Kritik an Ermittlungsbehörden: Sebastian Edathy geht in die Offensive
Im Fall Edathy steht auch das Bundeskriminalamt in der Kritik. Edathy selbst wehrt sich juristisch gegen die Staatsanwaltschaft und sieht sich als Opfer. Was steht fest?
Sebastian Edathy geht in die Offensive. Er greift die Ermittlungsbehörden in Niedersachsen an und wirft ihnen Maßlosigkeit vor. Gleichzeitig beschwert er sich über fehlenden Anstand. Besonders rau weht ihm der Wind dabei aus der eigenen Partei entgegen, die ihn loswerden will. Doch nicht nur Edathy wehrt sich. Auch das Bundeskriminalamt steht in der Kritik – und kontert.
Was beklagt Edathy?
Seine recht vollmundige Ankündigung vom Sonntag, dass er sich per Pressemitteilung über seinen Anwalt äußern werde, ist vor allem ein Rundumschlag gegen die niedersächsischen Ermittlungsbehörden. Gegen die hat er eine weitere Strafanzeige gestellt. Er wirft der Staatsanwaltschaft Hannover die Verletzung von Dienstgeheimnissen vor. So hätten die Ermittler die „vollständige Ermittlungsakte der ,Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘ zugänglich gemacht“. Edathy wehrt sich in seiner Stellungnahme, die er über seinen Anwalt Christian Noll verbreiten ließ, auch gegen die Äußerungen der Staatsanwaltschaft Hannover, wonach sich das Material des ehemaligen Bundestagsabgeordneten in einer „Grauzone“ befinde. Es gebe legal und nicht legal, erklärte Edathy. Und da sowohl das Bundeskriminalamt, die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main als auch die Staatsanwaltschaft Hannover sein Verhalten als nicht strafbar eingestuft hätten, hätte der Vorgang bereits Anfang November geschlossen werden müssen. „Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft öffentlichkeitswirksam Durchsuchungen vorgenommen, in der bloßen Hoffnung, dabei etwas zu finden“, heißt es in der Mitteilung. Edathy verlangte deshalb vom niedersächsischen Justizministerium die Absetzung der Staatsanwaltschaft Hannover von seinem Fall. Diese wollte das nicht kommentieren; das Justizministerium erklärte, dass man das Schreiben prüfen werde.
Doch Edathy geht nicht nur juristisch in die Offensive. Er kritisiert auf seiner Facebook-Seite auch fehlenden Anstand. Konkreter wurde er jedoch nicht. Er veröffentlichte noch Auszüge einer SMS-Kommunikation zwischen ihm und dem Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, in dem sich Edathy ebenfalls über fehlenden Anstand beschwerte. Am Wochenende wurde Edathy deutlicher und verwies auf Morddrohungen, die er erhalten habe. Auf Facebook hat sich eine Gruppe gegründet, in der zum Teil offen zum Mord an Edathy aufgerufen wird. So werden Fotos gepostet, auf denen eine Patrone zu sehen ist mit der Überschrift: „Ich bin die Therapie für Kinderschänder“. Andere rufen zur „chemischen Kastration“ auf.
Wie geht die SPD mit Edathy um?
Sie droht Edathy mit Ausschluss. Zumindest hat die Parteispitze ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Man habe das Verfahren an die Bezirksschiedskommission in Hannover übergeben, sagte Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Bereits vor einer Woche hatte der SPD-Vorstand das Ruhen der Mitgliedsrechte beschlossen. Damit geht automatisch ein Parteiordnungsverfahren einher, das über das weitere Vorgehen entscheiden muss. Denn das Ruhen der Rechte ist zunächst immer nur auf maximal drei Monate begrenzt und kann beschlossen werden, wenn „eine schwere Schädigung der Partei eingetreten oder mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist“. Über den weiteren Fortgang des „Parteiordnungsverfahrens nach Sofortmaßnahme“ muss nun die Bezirksschiedskommission Hannover entscheiden. Allerdings gibt es Unmut gerade in Niedersachsen über das rigorose Vorgehen gegen Edathy. Fahimi begründete den Schritt mit moralisch unkorrektem Verhalten Edathys, das nicht zur Haltung der SPD passe.
Auch das BKA steht in der Kritik. Warum?
Die Phalanx der Kritiker ist interessant. Denn nicht nur Grüne und Linke sind skeptisch, ob das BKA richtig gehandelt hat. Auch aus der Union kommt Kritik. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat wenig Verständnis für die lange Dauer. „Wir müssen auf jeden Fall alles dafür tun, dass in Zukunft solche Ermittlungsverfahren wesentlich schneller vorangehen“, sagte er am Montag. Bei Verdacht auf Kinderpornografie müsse so schnell wie irgend möglich gehandelt werden. „Da habe ich überhaupt kein Verständnis für diese lange Verfahrensdauer“, betonte Herrmann. Das sei dann völlig unabhängig vom Fall Edathy ein „grundsätzliches Problem“.
