Streit mit Griechenland: Ruhig Blut - zwischen der EU und Griechenland ist Deeskalation nötig
Im Eiltempo geht Griechenlands neuer Regierungschef Alexis Tsipras daran, seine Wahlversprechen umzusetzen. Das bedeutet Konfrontation mit der EU. Doch noch immer kann sich am Ende die Vernunft durchsetzen - wenn auf beiden Seiten das Bemühen erkennbar wird. Ein Kommentar.
Zugegeben, seit Syriza vor wenigen Tagen die Regierung in Athen übernommen hat, ist schon einiges passiert. Frisch-Premier Alexis Tsipras hat angekündigt, gefeuerte Staatsbedienstete wieder einzustellen, den Mindestlohn zu erhöhen und Privatisierungen rückgängig zu machen. Er hat die Troika mehr oder weniger aus dem Land geschmissen und fordert einen drastischen Schuldenschnitt. Die anderen EU-Staaten, die Troika und die Geldgeber hat er dabei nicht um Erlaubnis gefragt - die hätten sie ihm sicher auch nicht erteilt - und provoziert damit massiv. Schließlich hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble schon vor der Griechenlandwahl am vergangenen Sonntag unisono verkündet: Egal, wer künftig Griechenland regieren wird, er hat sich an die Regeln zu halten. Sonst gibt es kein neues Geld.
Tsipras rückt nicht von Versprechungen ab
So klar, so einfach. Aber wer Alexis Tsipras und die Griechen im Wahlkampf beobachtet hat, der hätte sich auch denken können, dass das Thema so leicht nicht abgehandelt ist. All seine jetzigen Forderungen und Aktionen stehen eins zu eins so im Syriza-Wahlprogramm und in den Blogeinträgen seines jetzigen Finanzministers Yanis Varoufakis. Nur haben die anderen EU-Chefs bisher entweder darauf gebaut, dass es am Ende für Syriza doch nicht reichen wird, oder darauf vertraut, dass Tsipras, wenn er erst einmal den Premierminister macht, schon von seinen radikalen Absichten abrücken wird. Da Tsipras allerding gewählt worden ist, um genau das zu tun, was er jetzt macht, war diese Annahme ziemlich kurzsichtig.
Jetzt drohen beide Seiten in vollem Konfrontationskurs aufeinander zu krachen, weil jeder vom jeweils anderen erwartet, rechtzeitig abzubremsen. Die Griechen aber haben nach ihrer eigenen Wahrnehmung nichts mehr zu verlieren. Wenn schon untergehen, dann mit Stolz. Das Wirtschaftswachstum, das Ökonomen dem Land in den vergangenen Monaten so gerne zugeschrieben haben, ist bei den Menschen nicht angekommen. Sie glauben, dass es für sie kaum noch schlimmer kommen kann. Sie beklatschen jede Provokation. Die anderen Mitglieder der Euro-Zone allerdings handeln nicht aus einer Position solcher Wut und Verzweiflung heraus. Sie sollten deshalb diejenigen sein, die zweimal darüber nachdenken, wie konfrontativ und strikt sie ihre Neins formulieren.
Besser keinen verhassten Troikabeamten nach Athen schicken
Was Tsipras bisher beschlossen hat, freut sein Volk, tut den Reformern aber noch nicht wirklich weh. Noch kann die Deeskalation gelingen. Warum müssen die EU-Geldgeber zum Beispiel weiterhin unbedingt die in Griechenland so verhassten Troikabeamten zu Verhandlungen schicken? Warum nicht direkt einen Staatschef oder einen Zwischenhändler aus dem Europaparlament wie Martin Schulz? Und zwar nicht als reinen Überbringer sämtlicher Neins sondern als echten Zuhörer. Es wäre nur ein symbolischer Schritt und könnte doch etwas bewegen.
Wenn dann auch Tsipras seinen Verteidigungsminister zurückpfeifen könnte, der mit Kranzabwürfen über der Türkei und ausgetauschten Europaflaggen unnötig aggressiv auftritt - dann, ja dann könnte man vielleicht auch mal wieder anfangen, über Inhalte zu reden. Denn auch Syriza muss klar sein, dass weder der Schuldenerlass - den nebenbei gesagt auch viele Ökonomen für unabwendbar halten - noch ein Überbrückungskredit der Russen die griechischen Wirtschaftsprobleme nachhaltig lösen können. Es wäre also gut, die neue Regierung nach ihren Zukunftsplänen zu fragen.