Die SPD nach dem Machtwechsel: Schluss mit dem Selbstmitleid!
Die Führungsfrage scheint geklärt, jetzt soll es um den Koalitionsvertrag gehen. Doch da gibt es noch zwei Probleme, die die SPD-Spitze plagen.
Ausgerechnet am Aschermittwoch durfte die von "Chaostagen" (Parteivize Manuela Schwesig) gebeutelte SPD eine neue Erfahrung machen. Die Sozialdemokraten erlebten einen Tag ohne neue Hiobsbotschaften, an dem die wichtigsten Mitglieder der neuen Parteiführung sich zudem diszipliniert um die Verbreitung der gemeinsamen Botschaft bemühten. Danach soll es von nun an um die Inhalte des Koalitionsvertrages gehen, nicht mehr um Köpfe, Posten und interne Machtkämpfe. Hoffnungen auf einen glatten und völlig ungefährdeten Sieg beim Mitgliederentscheid aber scheinen im Willy-Brandt-Haus ungeachtet offizieller Zuversicht derzeit kaum verbreitet. Denn das tiefe Misstrauen der Parteibasis gegen "die da oben" ist mit der Entscheidung für Olaf Scholz als kommissarischen Parteichef und Andrea Nahles als designierte Vorsitzende vorerst besänftigt, aber noch lange nicht ausgeräumt.
Die SPD tut sich mit der Polemik schwer
Eigentlich verlangt die Tradition des politischen Aschermittwochs deftige Botschaften. Doch weil die SPD- Spitze nun die Rückkehr zur Sacharbeit predigt, kann sie nur schwer polemisch werden. Das wurde auch beim Auftritt von Scholz einen Tag nach seiner Ernennung zum kommissarischen Parteichef in Vilshofen deutlich, wo er um ein Ja der Mitglieder zum Koalitionsvertrag warb. Es gebe in Europa Zeitfenster der Mitgestaltung, die es in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr gebe, warnte er. Die SPD habe zwei Drittel ihres Wahlprogramms durchsetzen können, außerdem habe sie bei der Verteilung der Ministerien sehr gut verhandelt. Man müsse sich nur die Diskussionen in der CDU anschauen, "um zu wissen, dass wir es wohl irgendwie richtig hinbekommen haben".
Direkter wurde Generalsekretär Lars Klingbeil im schwäbischen Ludwigsburg. Er mahnte die eigenen Leute, sich endlich wieder stärker der politischen Realität zuzuwenden. "Die Zeit des Selbstmitleids muss für die Sozialdemokratie ein Stück weit vorbei sein", forderte er. Parteivize Malu Dreyer räumte unterdessen ein, dass die Führung die Stimmung an der Basis falsch eingeschätzt habe, als sie ursprünglich Nahles zur kommissarischen Vorsitzenden machen wollte. In unruhigen Zeiten müsse "man auch hören, wenn es in der Basis Widerstände gibt, und sie aufnehmen", sagte sie im SWR2. Erst nach Protesten von Landesverbänden hatte die Führung sich für die Ernennung von Scholz entschieden. Nahles soll dann im April auf einem Sonderparteitag zur Vorsitzenden gewählt werden.
Zwei Hürden bleiben
Mit dem Wechsel von Nahles zu Scholz scheint die Verfahrensfrage befriedet. Zwei andere Hürden aber bleiben bestehen, die der Spitze das Werben für ein Ja zum Koalitionsvertrag erschweren. Zum einen ist da die Forderung nach einer Urabstimmung über den Parteivorsitz, die vielen Mitgliedern attraktiv scheint. Dem steht nach Meinung der Führung die Satzung entgegen und die Tatsache, dass das langwierige Verfahren die gerade gelöste Machtfrage wieder aufreißen und die Regierungsbildung erschweren würde. Parteivize Manuela Schwesig warnte im Deutschlandfunk, die SPD könne sich aktuell keine lange Hängepartie um die eigene Führung leisten.
Auch beim zweiten Konflikt gibt es bislang keine Anzeichen, dass die Parteiführung einlenken will. Dabei geht es um die Frage, ob die Führung den Mitgliedern schon vor dem Entscheid über den Koalitionsvertrag eine Liste mit den künftigen SPD-Ministern vorlegen soll, wie das etliche Bundestagsabgeordnete fordern. Auch hier hielt Schwesig dagegen: In der Frage, wie das Kabinett aussehen solle, habe die Führung noch "keine Entscheidung getroffen", versicherte sie.
Unterdessen hat sich nach der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange ein zweiter Herausforderer von Nahles bekannt. Auch Dithmarschens SPD-Vize-Kreischef Dirk Diedrich will bei der Wahl des Vorsitzenden gegen sie antreten. Aber selbst diese Nachricht war am Aschermittwoch für die gebeutelte SPD keine Hiobsbotschaft mehr.