Zur Modellregion erklärt: Saarland steigt nach Ostern aus dem Lockdown aus
Weniger Neuinfektionen und mehr Impfungen als im Bundesschnitt sowie ein gutes Testsystem machen es möglich: Im Saarland soll wieder mehr Normalität einkehren.
Auf eine solche Nachricht warten alle Menschen in Deutschland, für die 990.500 Einwohner des Saarlands wird sie nach Ostern wohl Wahrheit: Das Bundesland will dann seine Auflagen in der Coronavirus-Pandemie massiv lockern und weite Teile des öffentlichen Lebens wieder hochfahren – eine vergleichsweise geringe Sieben-Tage-Inzidenz, eine gute Test-Infrastruktur und eine relativ hohe Impfquote machen es möglich.
Der Chef des des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler hatte noch am Mittwochabend einen Lockdown für ganz Deutschland als das zentrale Mittel genannt, um die dritte Welle zu stoppen. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) kündigte am Donnerstag an, dass ab dem Dienstag nach den Feiertagen Kinos, Fitnessstudios und die Außengastronomie in dem kleinsten deutschen Flächenland wieder öffnen. Voraussetzung sei ein tagesaktueller negativer Schnelltest.
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Die lang anhaltenden Einschränkungen stießen bei den Menschen immer mehr an ihre Grenzen, so Hans. Daher gelte: „Ab dem 6. April wird wieder mehr privates, wieder mehr öffentliches Leben möglich sein“, sagte Hans nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa. Sollte das Infektionsgeschehen allerdings anziehen, müssten die Öffnungen wieder zurückgenommen werden, so der Ministerpräsident. Im Erfolgsfall dagegen sollen nach dem 18. April weitere Öffnungen folgen etwa im Bereich der Schulen und in der Gastronomie.
Bund und Länder hatten Modellprojekte beschlossen
Auch bei den wegen der Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen werde gelockert, kündigte Hans an. Bei privaten Treffen im Freien sollten bereits im ersten Schritt bis zu zehn Personen erlaubt sein. Auch Kontaktsport im Außenbereich sei dann wieder möglich. „Immer in Kombinationen mit Testungen“, betonte Hans.
Für diesen Ausstiegsplan starte das Saarland ein Modellprojekt, sagte der CDU-Politiker. Dafür sei eine neue Rechtsverordnung beschlossen worden. „Wir wollen neue Wege in der Pandemiebekämpfung beschreiten.“ Kontaktbeschränkungen allein könnten nicht der Königsweg sein. „Es muss uns nach einem Jahr Corona-Pandemie mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken“, sagte Hans. Die Regierung wolle den Menschen mit den Beschlüssen eine Perspektive geben, „um gerade im Frühling wieder etwas mehr Lebensqualität genießen zu können“.
Bund und Länder hatten beim jüngsten Corona-Gipfel beschlossen, dass in Ländern und einzelnen Regionen zeitlich befristete Modellprojekte möglich sein sollen – „mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept, um einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens zu öffnen, um die Umsetzbarkeit von Öffnungsschritten unter Nutzung eines konsequenten Testregimes zu untersuchen“.
Voraussetzungen dafür seien unter anderem aber „lückenlose negative Testergebnisse als Zugangskriterium, IT-gestützte Prozesse zur Kontaktverfolgung“ oder zum Testnachweis und eine Verzahnung mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Außerdem muss es „klare Abbruchkriterien im Misserfolgsfalle“ geben.
Es gebe viele Bundesländer, die angekündigt hätten, solche Modellregionen jetzt ausweisen zu wollen, sagte Hans. „Wir sind aber das einzige Bundesland, dass das als Ganzes tut. Deswegen nennen wir unser Projekt auch das Saarland-Modell.“ Bayern beispielsweise hatte angekündigt, Öffnungsschritte in mehreren Modellregionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 nach Ostern unter anderem mithilfe eines Testkonzepts erproben zu wollen.
Inzidenz im Saarland bei 70
Das Saarland habe für ein solches Modellprojekt beste Voraussetzungen, sagte Hans. Zum einen sei die Sieben-Tage-Inzidenz mit aktuell um die 70 eine der niedrigsten bundesweit. Hans sprach von einem „derzeit moderaten“ Infektionsgeschehen in dem Bundesland an der Grenze zu Frankreich.
