Frankreich: Schwere Ausschreitungen bei Protesten gegen Arbeitsmarktreform
Mehr als hunderttausend Franzosen haben am Donnerstag erneut gegen eine von Präsident Hollande verfolgte Reform des Arbeitsrechts demonstriert. Vielerorts kam es zu Gewaltausbrüchen.
Bei landesweiten Protesten gegen eine von Staatschef François Hollande vorangetriebene Reform des Arbeitsrechts ist es in Frankreich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Vielerorts setzte die Polizei Tränengas und Schlagstöcke ein, um nach eigenen Angaben vermummte Jugendliche zurückzudrängen. Mehr als hundert Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums festgenommen, 24 Polizisten verletzt. Einer von ihnen schwebe in Lebensgefahr, sagte Innenminister Bernard Cazeneuve am Donnerstagabend.
Gewaltsame Auseinandersetzungen gab es unter anderem in Paris; in der Hauptstadt wurden drei Polizisten schwer verletzt. Auch in Marseille setzten die Sicherheitskräfte Tränengas und Schlagstöcke ein, in der Hafenstadt im Süden des Landes wurden mehr als 50 Menschen festgenommen. Insgesamt wurden 124 Menschen im ganzen Land vorübergehend festgenommen. In den Universitätsstädten Nantes und Rennes kam es ebenfalls zu Gewalt.
Vielerorts wurden auch Demonstranten verletzt. Die Gewerkschaften warfen der Polizei vor, auch mit Gummigeschossen in die Menge geschossen zu haben.
Zu den Protesten hatten Gewerkschaften, Studenten- und Schülerorganisationen aufgerufen. Landesweit nahmen mehr als hunderttausend Menschen teil: Die Behörden sprachen von 170.000 Demonstranten, die Gewerkschaften von 600.000. Allein in Paris gingen nach Angaben der Organisatoren 60.000 Menschen auf die Straße. Insgesamt habe es im ganzen Land mehr als 200 Demonstrationszüge gegeben.
Die Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform - die vierten innerhalb von zwei Monaten - gelten als Gradmesser für den Widerstand gegen den Gesetzesentwurf der Arbeitsministerin Myriam El Khomri, der unter anderem eine Lockerung der 35-Stunden-Woche vorsieht. Bei einer Demonstration waren Ende März nach Behördenangaben noch 390.000 Menschen landesweit auf die Straßen gegangen. Damals nahm auch die Bewegung „Nuit debout“ ihren Anfang, deren Anhänger inzwischen jeden Abend auf den Plätzen Frankreichs gegen die Reformen demonstrieren. Am Donnerstag war der Zulauf offenbar nicht ganz so groß wie Ende März – wohl auch deshalb, weil in Paris, Toulouse und Montpellier noch Schulferien sind.
Dennoch war für viele Franzosen der Protest nicht zu übersehen. Wegen eines Streiks am Pariser Flughafen Orly fiel dort jeder fünfte Flug aus. Zudem erschienen viele Tageszeitungen nicht, weil in Druckereien die Arbeit niedergelegt wurde. Jean-Claude Mailly, der Chef der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO), zeigte sich zuversichtlich, dass den Demonstranten „nicht die Luft ausgehen“ werde. Mailly rief die Regierung auf, den Text der geplanten Arbeitsmarktreform noch einmal grundlegend zu überarbeiten. Bei den Demonstrationen zum 1. Mai wollen die Gewerkschaften erneut Stellung gegen das Projekt beziehen, über das ab kommendem Dienstag im Parlament beraten werden soll.
Zahl der Arbeitslosen so stark gesunken wie seit 2000 nicht mehr
Trotz der anhaltende Proteste gibt es allerdings einen Hoffnungsschimmer für Hollande. Im März ging die Zahl der Arbeitslosen um 60.000 zurück. Dies ist der stärkste Rückgang seit dem Jahr 2000. Allerdings ändert die jüngste Entwicklung nichts daran, dass in Frankreich weiterhin 3,5 Millionen Menschen ohne Job sind. Die Zeitung „Le Monde“ zeigte sich skeptisch, dass die Erholung auf dem Arbeitsmarkt von Dauer sein wird: „Noch nie hat man einen Rückgang über zwei aufeinanderfolgende Monate beobachten können.“
Acht von zehn Franzosen glauben laut Umfragen nicht an die Zusicherung, die Hollande bei einem Bürgerdialog vor zwei Wochen in Fernsehen gegeben hatte. Frankreich gehe es besser als bei seinem Amtsantritt im Jahr 2012, hatte Frankreichs Staatschef gesagt. Die wirtschaftliche Lage ist entscheidend für das politische Schicksal Hollandes. Wenn sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bessert, könnte er sich am Ende dieses Jahres zu einer erneuten Kandidatur für das Präsidentenamt entschließen. (mit AFP, Reuters)