zum Hauptinhalt
Die ausgebrannten Überreste des Anwesens von Thomas Gottschalk.
© Reed Saxon/dpa

Waldbrände in Kalifornien: Rilkes gefangener Panther, ein Sinnbild auch der Gegenwart

Die Geschichte eines Gedichts, von Gottschalk zu Udo. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Dr. Peter von Becker

Was macht man, wenn plötzlich das Haus brennt? Thomas Gottschalk sagt: „Du packst die Kinder, die Katzen und das Katzenklo. Aber nicht den Rilke an der Wand!“ Gottschalk, dessen Anwesen in Malibu gerade dem kalifornischen Feuer zum Opfer fiel, spricht dabei von der Tatkraft seiner Frau, er selbst und seine Kinder waren gerade nicht anwesend.

Verbrannt ist so nach Auskunft des Entertainers, der in seiner Jugend Germanistik fürs Hauptschullehramt studiert hat, Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“. Es hing bei Gottschalks als Autograf im Treppenhaus. Laut aktuell ergänzter Wikipedia-Seite zum „Panther“ ist damit „die Originalhandschrift“ zu Asche geworden.

Was stimmt und wohl doch nicht so ganz stimmt. Ich habe bei Ulrich von Bülow, dem Archivdirektor im württembergischen Marbach nachgefragt, wo auf einer Anhöhe über dem Geburtsort Schillers das Deutsche Literaturarchiv mit all seinen Schätzen, Museum und Forschungsstätten thront. Marbach besitzt auch eine bedeutende Sammlung von Rilke-Manuskripten, allerdings liegt der eigentliche Nachlass noch bei den Erben des 1926 gestorbenen Poeten. Dort, im familiären Besitz, vermutet von Bülow auch den ursprünglichen Entwurf und die frühe Handschrift des im Herbst 1903, vor jetzt 115 Jahren, in einer Zeitschrift erstmals veröffentlichten Gedichts. Bülow: „Rilke hat öfters Abschriften seiner Lyrik verfertigt, vor allem für Gönnerinnen und Geliebte. In Kalifornien war das vermutlich auch eine solche spätere Abschrift, aber sicher nicht das einzige Exemplar.“

Zurück zu Gottschalk: „Die Katzenklos sind gerettet, mein Rilke ist verbrannt.“ Das sei der „Wahnsinn“ bei solchen Katastrophen, aber darüber klagt der Betroffene nicht weiter. Die Toten, das menschliche Unglück sind viel größer – als Katzen, Klos und selbst die Kunst, die der Wildkatze galt.

Rilke hat einen Panther einst in einem Pariser Gehege beobachtet:

„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, dass er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.“

Rilke ist gerade in diesem Jahr wieder häufig zitiert worden („Der Sommer war sehr groß“). Und „Der Panther“ ist tatsächlich eines seiner berühmtesten Gedichte. Zu Recht.

Wer es liest, wieder liest oder – wie es in jeder deutschen Schule auch im Digitalzeitalter noch möglich sein sollte – zum ersten Mal liest, dem kann es die Augen öffnen. Mit Gefühl und Verstand. Der Rhythmus, die jambische Metrik versinnlicht das Drama: Wie ein einstmals stolzes Tier als Gefangener im immergleichen Käfigtrott zerstört wird, bis selbst eine kurze Ahnung der Außenwelt, eine Erinnerung der Freiheit nur noch auf eine tote, eine abgetötete Empfindung stößt.

Soeben diskutieren Vertreter aus über 190 Staaten über die bedrohte „biologische Vielfalt“ des Planeten im ägyptischen Sharm el Sheik. Mehr als 20 000 Tier- und Pflanzenarten gelten als unmittelbar gefährdet, etwa 130 sterben jeden Tag unwiederbringlich aus. Nicht nur deshalb sieht der neue Generalintendant des Berliner Humboldt Forums Hartmut Dogerloh sein Programm darin, zu untersuchen: „Wie sind Ökologie, Tierschutz, Kolonialismus, globaler Handel und Kunstproduktion verbunden?“

In den Gehegen des Pariser „Jardin des Plantes“, wo Rilke 1902 seinen Panther im Käfig sah, dachten die Forscher unter den Bedingungen ihrer Zeit wohl Ähnliches. Sie waren so vermeintlich „human“, die ihnen seit der Französischen Revolution überlassenen exotischen Tiere nicht zu schlachten und auszustopfen. Sondern in Käfigen lebend auszustellen. Ein Lehrstück über die Aufklärung und den Glauben, der Mensch müsse alle Natur sich zum eigenen Fortschritt unterwerfen.

„Der Panther“ ist ein aktueller Text. Kein Wunder auch, dass ihn ein Komponist namens Karl Marx vertont hat – und Udo Lindenberg.

Zur Startseite