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Anhänger des radikal-islamischen Predigers Pierre Vogel bei einer Demonstration in der Innenstadt von Frankfurt am Main.
© Boris Roessler/dpa

"Bündnis wäre ein GAU": Salafisten und Muslimbrüder nähern sich gefährlich an

Die betont radikalen und die eher bürgerlichen Islamisten hielten in Deutschland lange Abstand. Das ändert sich jetzt. Die Sicherheitsbehörden sind in Sorge.

Die beiden Vereine gelten beim Verfassungsschutz als „extremistisch-salafistisch“, doch die Gefahr hat noch eine andere Dimension. Die Razzia vom vergangenen Mittwoch in neun Bundesländern gegen die vermeintlich rein humanitären Organisationen „Ansaar International“ und „World Wide Resistance -Help“ diente nicht nur der Vorbereitung eines Verbots.

Die Sicherheitsbehörden wollen offenbar auch ausloten, in welchem Maße sich zwei islamistische Spektren aufeinander zu bwegen – die radikal auftretenden Salafisten und die eher leise, taktisch versierte Bewegung der Muslimbrüder, 1928 in Ägypten gegründet und älteste sunnitisch-islamistische Vereinigung Arabiens.

Ein wesentlicher Grund für die vereinsrechtlichen Ermittlungen des Bundesinnenministeriums gegen Ansaar International und WWR-Help ist ihre Unterstützung für die Terrororganisation Hamas, den palästinensischen Ableger der Muslimbruderschaft. Diese gibt sich in Deutschland betont gesetzestreu, Anhänger sind eher bürgerliche Fundamentalisten.

Den Organisationen der Muslimbrüder rechnet der Verfassungsschutz 1600 Personen zu, die Szene der Salafisten wird mit mehr als 11.000 beziffert. Viele gelten als Sympathisanten der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Salafisten und Muslimbrüder hielten lange Abstand. Doch das scheint sich zu ändern.

Salafisten lernen, wie sie staatliche Repression vermeiden

„Ein Bündnis der beiden wäre der GAU“, warnt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. Er skizziert das extremistische Potenzial: Jüngere Islamisten mit Drang zur globalen Revolution treffen auf eine islamistische Mittelschicht, die Staat und Gesellschaft „legalistisch“ durchdringen will. Trotz oder gerade wegen unterschiedlicher Aktionsformen, offene Rebellion hier, leises Einnisten dort, schienen Salafisten und Muslimbrüder zu erkennen, dass sie voneinander profitieren könnten, meint der Experte.

Die Salafisten würden lernen, wie man sich geschickter anstellt, um staatliche Repression zu vermeiden. Die Muslimbrüder bekämen Zugang zu jüngeren Leuten. Das Ziel beider islamistischen Spektren sei dasselbe: der Gottesstaat. Gemeinsam seien die beiden noch gefährlicher als jetzt schon jeder für sich.

Ein kräftiges Indiz für die Annäherung sehen die Behörden in den Umtrieben von Ansaar International und WWR-Help. Bei den salafistischen Vereinen, nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes eng verflochten, gebe es Anhaltspunkte, dass die palästinensische Terrororganisation Hamas finanziell und propagandistisch unterstützt werde, sagte das Bundesinnenministerium zur Begründung der Razzia. Die Hamas kämpft seit Jahrzehnten vom Gaza-Streifen aus mit Selbstmordattentaten und Raketenangriffen gegen Israel.

Ansaar International bestreitet nicht, im Gaza-Streifen aktiv zu sein. Auf der Website ist von „Lebensmittel-Notpaketen“ und „allgemeiner Nothilfe bis hin zum Krankenwagen“ die Rede. Der Verein behauptet auch, er habe die Genehmigung zur „Schaffung eines 24-stündigen Elektrizitätsnetzes“.

Es folgt allerdings ein fettgedruckter Aufruf, der die wahre Mentalität der Helfer von Ansaar ahnen lässt: „Be Part of Revolution! Now!!“ Sicherheitskreise nennen ein weiteres Indiz für die sich anbahnende Liaison von Salafisten und Muslimbrüdern. In Nordrhein-Westfalen besuchten Salafisten bereits sechs Moscheen der Muslimbruderschaft. Und Muslimbrüder interessierten sich für die leider erfolgreichen Konzepte der Salafisten, Jugendliche zu werben, heißt es.

Muslimbrüder treten bislang eher bieder auf

Was da passiert, lässt sich in sozialen Netzwerken besichtigen. Salafisten ködern gezielt junge Männer mit Rambovideos aus dem Dschihad. Der 2016 verbotene Verein „Die Wahre Religion“ verbreitete zudem Spiele und Basteltipps für Kinder. Ansaar International hat zudem Geschäftssinn. Der Verein vertreibt über einen „Ummashop“ im Internet und in einem Laden in Düsseldorf unter anderem Mode für junge Männer: Hoodies, Jogging-Anzüge, Cargohosen. Das Geld fließt angeblich in „Charity“.

Ansaar International habe nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren „zwölf Millionen Euro bewegt“, sagt das Innenministerium in NRW. Der Verein mit 170 Anhängern hier und Sammelstellen in weiteren Ländern sei vermutlich bundesweit die größte und aktivste „so genannte Hilfsorganisation“. Und Sicherheitskreise deuten an, die Macher von Ansaar „leben nicht schlecht“.

Die Muslimbrüder hingegen treten bislang eher bieder auf. Der Verein „Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG)“ rief 2018 auf seiner Website in einem Flyer mit dem etwas verwaschenen Bild eines Sternenhimmels „16 bis 35-Jährige“ auf, sich für ein „Korancamp für Jugendliche“ anzumelden. Die DMG nannte sich bis zum vergangenen Jahr „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“, der Verein wird schon lange vom Verfassungsschutz als mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft in Deutschland bezeichnet.

Experten streiten, wie die Extremisten zu bekämpfen sind

Das Etikett Extremismus versuchen die Muslimbrüder zu vermeiden. In Sachsen tritt die Bewegung mit dem freundlich klingenden Namen „Sächsische Begegnungsstätte (SBS)“ auf. Doch der Verfassungsschutz des Freistaats spricht auf seiner Website von „vermeintlich seriösen Angeboten für Muslime“ und einer „Doppelstrategie“. Zitiert werden antisemitische Sprüche des SBS-Vorsitzenden Saad Elgazar. Bei Facebook verbreitete er das Zerrbild von „Juden, die über den Nil herrschen, nachdem sie die Unterwerfung des Euphrat abgeschlossen haben“.

Angesichts der Erkenntnisse über die Muslimbrüder gibt es in Sicherheitskreisen gemischte Reaktionen auf einen Vorschlag des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD). Im Februar verkündete er beim Europäischen Polizeikongress in der Stadt, „Legalisten“ könnten eine „Auffangstation“ für Salafisten sein, die aus den Kampfgebieten in Syrien und Irak zurückkehren.

Mit „Legalisten“ meinte Geisel unter anderem die Muslimbrüder, obwohl sie auch der Berliner Verfassungsschutz beobachtet. Einerseits sei Geisels Idee verständlich, da kaum eine arabische Moschee zu finden sei, die nicht zumindest ultrakonservativ sei, sagen Sicherheitsexperten. Andererseits bedeute der Vorschlag, „den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“.

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