Schulz, Maaßen und die AfD: Schulz hält eine Rede für das Demokraten-Bauchgefühl
Die AfD will dem System an den Kragen - aber anders als Martin Schulz es darstellt. Was die SPD offenbar noch nicht versteht. Ein Kommentar.
Martin Schulz hat am Mittwoch im Bundestag eine leidenschaftliche Rede gehalten. Er sagte, die AfD gehöre auf den „Misthaufen“ der Geschichte und sie greife auf die „Mittel des Faschismus“ zurück, wenn sie Migranten zur Ursache allen Übels erkläre. Später verteidigte er seine Wortwahl: „Auf einen groben Klotz muss man auch mal einen groben Keil setzen.“
Martin Schulz sagt im Bundestag, ein grober Klotz brauche einen groben Keil
Die Rede war was für ein wohlig-warmes Demokraten-Bauchgefühl. Doch so begeistert sie aufgenommen wurde: Gut war sie nicht. Schulz setzt den groben Keil „Faschismus“ an – und verwischt damit, was die AfD wirklich so gefährlich macht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die SPD-Parteiführung erst viel zu spät, nach weiteren Enthüllungen am Donnerstag, den Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen forderte. Sie scheint den wahren Skandal nicht zu sehen.
Deutschland steht eben nicht vor einer faschistoiden, von Gewalt auf den Straßen begleiteten Machtübernahme durch offene Feinde des Parlamentarismus und ihrer Gehilfen im Establishment, die Gesetze und Verfassung außer Kraft setzen. Die Methodik der AfD ist eine andere. Die AfD will das System von innen aushöhlen. Sie stellt sich nicht gegen den Parlamentarismus, sondern nutzt ihn. Die Parlamente dienen ihr als Verstärker, um Wahrheiten zu erschüttern. Sie behauptet eine „schweigende Mehrheit“ zu vertreten und sät Zweifeln daran, dass das Parlament den Willen der Wähler abbildet. Sie ist eben kein Knüppelschwinger, sondern ein Virus.
In den Tagen nach Chemnitz verzerrt die AfD die Ereignisse
Ihre Methodik hat die AfD in den Tagen nach den Ereignissen in Chemnitz so klar gezeigt wie selten. Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland sprach von „drei oder vier Verrückten“, die sich in „legitimen politischen Protest“ gemischt hätten. Die AfD machte Gegendemonstranten im Bundestag zu Tätern: „Der Kampf gegen rechts ist ein Kampf gegen Recht“, behauptete der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio am Donnerstag im Plenum.
Die Partei twitterte tagelang über den „Mord“ in Chemnitz (ermittelt wird wegen Totschlags) und dem „Mord in Köthen“, obwohl die Obduktion ein Herzversagen als Todesursache ergab. Im Landtag von Sachsen-Anhalt unterstellte die AfD der Landesregierung eine falsche Darstellung der Todesumstände von Markus B. Über ihren Twitter-Kanal sucht die AfD übrigens gerade „Wahlbeobachter“ für die Wahlen in Hessen und Bayern. Als Begründung wird die korrigierte Sitzverteilung zugunsten der Rechtspopulisten im schwedischen Parlament genannt – Wahlhelfer hatten nach offiziellen Angaben in einem Wahlkreis die Ergebnisse der Landtags- und Reichstagswahlen vertauscht. Die AfD nennt das einen „Fehler“, in Anführungszeichen.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen beteiligt sich an der Demontage des Faktischen
Das ist die Methode AfD: Sie etabliert ein perfides Spiegelkabinett aus Behauptungen und Suggestionen, in dem man am Ende beginnt zu zweifeln, ob überhaupt irgendjemand, irgendetwas real ist, woher die Stimmen kommen, die man hört, und ob man ihnen trauen kann.
Die SPD hätte Maaßen früher zum Rücktritt auffordern müssen
Hans-Georg Maaßen hat dieses Spiel mitgespielt, als er in Bezug auf ein Video aus Chemnitz von „guten Gründen“ sprach, zu glauben, es handele sich um „gezielte Missinformation". Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spielte das Spiel mit, als er behauptete, es habe keinen „Mob“ gegeben. Und Horst Seehofer stellte sich aus Machttaktik vor den unhaltbaren Verfassungsschutzpräsidenten. Die letzten Tage zeigten ein dramatisches Versagen bei der Verteidigung der Demokratie.
Das alles hätte Martin Schulz benennen können. Er hätte die AfD für ihre Verzerrung der Realität stellen können, seinen Koalitionspartner für die Schützenhilfe, Maaßen für seine Verantwortungslosigkeit. Doch er beschränkte sich darauf, die waidwunde Seele der eigenen Partei zu streicheln.