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Man stelle sich vor, die App wüsste, wen ich wann und wo getroffen habe. Wer würde so etwas noch nutzen wollen?
© Archivfoto aus Schweden via REUTERS

Kritik an der Corona-App: Schiebt nicht alles auf den Datenschutz!

Um die Infektionszahlen einzudämmen, wird auch über weniger Anonymität für die App nachgedacht. Ein beliebter, aber völlig falscher Ansatz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Miriam Schröder

Der Datenschutz soll schuld sein. Je höher die Infektionszahlen steigen, und je härter die Maßnahmen sind, die dagegen ergriffen werden, desto häufiger verlautet von Politiker in Sonntagsinterviews und Talkshows: Würden sich die Bürgerrechtler bei der Corona-Warn-App nur nicht so anstellen, bekämen sie die Pandemie in den Griff. Da wird zuweilen gar von einem Instrument phantasiert, das die Namen und Aufenthaltsorte von infizierten Personen nicht nur kennt, sondern am besten auch gleich an die Gesundheitsämter weiterleitet. Zum Wohle der Gesellschaft, versteht sich.

Die Argumentation verkennt zunächst mal technische Tatsachen. So, wie die App konzipiert ist, kann sie weder Personen noch Standortdaten erfassen. Selbst wenn Telekom und SAP, die Entwickler der App, den Auftrag bekämen, das zu tun, selbst wenn es legal wäre: Die Schnittstellen, die Apple und Google - Herrscher über die Betriebssysteme der Mobiltelefone und sonst nicht gerade zimperlich, was das Sammeln von Daten betrifft - für die Abstandsmessung zwischen zwei Handys bereitstellen, lassen eine derartige Überwachung gar nicht zu. Aus gutem Grund.

Die App ist sicherlich noch lange nicht perfekt. Der Datenschutz aber ist eines ihrer besten Features. Die vollständige Anonymisierung der Personen, die sie nutzen, macht den Unterschied zwischen einer Technik, die dem Menschen dient, und einer, die ihn beherrscht. Sie ist zugleich Bedingung für ihre Akzeptanz in einer freiheitlichen Gesellschaft. Mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland haben die Corona-Warn-App freiwillig heruntergeladen, im europäischen Vergleich ist das viel. Das hätten sich sicher nicht getan, wenn die App ein Protokoll erstellen würde, aus dem herauszulesen wäre, mit wem sie wann, wo und wie lange zusammen waren.

Dass Datenschutz den Ruf einer Innovationsbremse hat, liegt womöglich auch am Wort: Datenschützer, das klingt nach drögen Bürokraten und Verhinderern, die ihre Ellbogen schützend über Akten legen. Dabei werden hier gar keine Daten geschützt, sondern Menschen. Und ihr Grundrecht auf Privatsphäre. Im Englischen sagt man nicht Datenschutz, sondern Privacy und meint etwas Positives: einen geschützten Raum, in dem ein Mensch denken, sagen und tun kann, was er will, ohne dabei beobachtet zu werden. Das gilt für die Dissidentin ebenso wie für Ehebrecher oder Virenträger.

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Natürlich gibt es in diesen geschützten Räumen auch Hässliches und Illegales, das verfolgt werden muss. Es ist schwer und wird immer schwerer, mit Datenschutz zu argumentieren, wenn es um die Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Rechtsextremismus oder Terrorismus geht. Da steht die Wichtigkeitsreihenfolge schnell fest. Entsprechend häufen sich die Versuche, Datenschutz zu lockern.

Die EU-Innenminister sinnieren darüber, wie sie auf verschlüsselte Kommunikation bei Messengerdiensten wie Whatsapp zugreifen können, die EU-Kommission will ein Gesetz erlassen, dass es Anbietern von E-Mail-Diensten erlaubt, private Kommunikation ohne jeden Verdacht mit einer Software automatisch auf verdächtige Inhalte zu überprüfen. Das alles sind Attacken auf ein Konstrukt, das die Mehrheit der rechtschaffenen EU-Bürger vor Überwachung durch Staatsapparate schützt. Dabei gibt es sehr wohl auch Alternativen: Von Präventionsarbeit bis zu einer besseren personellen Ausstattung der Polizei.

Man mag diesem Staat trauen, aber das reicht nicht

Man mag diesem Staat ja vertrauen, wenn er verspricht, die Daten, die er sammelt, nicht gegen seine Bürger zu verwenden. Aber das Recht und die Technologie müssen auch noch vertretbar sein, wenn eine andere Regierung an der Macht ist. Die EU macht auch Gesetze für Polen und Ungarn. Ihre Datenschutzgrundverordnung, als bürokratisches Monster verschrien, wird mittlerweile von Ländern in der ganzen Welt kopiert, selbst im liberalen Kalifornien. Wenn Europa es ernst meint mit dem Anspruch, seine humanistischen Werte in die Welt exportieren zu wollen, muss es diese Werte aber auch selbst ernstnehmen.  

Zurück zur Corona-Warn-App: Man stelle sich vor, was passiert, wenn die Kontaktbeschränkungen jetzt noch weiter verschärft und noch länger aufrechterhalten werden. Dann werden auch weiter Regeln gebrochen werden. Von Leuten, die feiern gehen, Menschen, die nicht von Gewohnheiten lassen wollen. Verantwortungslos, natürlich. Aber menschlich. Und wenn das Gesundheitsamt anruft und nach den Kontakten der vergangenen Tage fragt, wer gibt dann zu, dass er auf einer illegalen Party war? Oder trotz Quarantäne vor der Tür? Und wieder bleibt ein Cluster im Verborgenen. Eine App, die Anonymität garantiert, warnt jeden. Und verrät keinen.

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