Studie sieht riesigen Investitionsbedarf: Run auf Pflegeheime
In Pflegeheimen leben auch immer mehr Menschen mit geringem Pflegebedarf. Das liegt an schlechten ambulanten Strukturen. Und daran, dass Kranke in Kliniken nicht mehr gesund gepflegt werden.
Im Vergleich zu den Krankenhäusern geht es den Pflegeheimen hierzulande glänzend. 72 Prozent verfügten über eine „sehr gute Bonität“, heißt es im aktuellen Pflegeheim-Ratingreport des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Nur sieben Prozent der Häuser drohe die Insolvenz, bei den Kliniken seien es 16 Prozent.
80 Milliarden Euro für neue Heime
Allerdings sehen die Forscher enorme Herausforderungen für die Zukunft. Zu den 700.000 Vollzeit-Pflegekräften, über die man derzeit verfüge, müssten bis 2030 weitere 345.000 hinzukommen. Für neue Heime seien Investitionen von 80 Milliarden Euro nötig. Und längerfristig sei ein „Pflegekollaps“ nur durch die Stärkung ambulanter Strukturen zu vermeiden.
Allein die Heime müssten in den nächsten 15 Jahren um bis zu 321.000 Pflegeplätze aufgestockt werden, heißt es in der Studie, an der auch die Philips GmbH und das Institute for Health Care Business (hcb) beteiligt sind. Aus der Sicht der Autoren liegt das nicht nur daran, dass bis dahin rein statistisch ein Drittel mehr Pflegebedürftige erwartet werden. Es gebe auch einen Trend, dort immer mehr leichte Fälle unterzubringen.
Seit 1998 sei der Anteil der Heimbewohner mit Pflegestufe 1 um fast 25 Prozent gewachsen, schreiben die Forscher. Gleichzeitig sei der Anteil der schweren Fälle um fast zehn Prozent zurückgegangen.
Immer mehr leichte Fälle auf Station
In der Vergangenheit sei es nicht gelungen, die Bedingungen für ambulante Pflege „so zu gestalten, dass leichte Pflegefälle länger in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung bleiben können und nur die schweren Fälle in Heimen betreut werden müssen“, resümiert Studienautor Sebastian Krolop. „Es scheint sogar, dass heute leichte Fälle schneller im Heim landen als noch vor zehn Jahren.“
Die meisten dieser Zuweisungen gibt es der Studie zufolge nach Klinikaufenthalten. Betraf dies 2003 noch rund 88.000 Patienten, sind es inzwischen pro Jahr viermal so viele. „Rund 70 Prozent der Neuzugänge eines Pflegeheims kommen heute direkt aus dem Krankenhaus“, heißt es in dem Report.
Krankenhäusern betreiben "Outsourcing von Pflege"
Als Ursache dafür vermuten die Autoren die Einführung der Fallpauschalen. Dadurch sei es in den Kliniken zu einem „Outsourcing von Pflege“ gekommen. Seit 2003 sei dort die Verweildauer von 8,9 auf 7,5 Tage gesunken. Patienten würden also „schneller verlegt, was zu begrüßen ist“, sagt Krolop. Es stelle sich aber die Frage, ob die vielen Heimeinweisungen im Sinne der Patienten seien und diese nicht besser im häuslichen Umfeld betreut werden könnten.
Der Studie zufolge gibt es in deutschen Pflegeheimen mehr als 300.000 Bewohner mit Pflegestufe 1. 125.000 dieser leichteren Fälle kämen Jahr für Jahr direkt aus der Klinik. Bei vielen stehe aber nicht der Wunsch nach professioneller Pflege im Vordergrund, sondern der nach verlässlicher medizinischer Überwachung, betont Krolop.
Überwachung auch in eigener Wohnung möglich
Ein Anspruch, dem die Heime gar nicht gerecht würden, denn dort sei derartiges Monitoring unüblich. Zwar werde zu Schichtbeginn, also mindestens dreimal am Tag, nach den Bewohnern gesehen, danach sei die Tür des Einzelzimmers aber wieder geschlossen. In der eigenen Wohnung dagegen könnten Patienten durch Armbänder und andere Sensorik kontinuierlich überwacht werden und nofalls sofort ärztliche Hilfe erhalten.
Durch Netzwerke zwischen Ärzten, ambulanter Pflege, Angehörigen und Patienten lasse sich nicht nur immens viel Geld sparen, sondern auch die Qualität der Versorgung verbessern, so die Autoren. Und obendrein auch noch der Wunsch vieler erfüllen, trotz Pflegebedürftigkeit noch möglichst lange zuhause leben zu können.