende ein deutsches Kontingent haben."

Ausdrücklich dankte Seehofer den Balkanstaaten. Der Rückgang der Flüchtlingszahlen sei allein auf die Schließung der dortigen Grenzen zurückzuführen, sagte er bei einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen aus dem österreichischen Bundesland Tirol, Günther Platter. "Ich bin zu jedem Zeitpunkt für wahrheitsgemäße Darstellungen", sagte Seehofer. "Das ist der objektive Befund und Politiker sollen sich mit objektiven Befunden beschäftigen."

+++ Kretschmann hofft auf AfD-Schwächung nach Gipfelbeschluss: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann setzt auf eine Schwächung der AfD durch eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. „Ich hoffe, dass das auch der AfD ein Stück das Wasser abgräbt“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Die Wähler könnten nun sehen, dass die regierenden Parteien an einer europäischen Lösung arbeiteten. „Ich hoffe, dass die Stimmung in einer tief verunsicherten Bevölkerung einfach besser wird.“

+++ UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi hat sich "zutiefst besorgt" über die sich abzeichnende Vereinbarung der EU mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise geäußert. Er habe Bedenken gegen eine Regelung, welche die Rücksendung von Flüchtlingen von einem Land in ein anderes vorsieht, solange es keine Garantien für deren Schutz und die Einhaltung internationalen Rechts gebe, sagte Grandi am Dienstag in Straßburg. Grandi erinnerte vor dem Europaparlament an die Anforderungen, die das internationale Recht für die Rücksendung von Flüchtlingen "in ein Drittland" vorsieht. Dieses müsse die Verantwortung für das Asylverfahren übernehmen und garantieren, dass niemand ohne Prüfung seines Asylantrags abgeschoben wird.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt.
© Michael Kappeler/dpa

+++ Merkel sieht Fortschritt im Kampf gegen Schleuser: Die Bundeskanzlerin wertete die neuen Vorschläge des EU-Gipfels als "ganz wichtigen Schritt" zu einer "Vertiefung der EU-Türkei-Zusammenarbeit" im "Grundsatz". Es gehe vor allem darum, Schleppern und Schleusern "das Handwerk zu legen", sagte Merkel bei der Pressekonferenz mit dem UN-Generalsekretär im Kanzleramt. Durch den neuen Ansatz sei man schon jetzt "im Kampf gegen illegale Migration deutlich vorangekommen".

+++ Ban Ki Moon lobt Merkel und die Türkei: Bei einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit der Bundeskanzlerin in Berlin hat UN-Generalsekretär am frühen Dienstagnachmittag Angela Merkel für ihr Engagement in der Flüchtlingskrise gewürdigt: "Sie ist die wahre moralische Stimme, auch die Stimme des Mitgefühls." Die Bundeskanzlerin sei vorangeschritten, aber alle 28 Staats- und Regierungschefs seien gefordert: "Europa ist der Kontinent, der mehr leisten kann." Dabei gehe es um Menschenrechte, nicht allein um finanzielle Beträge, sagte der UN-Generalsekretär. Damit dürfte sich Ban auch auf die Frage der zusätzlich von der Türkei geforderten drei Milliarden Euro beziehen, auch wenn er später betonte, sich nicht zu Einzelheiten des im Gespräch befindlichen Arrangements äußern zu wollen.

+++ Syrer-Regelung mit Türkei laut Merkel auch für Iraker denkbar: Die mit der Türkei angestrebte Lösung für Syrer könnte nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch auf Flüchtlinge aus anderen Ländern ausgeweitet werden. "Bei den Irakern müssen wir noch einmal überlegen, ob wir dort auch in die Richtung von Kontingenten gehen würden, das ist in unserer europäischen Entscheidung", sagte Merkel am Dienstag in einem SWR-Interview. Für die Türkei sei das Thema Syrien "natürlich von besonderer Wichtigkeit". Merkel bestritt, dass die Türkei in den Verhandlungen mit der EU am längeren Hebel sitze. Es gehe vielmehr um einen Interessenausgleich.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen an den Vorschlägen der Türkei wies Merkel zurück. Es sei "menschenverachtend", Flüchtlinge über den gefährlichen Weg durch die Ägäis nach Griechenland zu schicken. "Deshalb sollten wir versuchen, ihnen legale Wege zu öffnen."

Kritisch äußerte sich Merkel über die von Österreich eingeleiteten Reisebeschränkungen für Flüchtlinge. "Ich bin Österreich nicht dankbar. Ich fand es nicht glücklich (...), dass einseitige Entscheidungen getroffen wurden."

Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel.
Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel.
© dpa

+++ Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ist mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu zusammengekommen. Vor seiner Ankunft am Dienstag in der türkischen Küstenmetropole Izmir hatte Tsipras von einem „historischen Treffen“ gesprochen. „Dieses Treffen könnte neue Wege öffnen, den Schleusern das Handwerk zu legen“, sagte er im griechischen Fernsehen (ERT). Thema soll auch die Aktualisierung eines 2002 geschlossenen Abkommens zwischen den beiden Ägäis-Anrainerstaaten über die Rückführung von Migranten sein. Das Verhältnis zwischen den Nachbarländern ist seit Jahrzehnten angespannt.

