zum Hauptinhalt
Eine Frage der Vokabeln. Manches an Merkels Erklärung findet Horst Seehofer immerhin bemerkenswert.
© dpa

Streit mit Merkel: Seehofer will eine andere Politik, nicht andere Worte

Der Streit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre rasch lösbar, wenn CSU-Chef Horst Seehofer wollte – er will aber nicht.

Gerda Hasselfeldt findet, dass es jetzt langsam mal Schluss sein muss mit dieser Wortklauberei. Das ist insofern bemerkenswert, als seit Beginn der Flüchtlingskrise der Tanz um Worte wie „begrenzen“ oder „reduzieren“ einen ziemlich großen Teil dessen ausgemacht hat, was CDU und CSU oder, genauer gesagt, Angela Merkel und Horst Seehofer bis an die Grenze des Bruchs getrieben hat.

Aber Hasselfeldt, Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie dieses Spiel nie mitgemacht hat. Und so fällt es Seehofers Statthalterin in Berlin nicht besonders schwer, auch den letzten Streitpunkt für zweitrangig zu erklären, der nach Merkels montäglicher Mea-culpa-Rede noch übrig ist. „Mir persönlich liegt nichts daran, den Begriff ,Obergrenze‘ zu fixieren“, sagt Hasselfeldt.

Ihrem Parteichef fällt das ersichtlich viel schwerer. Horst Seehofer hat zuletzt kurz vor der Berlin-Wahl im „Spiegel“ eine jährliche Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen für unverzichtbar erklärt. Merkel hat entgegengehalten, dass eine „statische Obergrenze“ weder mit der Verfassung noch mit dem humanitären Leitbild der CDU vereinbar wäre und dass eine Zahl wie 200.000 nun einmal statisch sei.

Mathematisch-logisch hat sie damit recht. Mathematisch-logisch wäre der Zank also nicht auflösbar. Aber Politik kennt eigene Logiken, um mit solchen Problemen umzugehen. Nicht die schlechteste Methode dafür ist – die Wortklauberei. Und weil Hasselfeldt die zwar einerseits nicht mag, andererseits aber bestens beherrscht, hat die Christsoziale schon vor Monaten Kompromissvokabeln erdacht. „Das Ziel ist das gemeinsame“ zwischen CDU und CSU, betont sie: sicherzustellen, dass Deutschlands – längst unstreitig – begrenzte Aufnahme- und Integrationsfähigkeit nicht überstrapaziert werde. Ob man das dann „Obergrenze“ nenne oder „Richtgröße“ oder „Orientierungsgröße“ ...

Tatsächlich könnte in solchen Vokabeln zumindest ein Teil eines Kompromisses zwischen den zänkischen Unionsschwestern liegen. Schwieriger ist es, die Zahl zu entschärfen. Immerhin hatte Wolfgang Schäuble einen sachdienlichen Hinweis gegeben: Wenn man die eine Million Flüchtlinge vom vorigen Jahr fair auf Europa verteilen würde, rechnete der Finanzminister unlängst vor, dann entfielen auf Deutschland ziemlich genau jene 200.000 Menschen. Andere finden das Zahlenspiel längst völlig entbehrlich. Michael Grosse-Brömer, Fraktionsgeschäftsführer der Union, plädiert für eine „politische Interpretation“: „Das Ziel ist, dass wir eine Politik machen, dass wir über eine Obergrenze von 200.000 nicht mehr reden müssen.“

Keine Verständigung "um den Preis der Offenbarung"

Der Streit wäre also lösbar, findet auch Merkel selbst: „Es sollte gelingen, die Brücke zu vollenden“, sagt sie am Dienstagnachmittag vor der Bundestagsfraktion. Seehofer will aber noch nicht. Wo Hasselfeldt der Kanzlerin die „richtige Sprache und die richtigen Inhalte“ bescheinigt, hört der CSU-Chef bloß neue Sprache. Manches an Merkels Erklärung sei bemerkenswert, ja erfreulich gewesen, sagt er vor der CSU-Landtagsfraktion, die ihre Jahresklausur im Kloster Banz abhält – die inhaltliche Wende sei das nicht. Doch es brauche keine Wende in der Erklärung von Politik, sondern in der Politik selbst.

Die Landtagsfraktion, in der Flüchtlingsfrage weit stärker auf Konfrontation gebürstet als die Kollegen im Bundestag, applaudierten. Auch Seehofers wiederholte Drohung, die CDU-Chefin nicht zum CSU-Parteitag einzuladen, wenn man sich nicht vorher einigt, fand Beifall. Er wolle die Verständigung, versicherte Seehofer, werde auch alles Menschenmögliche dafür tun – „aber nicht um den Preis der Offenbarung“.

Was dieser Preis jetzt schon wieder sein soll, ließ der Ober-Bayer indes im Ungewissen. Vielleicht denkt er an die „Deutschlandkongresse“, auf denen CDU und CSU ab Samstag inhaltliche Schwerpunkte fürs Wahljahr diskutieren wollen. Dort dürfte die CSU versuchen, in der Flüchtlingsfrage, aber auch auf ganz anderen Gebieten die Preise in ihrem Sinne noch einmal hochzutreiben. Es ist schließlich die letzte Gelegenheit. Auch wenn das keiner offen sagt, rechnen doch viele CDU-Spitzenleute damit, dass Merkel bis zum CDU-Parteitag im Dezember ihre Bereitschaft zur vierten Kanzlerkandidatur erklärt. Und ab da wäre dann Zusammenhalten Pflicht.

"Wenn wir nicht gerade aus Stein sind": Angela Merkels Rede im Wortlaut finden Sie hier.

Zur Startseite