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Der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
© dpa/John Macdougall/AFP Pool

Der Kanzler zögert: Scholz stiehlt sich bei der Impfpflicht aus der Verantwortung

Der Kanzler könnte Überzeugungsarbeit leisten, die Regierungsfraktionen einen Gesetzesvorschlag einbringen. Stattdessen wachsen die Zweifel an der Impfpflicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es ist schwer zu fassen. Da sagen der Kanzler und die Ministerpräsident:innen Mal um Mal, dass die Impfpflicht der Weg sei, aus der Pandemie herauszukommen, jedenfalls der beste bisher bekannte. Warum dann noch warten?

Wer hier zögert, lädt Verantwortung auf sich. Zusätzliche. Was hat der Kanzler geschworen? Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Also ran. Die Entscheidung, wie es gehen soll, dem Bundestag zu übertragen, ist durchsichtig. Führen durch Nichtführen ist keine überzeugende Option.

Formal ist richtig, dass die Volksvertreter fürs Volk beschließen, aber Olaf Scholz ist nicht nur zum Kanzler gewählt, sondern auch zum Volksvertreter. Und da kann er Gesetze mit verabschieden, sie anregen, sie durchzusetzen versuchen. Das gilt für seine Vizekanzler nicht anders.

SPD, Grüne und FDP haben die Mehrheit im Bundestag. Das bedeutet: Sie könnten als Regierungsfraktionen einen Gesetzesvorschlag zur Impfpflicht machen. Und wenn nicht zu dritt, dann voran aus der SPD, aus Scholz‘ Fraktion. 

Dazu wiederum könnte das Kanzleramt oder das SPD-geführte Gesundheitsressort einen Vorschlag vorlegen. Flott sogar. Die Expertise ist da.

Abgeordnete werden vom Zweifel infiziert

Es passiert aber nicht, und nicht nur, weil es bei der FDP Vorbehalte gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht gäbe. Überall werden Abgeordnete gerade vom Zweifel infiziert. 

Umso wichtiger wäre jetzt, Überzeugungsarbeit auf allen Kanälen zu leisten – wenn man selbst überzeugt ist. Impfpflicht ist kein Impfzwang; das ist rechtlich und moralisch ein Unterschied.

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Vor dem Hintergrund wird noch dringender, als Kanzler bei der Regierungsfraktion SPD mindestens zu werben, davor noch die Fraktionsspitze zu drängen, voran zu machen. 

Karl Lauterbach will nicht als zuständiges Kabinettsmitglied für Gesundheit einen Entwurf vorlegen, sondern nur als einfacher sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter – wie kann man ihn so alleine lassen. Rolf Mützenich, übernehmen Sie! 

Und jetzt auch noch Karneval

Auch ein weiterer genannter Grund fürs Zögern trägt nicht: Wegen Karneval, heißt es, kann das Parlament im Februar nicht beschließen, in die eine Sitzungswoche passt das nicht rein. Das gibt es doch nicht. Karneval fällt eh aus. Als wäre die Politik jeck geworden.

Wenn der Bundestag im Februar etwas zu beraten hat, ihm bis dahin Anträge zur Impfpflicht vorliegen, kann er allerdings eine Sondersitzung oder mehrere einberufen. Also wenn die Fraktionen wollen, der Ältestenrat dazu rät, dann müssen die Fraktionsvorsitzenden ran! Das ist im vergangenen Jahr ja auch oft geschehen, als es um die Verlängerung der epidemischen Notlage ging.

Einmal vor der Welle sein, das wär doch was

Mag sein, dass einigen die Pause ganz gelegen kommt, weil sie mit ihren Gruppenanträgen zur Impfpflicht nicht so schnell sind – doch aufs Tempo kommt es an.

Einerlei, was die Gegner sagen: Noch ist es nicht zu spät. Oder andersherum: Je eher sie kommt, desto besser fürs Gemeinwesen. Denn das wenigstens ist ganz sicher – dass Selbstschutz Gemeinschutz ist.

Um den Kritikern entgegenzukommen: Das Gesetz zur Impfpflicht könnte doch notfalls zeitlich begrenzt eingeführt werden. Auf Probe gewissermaßen, und die Regierung ist nach der Zeit berichtspflichtig. Daran entscheidet sich, ob das Gesetz verlängert wird. Die nächste Corona-Variante kommt bestimmt. Einmal vor der Welle sein, das wär doch was. Worauf warten wir noch?

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