zum Hauptinhalt
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer am Mittwoch in München.
© dpa

Die Koalition und die Flüchtlinge: Seehofer hält die Drohkulisse für Merkel aufrecht

Vor dem Spitzentreffen am Wochenende verzichtet CSU-Chef Horst Seehofer darauf, einen Bericht über einen möglichen Rückzug der CSU-Minister aus dem Bundeskabinett ausdrücklich zu dementieren.

Es gibt eine ziemlich lange Liste von Forderungen, die in der CSU in der Flüchtlingskrise erhoben werden. Dazu gehört, dass Österreich nicht mehr zahlreiche Flüchtlinge an der grünen Grenze nach Niederbayern sich selbst überlässt. Dazu gehört auch die Forderung von Parteichef Horst Seehofer an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), schnell eine Begrenzung des Zustroms an Flüchtlingen herbeizuführen. Und nicht zuletzt erwartet die CSU auch, dass die Koalitionspartner demnächst einen Beschluss über die umstrittenen Transitzonen fassen – also jenen Zonen in Grenznähe, aus denen nach der Vorstellung der CSU nicht asylberechtigte Migranten schnell abgeschoben werden können.

Man kann davon ausgehen, dass die Transitzonen am kommenden Sonntag beim Gespräch zwischen Merkel, Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen werden. „Ich bin zuversichtlich, dass wir bald zu einer Einigung kommen“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch mit Blick auf die Transitzonen.

Regierungssprecher Steffen Seibert dämpfte am Mittwoch zwar die Erwartungen an das Treffen der Koalitionsspitzen mit den Worten, hier handele es sich um „ein weiteres Gespräch zur weiteren Abstimmung“ in der Flüchtlingskrise. Klar ist aber auch, dass der unverminderte Andrang von Flüchtlingen an der bayerisch-österreichischen Grenze die drei Parteichefs unter Zugzwang bringt. Am Dienstagnachmittag waren zwei aus Österreich kommende Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Deutschland in den Inn gesprungen und von der Wasserrettung aus dem Grenzfluss geholt worden.

Jene CSU-Politiker, die sich für Zonen zur Registrierung der Flüchtlinge - wie auch immer die genannt werden - einsetzen, bauen darauf, dass damit wieder Ordnung in das Verfahren kommt. Die Flüchtlinge würden dann gezielt an den dafür vorgesehenen Übergängen in die Transitzonen gelangen. Zudem setzt man in der CSU auf das internationale Signal, das von der Einrichtung dieser Zonen ausginge: Migranten kommen nicht mehr so leicht nach Deutschland hinein wie bisher.

Vor allem in der SPD wird dagegen eingewendet, bei den viel diskutierten Transitzonen handele es sich bloß um eine Scheinlösung. So hatte der stellvertretende Parteichef Ralf Stegner noch am Dienstag erklärt, dass es mit der SPD keine „Internierungsanstalten“ für Flüchtlinge geben werde. Doch womöglich ist das noch nicht das letzte Wort aus der SPD: Zwar wandte sich auch Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht am Mittwoch gegen Transitzonen, „in denen Menschen in Haft genommen werden“. Aber eine „eine verpflichtende Registrierung in Grenznähe“ sei durchaus sinnvoll, sagte sie.

Seehofer hält Drohkulisse aufrecht

Auch bei den Christsozialen wurde das Koalitions-Spitzentreffen am Wochenende verbal vorbereitet: Seehofer vermied es, einen „Bild“-Bericht ausdrücklich zu dementieren, wonach er als „Ultima Ratio“ wegen der Krise den Rückzug der CSU-Minister aus dem Bundeskabinett erwäge. Zu denen, die die Drohkulisse vor dem Spitzentreffen aufrecht halten, gehört auch Markus Söder. „Wir haben eine echte Koalitionskrise“, sagte der bayerische Finanzminister mit Blick auf das Berliner Regierungsbündnis der „Süddeutschen Zeitung“. Im Verhältnis zur Schwesterpartei CDU handele es sich um die schwierigste Situation seit 1976, weil es um die Kernkompetenz der Union, innere Sicherheit und Rechtsstaat, gehe. 1976 entschied sich die CSU in Kreuth dafür, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufzulösen. Der Trennungsbeschluss wurde wenige Wochen später zurückgenommen.