+++ Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel bewertet die geplanten Vereinbarungen der EU mit der Türkei beim Brüsseler Gipfel als wichtigen Schritt nach vorn. „Endlich gibt es konkrete Fortschritte für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik. Dafür treten wir Sozialdemokraten seit dem Sommer des letzten Jahres ein“, sagte der Bundeswirtschaftsminister am Dienstag in Berlin.

Ein Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge mit der Türkei kombiniert mit Kontingenten, durch die Flüchtlings auf legalem Weg nach Europa kommen könnten, sei der beste Weg, „um den Menschenhändlern und Schleppern das Handwerk zu legen“. Mit Blick auf die CSU betonte Gabriel, die SPD erwarte jetzt, dass sich in Deutschland alle politischen Kräfte hinter die gemeinsame europäische Politik stellten „und alle außenpolitischen Querschüsse eingestellt werden“.

+++ Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht nach dem EU-Sondergipfel Chancen für eine baldige gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik. Durch die Gespräche sei nun „auf dem nächsten europäischen Gipfel eine Verständigung möglich geworden“, sagte Steinmeier am Dienstag bei einem Besuch im Golfstaat Oman. Zuvor müssten noch „weitere Details“ geklärt werden.

Steinmeier sagte, in den vergangenen Wochen seien mehrfach nationale Alleingänge gepriesen und europäische Lösungen als unmöglich beschrieben worden. Nun aber habe sich gezeigt: „Europäische Lösungen sind nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Wir bewegen uns auf sie zu.“

+++ Erfolg oder Misserfolg für die Kanzlerin? Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt hat die Ergebnisse des Gipfel bei radioeins kommentiert. Hier zum Nachhören.

+++ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, das Ergebnis des Gipfels sei ein "ganz wichtiger Zwischenschritt" zu einer Lösung, auch wenn noch nicht alle Fragen endgültig geklärt worden seien. "Vom Gipfel ist interessant, dass alle dabei geblieben sind", sagte Kauder im ARD-"Morgenmagazin". Die Türkei sei das "Schlüsselland" bei der Flüchtlingspolitik. "Aber auch bei der Türkei werden nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen", sagte Kauder in Bezug auf die Forderungen der Türkei für EU-Beitrittsverhandlungen. 2016 werde zum "Schicksalsjahr für Europa"

+++ Nach einem dramatischen Gipfelmarathon haben die EU-Staats- und Regierungschefs einen endgültigen Beschluss zu einem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei vertagt. Bis zum nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. März bleibe noch Arbeit für eine endgültige Vereinbarung zu tun, bilanzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Merkel hob die Fortschritte seit dem letzten Treffen in diesem Format hervor. Seit November sei man „einen qualitativen Schritt weitergekommen“, sagte sie. „Viele waren sich einig, dass das ein Durchbruch ist.“ Auf die Frage, ob ihr vor den drei Landtagswahlen am kommenden Sonntag ein größerer Fortschritt lieber gewesen wäre, sagte Merkel: „Das nimmt keinerlei Rücksicht auf nationale politische Termine.“

+++ Führende EU-Vertreter sehen in den Vereinbarungen des EU-Türkei-Gipfels einen möglichen Durchbruch zur Eindämmung der Flüchtlingskrise. "Die Tage irregulärer Einwanderung sind vorüber", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Ich habe keinen Zweifel, dass wir den endgültigen Erfolg erzielen werden.“

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, die von der Türkei in Aussicht gestellte Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland "verändere die Spielregeln". Mit einer solchen Vereinbarung werde "das Geschäftsmodell der Schleuser zerschlagen".

Juncker sprach von einer "Grundsatzeinigung" mit der Türkei. Details des Plans sollen in den kommenden Tagen ausgearbeitet werden. Dann soll der EU-Gipfel Ende kommender Woche darüber entscheiden. Juncker zufolge wurden rechtliche Fragen der Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei "sehr sorgfältig geprüft". Die Schlussfolgerung sei gewesen, dass das Vorgehen "legal" sei.

+++ Entgegen der ursprünglich vorbereiteten EU-Gipfelerklärung wird die Balkanroute nicht mehr als geschlossen bezeichnet. „Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden“, heißt es in dem Abschlusstext des EU-Türkei-Gipfels, der am frühen Dienstagmorgen veröffentlicht wurde. Vor allem Deutschland und Griechenland wandten sich dem Vernehmen nach gegen den Textvorschlag, die Route für „geschlossen“ zu erklären.

+++ Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat nach dem EU-Türkei-Gipfel vor zu großer Euphorie gewarnt. Die Ergebnisse des Krisentreffens seien lediglich ein Schritt nach vorn, sagte Tsipras. Es müssten jedoch zahlreiche Schritte unternommen werden.

„Die heutigen Bilder aus Idomeni, von unserer nördlichen Grenze, sind tragisch“, sagte Tsipras weiter. Es sei ein großer Fehler zu glauben, dieses Problem betreffe nur die Migranten und die Länder, die sie passierten. Wenn die EU diesen Fehler weiterhin begehe, seien die Folgen gravierend, sagte er. Wegen strikter Kontrollen Mazedoniens an der Grenze zu Griechenland saßen nahe des griechischen Grenzorts Idomeni zuletzt mehrere Tausend Migranten auf dem Weg nach Nordwesten fest.

(mit AFP, dpa, Reuters)

Die Entwicklungen vom Montag können Sie hier nachlesen.

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