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Der Richtplatz in Riad wird im Volksmund nur Kopf-ab-Platz genannt.
© dpa

Hinrichtungen: Saudi-Arabien sucht Henker per Online-Anzeige

Saudi-Arabien richtet inzwischen so viele Menschen hin, dass dem Land die Henker ausgehen. Per Online-Anzeige werden nun acht Scharfrichter gesucht - ohne besondere Qualifikationen.

Blitzend liegt der Krummsäbel in seiner rechten Hand, während die schlanke Gestalt in weißem Gewand zur Mitte des Al-Safah-Platz in Riyadh schreitet, im Volksmund Kopf-ab-Platz genannt. Flach auf dem Boden kniet der Todeskandidat. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt, Augen und Gesicht mit einem grauen Tuch verdeckt. Dann saust das Schwert herab – der Kopf fällt auf eine ausgebreitete Decke, der Torso macht einen Satz nach vorne und schlägt auf den Boden. Hastig werden über blecherne Lautsprecher Name und Taten des Hingerichteten heruntergeleiert, während Scharfrichter Abdallah Al-Bishi seine blutige Klinge mit einem Tuch abwischt.

Abdallah Al-Bishi ist einer der sechs saudischen Scharfrichter, die im ganzen Land herumreisen. Den speziell gehärteten Jowhar-Säbel hat er von seinem Vater geerbt, wie er dem libanesischen Fernsehsender LBC erzählt. Seit Jahresbeginn jedoch ist die Zahl der Enthauptungen so sprunghaft angestiegen, dass im erzkonservativen Königreich die Henker knapp werden. Und so sucht die Regierung in ihrem Online-Jobportal jetzt acht Männer, die als „Beauftragte im Namen der Religion“ die rasch wachsende Zahl der Verurteilten enthaupten, ihnen die Hände abschlagen oder Arm und Bein über Kreuz abhacken sollen – wie es in der Scharia steht. Besondere Qualifikationen brauchen die Bewerber nicht. Ihr künftiges Gehalt liegt im unteren Drittel des öffentlichen Dienstes. Nur wenige Männer wüssten noch mit dem traditionellen Säbel umzugehen, hatte zuvor das Justizministerium in einem Rundschreiben beklagt. Die Ausbildung mit dem Krummschwert sei hart und man brauche zudem die nötige Kaltblütigkeit.

85 Menschen sind in Saudi-Arabien von Januar bis Mai öffentlich enthauptet worden, darunter mehrere Frauen. Das sind fast genauso viele wie im gesamten Jahr 2014. Etwa die Hälfte der Getöteten sind Ausländer, die andere Hälfte Saudis. Die Mehrzahl war nach Angaben von „Human Rights Watch“ wegen Mordes verurteilt, gut 40 Prozent wegen Drogendelikten, wie der bislang 85. Todeskandidat, ein am letzten Sonntag in Jeddah wegen Heroinschmuggels hingerichteter Pakistaner. Andere müssen sterben wegen Hexerei, Kindesmissbrauch oder Abfall vom islamischen Glauben. Die meisten saudischen Untertanen sind mit dieser archaischen Härte einverstanden, bei der manchmal die Leiche noch ans Kreuz geschlagen und stundenlang zur Schau gestellt wird. Die Vereinten Nationen dagegen kritisieren die Strafpraxis immer wieder als „brutal, inhuman und erniedrigend“ – ohne Erfolg.

Denn Saudi-Arabien ist nach China und dem anderen nahöstlichen Gottesstaat Iran das Land mit den meisten Exekutionen der Welt, gefolgt von Irak und den Vereinigten Staaten. Ein kodifiziertes Strafrecht gibt es nicht. Die Angeklagten sind der Willkür der streng konservativen Scharia-Richter ausgeliefert. Oft wird ihnen der Zugang zu einem Rechtsanwalt verwehrt. Andere, die kein Arabisch sprechen, wissen nicht genau, was die Justiz ihnen vorwirft. Viele Geständnisse, die zu Todesurteilen führen, werden nach Informationen von Menschenrechtlern durch Folter, Prügel oder Schlafentzug erpresst. Und erst im Februar 2015 dekretierte das Oberste Gericht des Landes, eine Todesstrafe könne auch dann angeordnet werden, „wenn sich nicht zweifelsfrei beweisen lässt, dass der Angeklagte das Verbrechen begangen hat“.

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