De Maizière kritisiert Österreich

Angesichts der mangelnden Zusammenarbeit der österreichischen Behörden in der Flüchtlingskrise bekam Seehofer derweil verbale Unterstützung aus Berlin: Auch Innenminister de Maizière kritisierte, „dass Flüchtlinge ohne jede Vorwarnung nach Eintritt der Dunkelheit an bestimmte Stellen gefahren worden sind und dort unvorbereitet und ohne jede Vorsorge an die deutsche Grenze gekommen sind“.

Dass es zu Beginn der Woche zu teils chaotischen Zuständen an der bayerisch-österreichischen Grenze gekommen ist, überrascht auch deshalb, weil sich zuvor Kanzlerin Merkel mit den Staats- und Regierungschefs der Länder entlang der Balkanroute bei einem Mini-Gipfel auf eine bessere Absprache in der Flüchtlingskrise geeinigt hatte. Die Gipfelteilnehmer hatten sich darauf geeinigt, dass künftig feste Ansprechpartner aus den einzelnen Ländern den Zustrom der Flüchtlinge koordinieren solle. An diesem Donnerstag wollen die Koordinatoren – in Deutschland ist das Merkels Europa-Berater im Kanzleramt, Uwe Corsepius – bei einer Videokonferenz eine erste Bilanz ihrer gemeinsamen Arbeit ziehen.

CDU-Politiker Krichbaum fordert zügige Einrichtung von Aufnahmeplätzen

Bei dem Brüsseler Flüchtlingsgipfel war außerdem beschlossen worden, dass Griechenland und die übrigen Länder entlang der Balkanroute insgesamt 100.000 Aufnahmeplätze für die Flüchtlinge schaffen sollen. Der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, appellierte insbesondere an Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien, die geplanten Aufnahmeplätze zügig einzurichten.

„Kein Staat entlang der Balkanroute kann sich zu einem bloßen Transitland deklarieren“, sagte Krichbaum dem Tagesspiegel. Der CDU-Politiker bezweifelte, dass die geplanten 100 000 Plätze ausreichen würden, um die humanitäre Lage auf der Balkanroute nachhaltig zu verbessern. Zudem sei es ein „Unding“, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban bei der Flüchtlingshilfe abseits stehe. Orban hatte am Wochenende während des Brüsseler Mini-Gipfels erklärt, er nehme an dem Treffen nur als „Beobachter“ teil. Seit Ungarn einen Zaun an der Grenze zu Serbien und Kroatien errichtet hat, nehmen Flüchtlinge die Route nach Österreich über Kroatien und Slowenien.

Während Ungarn sich gegen den Flüchtlingsstrom weit gehend abgeschottet hat, plant Österreich schärfere Kontrollen an der Grenze zu Slowenien. Die Wiener Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die der konservativen ÖVP angehört, kündigte an, es werde „besondere bauliche Maßnahmen“ an der Grenze zum Nachbarn im Süden geben, wozu auch ein Zaun gehöre. Es gehe allerdings nicht darum, die Grenze „dicht zu machen“, sagte die Innenministerin.

Ähnlich äußerte sich auch Österreichs Regierungschef Werner Faymann, der der sozialdemokratischen SPÖ angehört: „Es ist ein Unterschied, ob man eine Grenze baut oder ob man ein Türl baut mit Seitenteilen.“ In Berlin kommentierte Regierungssprecher Seibert die Pläne bei den österreichischen Nachbarn mit den Worten, die Flüchtlingskrise lasse sich nicht „durch den Bau von Zäunen oder gar Mauern“ lösen.

Deutschland verlängert Grenzkontrollen

Deutschland wird die Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich derweil zunächst bis zum 13. November verlängern. Wie eine Sprecherin der EU-Kommission dem Tagesspiegel bestätigte, ging am Mittwoch ein Schreiben von Innenminister de Maizière mit einer entsprechenden Ankündigung bei EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans in Brüssel ein. Dem Schreiben zufolge würden die Kontrollen nach dem 13. November „für die Dauer von zunächst drei Monaten fortgeführt“, sofern sich die Lage nicht signifikant ändere. Zuvor hatte de Maizière die Kontrollen Mitte des Monats bis zum 31. Oktober verlängert.

Zur Startseite