Unglück vor Lampedusa: Schwere Vorwürfe gegen die Küstenwache
Ein Zeuge des Flüchtlingsdramas vor Lampedusa erheben schwere Vorwürfe gegen die Küstenwache. Sie seien bei ihrer Hilfe behindert worden - weil keine offizielle Erlaubnis vorlag.
Ein Zeuge hat nach dem Flüchtlingsdrama vor der italienischen Insel Lampedusa schwere Vorwürfe gegen die Rettungskräfte erhoben. Die Küstenwache habe 45 Minuten gebraucht, bis sie den etwa 500 Meter vor der Küste gelegenen Unglücksort erreicht habe, sagte Marcello Nizza, der am frühen Donnerstagmorgen mit einem Fischerboot in der Nähe des gekenterten Schiffs unterwegs war. Zusammen mit seinen sieben Begleitern kam er den Opfern zur Hilfe. Sie hätten um 6.30 Uhr damit begonnen, die Schiffbrüchigen auf ihr Boot zu ziehen und eine Viertelstunde später die Küstenwache alarmiert, erzählte Nizza. Die Küstenwache wies dies zurück. Der erste Notruf sei um 7.00 Uhr eingegangen, 20 Minuten später seien die Retter vor Ort gewesen. Nizza beschuldigte die Küstenwache auch, die Rettung weiterer Überlebender behindert zu haben. Mit 47 Überlebenden habe sein Boot den Hafen von Lampedusa erreicht. Er sei dann aber daran gehindert worden, wieder aufs Meer zu fahren, weil hierfür keine offizielle Erlaubnis vorgelegen habe. „Ich hätte mehr Menschen retten können“, sagte Nizza. Ein Sprecher der Küstenwache widersprach dieser Darstellung. Eine offizielle Erlaubnis sei nicht nötig gewesen. Es sei aber die Aufgabe der Küstenwache, die Rettungsaktion zu koordinieren und ein Chaos zu verhindern. Die Behörden vermuten, dass bei dem Unglück rund 300 Flüchtlinge ertranken.
An Bord des gekenterten Schiffes sollen etwa 450 bis 500 afrikanische Flüchtlinge gewesen sein, die überwiegend aus Somalia und Eritrea stammten. Bislang wurden 111 Tote geborgen, 155 Menschen überlebten das Unglück. Auch der Gouverneur der Region Sizilien, Rosario Crocetta, zeigte sich fassungslos. Es sei unverständlich, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex das Flüchtlingsschiff nicht bemerkt habe. „Wo war Frontex am Donnerstag morgen?“ fragte er.
Bürgermeisterin von Lampedusa übt heftige Kritik
Die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, übte heftige Kritik an einem italienischen Gesetz, wonach Helfer für die Rettung illegaler Einwanderer bestraft werden können. Mehrere Fischerbote hätten daher abgedreht, ohne den Schiffbrüchigen zu helfen. „Die Regierung muss diese unmenschlichen Normen ändern“, sagte Nicolini.
Friedrich fordert schärfere Maßnahmen gegen Schlepper
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat nach dem Tod zahlreicher Flüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa schärfere Maßnahmen gegen Schlepper verlangt. "Fest steht, dass wir noch stärker die Netzwerke organisierter und ausbeuterischer Schleusungskriminalität bekämpfen müssen", sagte der CSU-Politiker der "Welt am Sonntag". Die Schleuser brächten die Menschen mit falschen Versprechungen in Lebensgefahr und führten sie oft in den Tod. Friedrich forderte, dass Defizite in den Asylsystemen der EU-Mitgliedsstaaten frühzeitig erkannt und behoben werden müssten. Alles müsse getan werden, um die wirklich Schutzbedürftigen aufzunehmen. Zudem müsse die Lage der Menschen in den Herkunftsländern verbessert werden. "Die Menschen brauchen stabile politische Verhältnisse und wirtschaftliche Perspektiven in ihrer Heimat.
Hans-Peter Friedrich: Europa schottet sich nicht ab
Dabei muss und kann Europa helfen", sagte Friedrich. Den Vorwurf, Europa schotte sich ab, wies er zurück. Allein Deutschland habe in diesem Jahr fast 80 000 Menschen Zuflucht gewährt, sagte der Innenminister. "Durch die gemeinsamen europäischen Grenzpolizei-Einsätze konnten in den vergangenen zwei Jahren fast 40 000 Menschen aus Seenot gerettet werden."
Sigmar Gabriel fordert Bundesregierung soll Elend auf Lampedusa mildern
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, das Flüchtlingselend auf Lampedusa zu mildern. "Was auf Lampedusa passiert, ist eine große Schande für die Europäische Union", sagte er der "Bild am Sonntag" laut Vorabbericht. "Wir müssen den riesigen Strom von dort ankommenden Flüchtlingen gerechter in Europa verteilen und die Zustände für die Flüchtlinge und für die Inselbewohner vor Ort verbessern." (AFP)
Lesen Sie hier einen Kommentar unserer Autorin Andrea Dernbach.