Wie reagiert das BKA?
Die Behörde in Wiesbaden wehrt sich vor allem gegen den Vorwurf, dass das BKA angeblich Informationen zurückgehalten habe. „Derartige Spekulationen entbehren jeglicher Grundlage“, sagte BKA-Chef Jörg Ziercke am Montagabend. Es sei ungeheuerlich, den Beamtinnen und Beamten des BKA mit diesen Spekulationen strafbare Handlungen zu unterstellen und sie öffentlich zu beleidigen. Diese hätten Respekt von der Politik und der Öffentlichkeit verdient, da sie sich täglich „mit unsäglichem Leid von Kindern beschäftigen müssen und diese psychisch belastende Arbeit nur mit der Betreuung durch Fachpsychologen leisten können“. Ziercke forderte eine Entschuldigung unter anderem von Linken-Chef Bernd Riexinger und FDP-Vize Wolfgang Kubicki, die über die Zurückhaltung von Informationen spekuliert hatten.
Warum hat es so lange gedauert?
Im Jahr 2010 wurde in Kanada der Betreiber einer Kinderporno-Webseite festgenommen. Dabei wurde auch seine Kundendatei sichergestellt, in der auch 800 deutsche Kunden registriert waren. Diese Liste landete nach Zierckes Darstellung vom Montag im November 2011 beim BKA. Doch es dauerte demnach bis Juni 2012, bis die Ermittlungen begannen und nochmal bis Oktober 2013, ehe der Name Edathy bewusst registriert wurde – von der Polizei Nienburg. Grund für die spätere Aufnahme von Ermittlungen war ein anderes Verfahren im Zusammenhang mit Kinderpornografie: „Operation Tornado“. Dieser Fall hat seine Wurzeln ebenfalls im Ausland. Drei Entwickler eines Bezahlsystems für Kinderporno-Seiten wurden im Januar 2008 außerhalb Deutschlands festgenommen. Dieses System wurde bei 270 Webseiten angewandt. Und ähnlich wie jetzt bei Edathy wurde auch hier eine Datei mit 60 000 Kunden in 146 Ländern sichergestellt. Über 1000 der Kunden kamen aus Deutschland. Ziercke sprach am Montag von 5300 Datensätzen und 1098 Beschuldigten. Auch die „Operation Tornado“ zog sich fast drei Jahre hin.
Nach Darstellung Zierckes vom Montag begann im Juni 2012 die Auswertung von 500 Stunden Filmmaterial und 70 000 Bildern in einzelnen Arbeitschritten: die Filme wurden in die Kategorien strafbar oder nicht eingeordnet und anschließend noch einmal kategorisiert. Daraus hätten sich laut Ziercke Priorisierungen ergeben. Sprich: Das schlimmste Material wurde als erstes verfolgt. Ziercke erklärte, dass hier mit größter Sorgfalt vorgegangen werden müsse. Es könne Verwechslungen geben, falsche oder verschleierte Bestelladressen, Wohnorte, die nicht gleich Bestellort seien. Wohnungswechsel zwischen den Bundesländern bei Bestellern, da die Bestellungen teilweise aus dem Jahr 2004 stammten, hätten ebenfalls einkalkuliert werden müssen. Ziercke versicherte, dass beim BKA keinem der Name Edathy aufgefallen sei und er von niemandem mit einem deutschen Bundestagsabgeordneten in Verbindung gebracht worden sei. Dies hätten alle Mitarbeiter in einer dienstlichen Erklärung am 24.02.2014 versichert. Unwahre Angaben, heißt es in einer BKA-Mitteilung, würden disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Wie plausibel ist das?
Dass das BKA den Namen Edathy erst erfahren hat, als die Polizei Nienburg bei Ziercke anrief, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass den BKA-Leuten da erst bewusst wurde, wer das ist. Denn natürlich wird schon in einem frühen Ermittlungsstadium überprüft, ob unter den Kunden Personen sind, die in einem sensiblen Bereich tätig sind, also Lehrer, Jugendarbeiter, Trainer. Dort besteht Eile, um zu verhindern, dass es zu sexuellem Missbrauch kommt. Also müssen die Namen überprüft worden sein. Nur, so verrückt es sich anhören mag, kann es sein, dass die Sachbearbeiter des gesamten Falles mit dem Namen Edathy nichts anfangen konnten.
Christian Tretbar