Am Mittwochmorgen hatte das Robert Koch-Institut (RKI) für Deutschland eine weiter zunehmende Zahl an Neuinfektionen gemeldet. Bundesweit stieg die Sieben-Tage-Inzidenz auf 113,3 im Vergleich zu 108,1 am Mittwoch. Insgesamt verzeichnet das Saarland Tagesspiegel-Daten zufolge bisher 31.083 bestätigte Infektionen und 935 Covid-19-Tote.
Zweitens verfüge das Saarland bereits über eine gute Infrastruktur für Tests, wie Hans betonte. Es gebe 41 Testzentren im Land, zudem böten mehr als 300 Ärzte und Apotheken kostenfreie Antigen-Schnelltests an. Das Saarland habe frühzeitig 2,5 Millionen Schnelltests bestellt. Für die täglich mehr als 16.000 Grenzgänger steht am Grenzübergang außerdem ein deutsch-französisches Testzentrum bereit.
Zudem sei die Impfquote im Saarland mit knapp einer Million Einwohnern hoch, so der Ministerpräsident. Bislang seien rund 150.000 Impfungen gegen das Coronavirus vorgenommen worden, davon um die 110.000 Erstimpfungen. Mit einer Quote von 11,4 Prozent bei den Erstimpfungen liege das Land an der Spitze der Bundesländer, zwei Prozentpunkte über dem Bundesschnitt, sagte Hans.
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Mitte des Monats hatten noch andere Nachrichten aus dem Saarland Beunruhigung ausgelöst – die Ausbreitung der als besonders ansteckend geltenden südafrikanischen Virusvariante. „Es ist auf dem Weg zu 15 Prozent Südafrika-Variante“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Das ist der höchste Anteil mit Abstand in ganz Deutschland.“
Hans hatte deshalb beim letzten Impfgipfel mehr Impfstoff für sein Bundesland gefordert. „Wir haben im Saarland mit unserer Nähe zu Frankreich einen hohen Anteil der südafrikanischen Variante des Virus.“ Um zu verhindern, dass sich neue Gefahren über ganz Deutschland ausbreiteten, solle man am besten die Impfquote auf lokaler Ebene erhöhen.
Lauterbach nennt Beschluss fahrlässig
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte mit Blick auf gefährliche Virusmutationen die Entscheidung des Saarlands. „Der Kurs des Saarlandes ist fahrlässig. Die Modellregion im Saarland ist ein Experiment, das zu einer schnellen Verbreitung gefährlicherer Mutationen in Deutschland führen kann“, sagte er der Rheinischen Post“. „Das Saarland hat von anderen Bundesländern mehr Impfstoff gegen Mutanten bekommen und geht jetzt ins Risiko. Das macht keinen Sinn“, so Lauterbach.
RKI-Chef Wieler hatte am Mittwochabend (MEZ) bei einer Online-Veranstaltung der deutschen Botschaft in Washington seine Sicht der Dinge dargelegt: „Wir können diesen Anstieg nicht stoppen, es sei denn mit einem neuen Lockdown für das Land“, sagte er einem dpa-Bericht zufolge. Andere „Werkzeuge“ zur Eindämmung der dritten Welle stünden derzeit nicht zur Verfügung.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt forderte dagegen, bei der Bekämpfung der Pandemie vermehrt auch andere Möglichkeiten als den Lockdown in den Blick zu nehmen. „Der monatelange Jo-Jo-Dauerlockdown zermürbt die Menschen. Er darf nicht unsere einzige Antwort auf die dritte Corona-Welle sein“, sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Es gibt vielversprechende Ansätze, die sogar in Teilen Schritte zur Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität ermöglichen.“ Städte wie Tübingen oder Rostock zeigten, wie es gehe, sagte Reinhardt. „Sie kombinieren kostenlose Schnelltests mit lokalen Lockerungen.“ In Bezug auf den damit verbundenen breiten Einsatz von Schnelltests sagte er: „Zusammen mit einer schnellen Durchimpfung der Bevölkerung – und dafür brauchen wir dringend mehr Impfstoff sowie eine effektivere digitale Kontaktnachverfolgung – wäre das eine echte Alternative zum Hin und Her der vergangenen Monate.“